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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ist ihnen gewiß ernst mit ihren Reden gewesen, in denen sie das einmütige Zu¬
sammenwirken zwischen Negierung und Volk betont haben. Von oben her müssen
deshalb auch die Anregungen für die allgemeine Verbreitung der Heimatfeste kommen:
nicht in Form von Verordnungen und Verfügungen, sondern im Wege des persön¬
lichen Verkehrs. Die Regierungsbeamten haben dazu genug Gelegenheit; sie be¬
reisen ihren Amtsbezirk heutzutage mehr als früher, treten dabei mit den Bürger¬
meistern und sonstigen einflußreichen Persönlichkeiten mehr als je in nähere Be¬
rührung und können bei solchen Gelegenheiten den Anstoß zu ähnlichen Vereinigungen
geben, wie wir sie vorhin geschildert haben. Es giebt wohl in allen Städten
Eriuuerungstage, an die sich solche Heimatfeste anknüpfen lassen, und wo sie nicht
sein sollten, da bieten sich die vaterländischen Gedenktage dar, die allermeist dazu
geeignet sind. An vielen Orten werden Bismarcktürme gebaut, Bismarcksteiue gesetzt
und Bismarckdeukmäler errichtet: das ist eine von den rechten Gelegenheiten, ein
Heimatfest zu feiern und einen Erinnernngstag zu begehn, an dem das gesamte
Volk teilnehmen kann. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir Bismarck-
festspiele sehen, wie es jetzt Lutherfestspiele giebt; würdiger könnte das Andenken
an unsern deutscheu Nationalhelden nicht gefeiert werden als in Verbindung mit
einem allgemeinen Volks- und Heimatfeste.


R. Krieg
Die Gefahr öffentlicher Vorträge von Ärzten.

Unsre schnell lebende
Zeit hat in den letzten Jahrzehnten auf medizinischem Gebiet eine gewaltige Um¬
wälzung hervorgerufen. Wie heute noch auf dem Lande, war früher der Hausarzt
eine Vertrauensperson bei fast allen Erkrankungen, und nur bei schwereren Fällen
wurde zur Konsultation ein andrer Arzt zugezogen. Jetzt ist das anders geworden.
Der Hausarzt selbst schickt seine Kranken zum Spezinlisteu, wenn ihm der Fall
irgendwie schwierig erscheint.

Es muß ja ohne Zweifel zugestanden werden, daß die Entwicklung der Medizin
in ihren SpezialWissenschaften nur willkommen zu heißen ist; denn daß der Arzt,
der in seiner Praxis immer uur einen bestimmten Teil des menschlichen Körpers
bei den verschiedensten Personen und ebenso verschiednen Berufszweigen zur Be¬
handlung bekommt, einen ganz andern Blick für Erkrankungen dieses Körperteils
haben wird, liegt auf der Hand!

Diese Erfahrungen unsrer Speztalisten werden in den Fachblättern nieder¬
gelegt. Damit, sollte man meinen, wäre der Wissenschaft genügt, und die hierdurch
deu andern Ärzten bekannt gewordnen Erfahrungen in der Behandlung bestimmter
Erkrankungen könnten von diesen in der Praxis Verwendung finden. Es ist aber
nicht so! Wir können zur Winterszeit, wenn die "Vortragomanie" in ihrer Blüte
steht, allwöchentlich in den Zeitungen größerer Städte die verschiedensten medizi¬
nischen Vorträge angezeigt lesen. Die Augen- und Ohren-, Nasen- und Rachenärzte,
die Magen- und Darmärzte, und welcher Spezialität sie angehören mögen, die
Nervenärzte nicht zu vergesse", sie alle hören sich gern reden. Natürlich nur, um
dem leidenden Zuhörer zu helfen und den gesunden -- vor Erkrankungen zu be¬
wahren! Das wäre ja an und für sich ganz löblich und menschenfreundlich, würden
sich aber die Ärzte damit nicht ins eigne Fleisch schneiden? Ja, wenn es so wäre,
würden die Aufklärungen bald eingestellt werden, es geschieht aber zumeist gerade
das Gegenteil.

Der einem solchen medizinischen Vortrage anwohnende gesunde Zuhörer wird
den ihm gebotenen Stoff an der Hand von Konversationslexiken und andern auf¬
klärenden Büchern für sich so verarbeiten, daß er im Erkrankungsfalle zumeist schon
seinen Zustand genau keimen will und an sich hernmpfuscht, bis er dann doch zuletzt
deu Arzt zu Rat ziehen muß. Wie leicht aber wird der gesunde Mensch dnrch
Anhören von medizinischen Vorträgen zum eingebildeten Kranken! Die kleinste
Blähung wird als Nierenleiden betrachtet, an gewöhnlichem Husten will man schon
einen Lungenkranken erkennen, usw. Diese Leute sind nun "reif" für den Doktor,
und es wird -- ihnen und ihrem Geldbeutel sicher geholfen.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

ist ihnen gewiß ernst mit ihren Reden gewesen, in denen sie das einmütige Zu¬
sammenwirken zwischen Negierung und Volk betont haben. Von oben her müssen
deshalb auch die Anregungen für die allgemeine Verbreitung der Heimatfeste kommen:
nicht in Form von Verordnungen und Verfügungen, sondern im Wege des persön¬
lichen Verkehrs. Die Regierungsbeamten haben dazu genug Gelegenheit; sie be¬
reisen ihren Amtsbezirk heutzutage mehr als früher, treten dabei mit den Bürger¬
meistern und sonstigen einflußreichen Persönlichkeiten mehr als je in nähere Be¬
rührung und können bei solchen Gelegenheiten den Anstoß zu ähnlichen Vereinigungen
geben, wie wir sie vorhin geschildert haben. Es giebt wohl in allen Städten
Eriuuerungstage, an die sich solche Heimatfeste anknüpfen lassen, und wo sie nicht
sein sollten, da bieten sich die vaterländischen Gedenktage dar, die allermeist dazu
geeignet sind. An vielen Orten werden Bismarcktürme gebaut, Bismarcksteiue gesetzt
und Bismarckdeukmäler errichtet: das ist eine von den rechten Gelegenheiten, ein
Heimatfest zu feiern und einen Erinnernngstag zu begehn, an dem das gesamte
Volk teilnehmen kann. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir Bismarck-
festspiele sehen, wie es jetzt Lutherfestspiele giebt; würdiger könnte das Andenken
an unsern deutscheu Nationalhelden nicht gefeiert werden als in Verbindung mit
einem allgemeinen Volks- und Heimatfeste.


R. Krieg
Die Gefahr öffentlicher Vorträge von Ärzten.

Unsre schnell lebende
Zeit hat in den letzten Jahrzehnten auf medizinischem Gebiet eine gewaltige Um¬
wälzung hervorgerufen. Wie heute noch auf dem Lande, war früher der Hausarzt
eine Vertrauensperson bei fast allen Erkrankungen, und nur bei schwereren Fällen
wurde zur Konsultation ein andrer Arzt zugezogen. Jetzt ist das anders geworden.
Der Hausarzt selbst schickt seine Kranken zum Spezinlisteu, wenn ihm der Fall
irgendwie schwierig erscheint.

Es muß ja ohne Zweifel zugestanden werden, daß die Entwicklung der Medizin
in ihren SpezialWissenschaften nur willkommen zu heißen ist; denn daß der Arzt,
der in seiner Praxis immer uur einen bestimmten Teil des menschlichen Körpers
bei den verschiedensten Personen und ebenso verschiednen Berufszweigen zur Be¬
handlung bekommt, einen ganz andern Blick für Erkrankungen dieses Körperteils
haben wird, liegt auf der Hand!

Diese Erfahrungen unsrer Speztalisten werden in den Fachblättern nieder¬
gelegt. Damit, sollte man meinen, wäre der Wissenschaft genügt, und die hierdurch
deu andern Ärzten bekannt gewordnen Erfahrungen in der Behandlung bestimmter
Erkrankungen könnten von diesen in der Praxis Verwendung finden. Es ist aber
nicht so! Wir können zur Winterszeit, wenn die „Vortragomanie" in ihrer Blüte
steht, allwöchentlich in den Zeitungen größerer Städte die verschiedensten medizi¬
nischen Vorträge angezeigt lesen. Die Augen- und Ohren-, Nasen- und Rachenärzte,
die Magen- und Darmärzte, und welcher Spezialität sie angehören mögen, die
Nervenärzte nicht zu vergesse», sie alle hören sich gern reden. Natürlich nur, um
dem leidenden Zuhörer zu helfen und den gesunden — vor Erkrankungen zu be¬
wahren! Das wäre ja an und für sich ganz löblich und menschenfreundlich, würden
sich aber die Ärzte damit nicht ins eigne Fleisch schneiden? Ja, wenn es so wäre,
würden die Aufklärungen bald eingestellt werden, es geschieht aber zumeist gerade
das Gegenteil.

Der einem solchen medizinischen Vortrage anwohnende gesunde Zuhörer wird
den ihm gebotenen Stoff an der Hand von Konversationslexiken und andern auf¬
klärenden Büchern für sich so verarbeiten, daß er im Erkrankungsfalle zumeist schon
seinen Zustand genau keimen will und an sich hernmpfuscht, bis er dann doch zuletzt
deu Arzt zu Rat ziehen muß. Wie leicht aber wird der gesunde Mensch dnrch
Anhören von medizinischen Vorträgen zum eingebildeten Kranken! Die kleinste
Blähung wird als Nierenleiden betrachtet, an gewöhnlichem Husten will man schon
einen Lungenkranken erkennen, usw. Diese Leute sind nun „reif" für den Doktor,
und es wird — ihnen und ihrem Geldbeutel sicher geholfen.


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[0230] Maßgebliches und Unmaßgebliches ist ihnen gewiß ernst mit ihren Reden gewesen, in denen sie das einmütige Zu¬ sammenwirken zwischen Negierung und Volk betont haben. Von oben her müssen deshalb auch die Anregungen für die allgemeine Verbreitung der Heimatfeste kommen: nicht in Form von Verordnungen und Verfügungen, sondern im Wege des persön¬ lichen Verkehrs. Die Regierungsbeamten haben dazu genug Gelegenheit; sie be¬ reisen ihren Amtsbezirk heutzutage mehr als früher, treten dabei mit den Bürger¬ meistern und sonstigen einflußreichen Persönlichkeiten mehr als je in nähere Be¬ rührung und können bei solchen Gelegenheiten den Anstoß zu ähnlichen Vereinigungen geben, wie wir sie vorhin geschildert haben. Es giebt wohl in allen Städten Eriuuerungstage, an die sich solche Heimatfeste anknüpfen lassen, und wo sie nicht sein sollten, da bieten sich die vaterländischen Gedenktage dar, die allermeist dazu geeignet sind. An vielen Orten werden Bismarcktürme gebaut, Bismarcksteiue gesetzt und Bismarckdeukmäler errichtet: das ist eine von den rechten Gelegenheiten, ein Heimatfest zu feiern und einen Erinnernngstag zu begehn, an dem das gesamte Volk teilnehmen kann. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo wir Bismarck- festspiele sehen, wie es jetzt Lutherfestspiele giebt; würdiger könnte das Andenken an unsern deutscheu Nationalhelden nicht gefeiert werden als in Verbindung mit einem allgemeinen Volks- und Heimatfeste. R. Krieg Die Gefahr öffentlicher Vorträge von Ärzten. Unsre schnell lebende Zeit hat in den letzten Jahrzehnten auf medizinischem Gebiet eine gewaltige Um¬ wälzung hervorgerufen. Wie heute noch auf dem Lande, war früher der Hausarzt eine Vertrauensperson bei fast allen Erkrankungen, und nur bei schwereren Fällen wurde zur Konsultation ein andrer Arzt zugezogen. Jetzt ist das anders geworden. Der Hausarzt selbst schickt seine Kranken zum Spezinlisteu, wenn ihm der Fall irgendwie schwierig erscheint. Es muß ja ohne Zweifel zugestanden werden, daß die Entwicklung der Medizin in ihren SpezialWissenschaften nur willkommen zu heißen ist; denn daß der Arzt, der in seiner Praxis immer uur einen bestimmten Teil des menschlichen Körpers bei den verschiedensten Personen und ebenso verschiednen Berufszweigen zur Be¬ handlung bekommt, einen ganz andern Blick für Erkrankungen dieses Körperteils haben wird, liegt auf der Hand! Diese Erfahrungen unsrer Speztalisten werden in den Fachblättern nieder¬ gelegt. Damit, sollte man meinen, wäre der Wissenschaft genügt, und die hierdurch deu andern Ärzten bekannt gewordnen Erfahrungen in der Behandlung bestimmter Erkrankungen könnten von diesen in der Praxis Verwendung finden. Es ist aber nicht so! Wir können zur Winterszeit, wenn die „Vortragomanie" in ihrer Blüte steht, allwöchentlich in den Zeitungen größerer Städte die verschiedensten medizi¬ nischen Vorträge angezeigt lesen. Die Augen- und Ohren-, Nasen- und Rachenärzte, die Magen- und Darmärzte, und welcher Spezialität sie angehören mögen, die Nervenärzte nicht zu vergesse», sie alle hören sich gern reden. Natürlich nur, um dem leidenden Zuhörer zu helfen und den gesunden — vor Erkrankungen zu be¬ wahren! Das wäre ja an und für sich ganz löblich und menschenfreundlich, würden sich aber die Ärzte damit nicht ins eigne Fleisch schneiden? Ja, wenn es so wäre, würden die Aufklärungen bald eingestellt werden, es geschieht aber zumeist gerade das Gegenteil. Der einem solchen medizinischen Vortrage anwohnende gesunde Zuhörer wird den ihm gebotenen Stoff an der Hand von Konversationslexiken und andern auf¬ klärenden Büchern für sich so verarbeiten, daß er im Erkrankungsfalle zumeist schon seinen Zustand genau keimen will und an sich hernmpfuscht, bis er dann doch zuletzt deu Arzt zu Rat ziehen muß. Wie leicht aber wird der gesunde Mensch dnrch Anhören von medizinischen Vorträgen zum eingebildeten Kranken! Die kleinste Blähung wird als Nierenleiden betrachtet, an gewöhnlichem Husten will man schon einen Lungenkranken erkennen, usw. Diese Leute sind nun „reif" für den Doktor, und es wird — ihnen und ihrem Geldbeutel sicher geholfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/230>, abgerufen am 01.09.2024.