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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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MaßgMiches und Unmaßgebliches

geschnupft, geschrieben und gespottet, und wir wollen nicht etwa einer noch weitern
Ausdehnung von Festlichkeiten das Wort reden: es handelt sich für uns und jeden
wahren Volksfreund lediglich darum, die Volksfeste zu veredeln und zu vertiefen.
Es sollen wieder alle Volksschichten gemeinsam feiern, es soll wenigstens für einige
Tage im Jahre der Faden zerschnitten werden, der die einzelnen Stände bei uns
leider so scharf abgrenzt und trennt. Die Schützen, Sänger, Turner, Radfahrer usw.
sollen nicht mehr allein ihre Feste feiern, die sogenannten höhern Stände sollen
nicht mehr naserümpfend und spöttelnd um derartigen Festen Vorübergehn, sondern
sie sollen ins Volk hineingehn, das sie so gern zu Vorbildern nimmt und sich von
ihm leiten läßt. Wer schon jemals ein Volksfest in kleinern Städten, wo noch die
Persönlichkeit etwas gilt, mitgemacht hat, wird beobachten können, daß sich die
große Masse, der einfache Mann, zumeist anständig und gesittet benimmt, so lange
Persönlichkeiten in ihrer Mitte sind, die auch sonst im Leben irgend einen Einflns;
und eine gesellschaftliche Stellung innehaben. Und darin liegt gerade der Wert
der Teilnahme unsrer höhern Berufsklassen an den Volksfesten; sie unterdrücken
mit ihrer Gegenwart die Roheiten und Unschicklichkeiten, die sich leicht einstellen;
sie wirken erziehend auf das Benehmen des einfachen Mannes und heben zugleich
dessen soziale Stellung dadurch, daß sie sich mit ihm an einen Tisch setzen. Aber
anch für die höhern Klassen selbst, besonders für die Beamten unter ihnen, ist die
Mitfeier von Volksfesten nicht ohne Gewinn; sie lernen da manches kennen, was
für die Beurteilung des Volkslebens von Wichtigkeit ist; die Menschen sind bei
Festen weniger zugeknöpft als sonst, sie werden mitteilsamer, und so manche Seite
des Volkscharakters zeigt sich erst beim Feste im rechten Licht. Es giebt Landräte,
die mit Vorliebe Bauerujagdeu mitmachen, um die Leute ihres Bezirks dabei kennen
zu lernen. Sie thun gewiß recht daran; denn abgesehen davon, daß sie ihren
Bezirk mit den guten und schlechten Wegen bei solcher Gelegenheit in Augenschein
nehmen, ist der Landmann ans seinem heimatlichen Boden meist ein ganz andrer
Mensch als im engen staubigen Amtszimmer der Kreisstadt. Es wird ja soviel
darüber geklagt, daß die Beamten das Volk nicht versteh", daß das Bureaukraten-
tnm von Jahr zu Jahr wächst, daß sich die einzelnen Berufsklassen immer mehr
absondern; um diesem Mißstände entgegenzuarbeiten, siud die Volks- und Heimat¬
feste so recht geeignet. In den vorhin genannten Städten, die ein Heimatfest ge¬
feiert haben, sind wirklich rührende Wiedererkennungsszenen alter Bekannten vor¬
gekommen, die sich seit langen Jahren nicht gesehen hatten. Das Verkehrsleben
würfelt heutzutage die Meuschen so durcheinander, daß es doppelt notwendig ist,
sich von Zeit zu Zeit einmal zu sammeln und zu vereinigen. Der eine hat in
der Fremde sein Glück gemacht, der andre ist in bescheidnen Verhältnissen in der
Heimatstadt geblieben, mancher hat keine andern Beziehungen mehr zur Heimat,
als die Gräber seiner Angehörigen, er ist dort fremd geworden, und doch hat ihn
der Aufruf zum Heimatfeste wieder zu der Stätte gelockt, wo er als Kind die
sorgenfreiste Zeit seines Lebens verbracht hat. Solche Vereinigungen müssen ver¬
edelnd und versöhnend wirken, falls sie über den Rahmen bloßer Trinkgelage und
-gelegenheiten hinausgehn und die höhern Stände sich nicht bloß aus höfischen
Anstands- und Nepräsentationsrücksichtcn, sondern mit dem Herzen beteiligen. Auf
diesem Wege können die schroffen Gegensätze zwischen Groß- und Kleinstadtleben, zwischen
Benmtenstolz und Volkstum. die gegenseitigen Vorurteile in sittlicher, gesellschaftlicher
und politischer Beziehung beseitigt oder wenigstens stark gemildert werden. Die
lnndsmännischen Vereinigungen in großen Städten, die so hingebungsvoll den Heimat¬
festen gefolgt sind, liefern den besten Beweis, daß das Bestreben noch vorhanden
ist, mit der Vaterstadt in geistigem Verkehr zu bleiben; es ist der alte Zug der
Sehnsucht nach der Heimat inmitten des großstädtischen Verkehrslebens, der wohl
beachtet und gepflegt werden sollte, und der von engherziger Krähwinkelei und
Kirchtnrmspolitik weit entfernt ist.

Die höchsten Provinzialbeamten haben in den Jubelstädten am Harz und in
Thüringen herrliche Worte von Vaterlands- und Heimntliebc gesprochen, und es


MaßgMiches und Unmaßgebliches

geschnupft, geschrieben und gespottet, und wir wollen nicht etwa einer noch weitern
Ausdehnung von Festlichkeiten das Wort reden: es handelt sich für uns und jeden
wahren Volksfreund lediglich darum, die Volksfeste zu veredeln und zu vertiefen.
Es sollen wieder alle Volksschichten gemeinsam feiern, es soll wenigstens für einige
Tage im Jahre der Faden zerschnitten werden, der die einzelnen Stände bei uns
leider so scharf abgrenzt und trennt. Die Schützen, Sänger, Turner, Radfahrer usw.
sollen nicht mehr allein ihre Feste feiern, die sogenannten höhern Stände sollen
nicht mehr naserümpfend und spöttelnd um derartigen Festen Vorübergehn, sondern
sie sollen ins Volk hineingehn, das sie so gern zu Vorbildern nimmt und sich von
ihm leiten läßt. Wer schon jemals ein Volksfest in kleinern Städten, wo noch die
Persönlichkeit etwas gilt, mitgemacht hat, wird beobachten können, daß sich die
große Masse, der einfache Mann, zumeist anständig und gesittet benimmt, so lange
Persönlichkeiten in ihrer Mitte sind, die auch sonst im Leben irgend einen Einflns;
und eine gesellschaftliche Stellung innehaben. Und darin liegt gerade der Wert
der Teilnahme unsrer höhern Berufsklassen an den Volksfesten; sie unterdrücken
mit ihrer Gegenwart die Roheiten und Unschicklichkeiten, die sich leicht einstellen;
sie wirken erziehend auf das Benehmen des einfachen Mannes und heben zugleich
dessen soziale Stellung dadurch, daß sie sich mit ihm an einen Tisch setzen. Aber
anch für die höhern Klassen selbst, besonders für die Beamten unter ihnen, ist die
Mitfeier von Volksfesten nicht ohne Gewinn; sie lernen da manches kennen, was
für die Beurteilung des Volkslebens von Wichtigkeit ist; die Menschen sind bei
Festen weniger zugeknöpft als sonst, sie werden mitteilsamer, und so manche Seite
des Volkscharakters zeigt sich erst beim Feste im rechten Licht. Es giebt Landräte,
die mit Vorliebe Bauerujagdeu mitmachen, um die Leute ihres Bezirks dabei kennen
zu lernen. Sie thun gewiß recht daran; denn abgesehen davon, daß sie ihren
Bezirk mit den guten und schlechten Wegen bei solcher Gelegenheit in Augenschein
nehmen, ist der Landmann ans seinem heimatlichen Boden meist ein ganz andrer
Mensch als im engen staubigen Amtszimmer der Kreisstadt. Es wird ja soviel
darüber geklagt, daß die Beamten das Volk nicht versteh«, daß das Bureaukraten-
tnm von Jahr zu Jahr wächst, daß sich die einzelnen Berufsklassen immer mehr
absondern; um diesem Mißstände entgegenzuarbeiten, siud die Volks- und Heimat¬
feste so recht geeignet. In den vorhin genannten Städten, die ein Heimatfest ge¬
feiert haben, sind wirklich rührende Wiedererkennungsszenen alter Bekannten vor¬
gekommen, die sich seit langen Jahren nicht gesehen hatten. Das Verkehrsleben
würfelt heutzutage die Meuschen so durcheinander, daß es doppelt notwendig ist,
sich von Zeit zu Zeit einmal zu sammeln und zu vereinigen. Der eine hat in
der Fremde sein Glück gemacht, der andre ist in bescheidnen Verhältnissen in der
Heimatstadt geblieben, mancher hat keine andern Beziehungen mehr zur Heimat,
als die Gräber seiner Angehörigen, er ist dort fremd geworden, und doch hat ihn
der Aufruf zum Heimatfeste wieder zu der Stätte gelockt, wo er als Kind die
sorgenfreiste Zeit seines Lebens verbracht hat. Solche Vereinigungen müssen ver¬
edelnd und versöhnend wirken, falls sie über den Rahmen bloßer Trinkgelage und
-gelegenheiten hinausgehn und die höhern Stände sich nicht bloß aus höfischen
Anstands- und Nepräsentationsrücksichtcn, sondern mit dem Herzen beteiligen. Auf
diesem Wege können die schroffen Gegensätze zwischen Groß- und Kleinstadtleben, zwischen
Benmtenstolz und Volkstum. die gegenseitigen Vorurteile in sittlicher, gesellschaftlicher
und politischer Beziehung beseitigt oder wenigstens stark gemildert werden. Die
lnndsmännischen Vereinigungen in großen Städten, die so hingebungsvoll den Heimat¬
festen gefolgt sind, liefern den besten Beweis, daß das Bestreben noch vorhanden
ist, mit der Vaterstadt in geistigem Verkehr zu bleiben; es ist der alte Zug der
Sehnsucht nach der Heimat inmitten des großstädtischen Verkehrslebens, der wohl
beachtet und gepflegt werden sollte, und der von engherziger Krähwinkelei und
Kirchtnrmspolitik weit entfernt ist.

Die höchsten Provinzialbeamten haben in den Jubelstädten am Harz und in
Thüringen herrliche Worte von Vaterlands- und Heimntliebc gesprochen, und es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/229>, abgerufen am 01.09.2024.