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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Adel und Land in England

freien, der noch selbständigen wie der in abhängiger Stellung, darunter endlich
die rechtlosen Leibeignen, Dem Besitze entsprechend war die Verteilung der
Staatsämter und der Verwaltung der Grafschaften, Manchen der Großthcme,
wie z, B, dem Earl Godwin zur Zeit des Vekenners, war ein Gebiet unter¬
geben, das sich mit dem eines der frühern Königreiche deckte und ihnen eine
fürstliche, dem Könige sehr gefährliche Macht verlieh.

Ganz wie ihre Standesgenossen in Deutschland strebten sie danach, mit
Hilfe ihrer Hausmacht die Erblichkeit der ihnen vom Könige übertragnen Ämter
und damit eine landschaftliche Selbständigkeit zu gewinnen. Aber einer Ent¬
wicklung der Adelsinacht in dieser Richtung wurde durch die normännische Er¬
oberung ein jähes Ende bereitet. Der alte hohe Adel, angelsächsischer wie
dänischer Abkunft, verschwand, und der normannisch-französische ruckte ein, unter
wesentlich verschiednen Bedingungen.

Vor allem wurde ein bis dahin unbekannter, aus dem Rechte der Er¬
oberung abgeleiteter Grundsatz für das Eigentum an Grund und Boden auf¬
gestellt, der theoretisch, aber auch nnr theoretisch, noch gilt, wonach der König
der alleinige Grundherr, und ein Allodium staatsrechtlich eine Unmöglichkeit
war. Der rechtliche Damm des Feudalwesens wäre jedoch nicht ausreichend
gewesen gegen Sonderbestrebungen ohne eine andre Maßregel, die von dem
staatordnendcn Geiste des Eroberers Zeugnis ablegt. Bei der Verteilung der
eingezognen Güter des angelsächsischen Adels hütete sich Wilhelm, sie wieder
als geschlossenes Ganzes zu vergeben. Das Land eines normannischen Barons
mochte in seiner Gesamtheit dem eines frühern sächsischen Carls gleichkommen,
aber es bildete kein geschlossenes Gebiet, sondern lag über eine Anzahl von
Grafschaften zerstreut, nirgends groß genug, dem Besitzer eine überwiegende
Stellung innerhalb der Grafschaft zu gewahren und als Kern einer Hausmacht
zu dienen.

In Deutschland hat der zusammenhängende Allodialbesitz die alten Grafen
befähigt, die schwächen, Nachbarn unter ihre Botmäßigkeit zu bringen und sich
zu Reichsfürsten zu erheben. Eine", ähnlichen Ausgange beugte Wilhelms
Landpolitik vor. Allen Gefahren, die dem Könige vom Adel drohten, konnte
er freilich damit nicht begegnen, manche hat er geradezu heraufbeschworen.
Denn nicht um eine einzelne Landschaft gebunden, wurde der Adel gezwungen,
seine Augen auf das Ganze zu richten, und die Durcheinandermischung der
Güter führte ihn enger zusammen, als bei größerer Geschlossenheit des Besitzes
wahrscheinlich oder möglich gewesen wäre. Daraus erklärt sich die Schwierigkeit,
einen Teil des Adels gegen deu andern auszuspielen, und die Erscheinung,
daß die Könige so oft den gesamten Adel gegen sich hatten.

Für die Erhaltung der Reichseinyeit hätte Wilhelm keinen bessern Plan
finden können. Aber England hatte auch die Kehrseite mit in den Kauf zu
nehmen. Daß schwache Herrscher sich dabei nicht wohl befanden, will nicht
viel sagen, Schwächlingen pflegen auch die besten Hilfsmittel wenig zu nützen.
Die Kehrseite war das wirtschaftliche Übergewicht, das der Adel durch die
Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen Lage in die Schale warf. Die Städte konnten
sich, von London und Bristol abgesehen, nicht im entferntesten mit denen


Adel und Land in England

freien, der noch selbständigen wie der in abhängiger Stellung, darunter endlich
die rechtlosen Leibeignen, Dem Besitze entsprechend war die Verteilung der
Staatsämter und der Verwaltung der Grafschaften, Manchen der Großthcme,
wie z, B, dem Earl Godwin zur Zeit des Vekenners, war ein Gebiet unter¬
geben, das sich mit dem eines der frühern Königreiche deckte und ihnen eine
fürstliche, dem Könige sehr gefährliche Macht verlieh.

Ganz wie ihre Standesgenossen in Deutschland strebten sie danach, mit
Hilfe ihrer Hausmacht die Erblichkeit der ihnen vom Könige übertragnen Ämter
und damit eine landschaftliche Selbständigkeit zu gewinnen. Aber einer Ent¬
wicklung der Adelsinacht in dieser Richtung wurde durch die normännische Er¬
oberung ein jähes Ende bereitet. Der alte hohe Adel, angelsächsischer wie
dänischer Abkunft, verschwand, und der normannisch-französische ruckte ein, unter
wesentlich verschiednen Bedingungen.

Vor allem wurde ein bis dahin unbekannter, aus dem Rechte der Er¬
oberung abgeleiteter Grundsatz für das Eigentum an Grund und Boden auf¬
gestellt, der theoretisch, aber auch nnr theoretisch, noch gilt, wonach der König
der alleinige Grundherr, und ein Allodium staatsrechtlich eine Unmöglichkeit
war. Der rechtliche Damm des Feudalwesens wäre jedoch nicht ausreichend
gewesen gegen Sonderbestrebungen ohne eine andre Maßregel, die von dem
staatordnendcn Geiste des Eroberers Zeugnis ablegt. Bei der Verteilung der
eingezognen Güter des angelsächsischen Adels hütete sich Wilhelm, sie wieder
als geschlossenes Ganzes zu vergeben. Das Land eines normannischen Barons
mochte in seiner Gesamtheit dem eines frühern sächsischen Carls gleichkommen,
aber es bildete kein geschlossenes Gebiet, sondern lag über eine Anzahl von
Grafschaften zerstreut, nirgends groß genug, dem Besitzer eine überwiegende
Stellung innerhalb der Grafschaft zu gewahren und als Kern einer Hausmacht
zu dienen.

In Deutschland hat der zusammenhängende Allodialbesitz die alten Grafen
befähigt, die schwächen, Nachbarn unter ihre Botmäßigkeit zu bringen und sich
zu Reichsfürsten zu erheben. Eine», ähnlichen Ausgange beugte Wilhelms
Landpolitik vor. Allen Gefahren, die dem Könige vom Adel drohten, konnte
er freilich damit nicht begegnen, manche hat er geradezu heraufbeschworen.
Denn nicht um eine einzelne Landschaft gebunden, wurde der Adel gezwungen,
seine Augen auf das Ganze zu richten, und die Durcheinandermischung der
Güter führte ihn enger zusammen, als bei größerer Geschlossenheit des Besitzes
wahrscheinlich oder möglich gewesen wäre. Daraus erklärt sich die Schwierigkeit,
einen Teil des Adels gegen deu andern auszuspielen, und die Erscheinung,
daß die Könige so oft den gesamten Adel gegen sich hatten.

Für die Erhaltung der Reichseinyeit hätte Wilhelm keinen bessern Plan
finden können. Aber England hatte auch die Kehrseite mit in den Kauf zu
nehmen. Daß schwache Herrscher sich dabei nicht wohl befanden, will nicht
viel sagen, Schwächlingen pflegen auch die besten Hilfsmittel wenig zu nützen.
Die Kehrseite war das wirtschaftliche Übergewicht, das der Adel durch die
Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen Lage in die Schale warf. Die Städte konnten
sich, von London und Bristol abgesehen, nicht im entferntesten mit denen


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[0021] Adel und Land in England freien, der noch selbständigen wie der in abhängiger Stellung, darunter endlich die rechtlosen Leibeignen, Dem Besitze entsprechend war die Verteilung der Staatsämter und der Verwaltung der Grafschaften, Manchen der Großthcme, wie z, B, dem Earl Godwin zur Zeit des Vekenners, war ein Gebiet unter¬ geben, das sich mit dem eines der frühern Königreiche deckte und ihnen eine fürstliche, dem Könige sehr gefährliche Macht verlieh. Ganz wie ihre Standesgenossen in Deutschland strebten sie danach, mit Hilfe ihrer Hausmacht die Erblichkeit der ihnen vom Könige übertragnen Ämter und damit eine landschaftliche Selbständigkeit zu gewinnen. Aber einer Ent¬ wicklung der Adelsinacht in dieser Richtung wurde durch die normännische Er¬ oberung ein jähes Ende bereitet. Der alte hohe Adel, angelsächsischer wie dänischer Abkunft, verschwand, und der normannisch-französische ruckte ein, unter wesentlich verschiednen Bedingungen. Vor allem wurde ein bis dahin unbekannter, aus dem Rechte der Er¬ oberung abgeleiteter Grundsatz für das Eigentum an Grund und Boden auf¬ gestellt, der theoretisch, aber auch nnr theoretisch, noch gilt, wonach der König der alleinige Grundherr, und ein Allodium staatsrechtlich eine Unmöglichkeit war. Der rechtliche Damm des Feudalwesens wäre jedoch nicht ausreichend gewesen gegen Sonderbestrebungen ohne eine andre Maßregel, die von dem staatordnendcn Geiste des Eroberers Zeugnis ablegt. Bei der Verteilung der eingezognen Güter des angelsächsischen Adels hütete sich Wilhelm, sie wieder als geschlossenes Ganzes zu vergeben. Das Land eines normannischen Barons mochte in seiner Gesamtheit dem eines frühern sächsischen Carls gleichkommen, aber es bildete kein geschlossenes Gebiet, sondern lag über eine Anzahl von Grafschaften zerstreut, nirgends groß genug, dem Besitzer eine überwiegende Stellung innerhalb der Grafschaft zu gewahren und als Kern einer Hausmacht zu dienen. In Deutschland hat der zusammenhängende Allodialbesitz die alten Grafen befähigt, die schwächen, Nachbarn unter ihre Botmäßigkeit zu bringen und sich zu Reichsfürsten zu erheben. Eine», ähnlichen Ausgange beugte Wilhelms Landpolitik vor. Allen Gefahren, die dem Könige vom Adel drohten, konnte er freilich damit nicht begegnen, manche hat er geradezu heraufbeschworen. Denn nicht um eine einzelne Landschaft gebunden, wurde der Adel gezwungen, seine Augen auf das Ganze zu richten, und die Durcheinandermischung der Güter führte ihn enger zusammen, als bei größerer Geschlossenheit des Besitzes wahrscheinlich oder möglich gewesen wäre. Daraus erklärt sich die Schwierigkeit, einen Teil des Adels gegen deu andern auszuspielen, und die Erscheinung, daß die Könige so oft den gesamten Adel gegen sich hatten. Für die Erhaltung der Reichseinyeit hätte Wilhelm keinen bessern Plan finden können. Aber England hatte auch die Kehrseite mit in den Kauf zu nehmen. Daß schwache Herrscher sich dabei nicht wohl befanden, will nicht viel sagen, Schwächlingen pflegen auch die besten Hilfsmittel wenig zu nützen. Die Kehrseite war das wirtschaftliche Übergewicht, das der Adel durch die Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen Lage in die Schale warf. Die Städte konnten sich, von London und Bristol abgesehen, nicht im entferntesten mit denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/21>, abgerufen am 01.09.2024.