Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Hollvnmitlim und Christentum und Schule das Gleichgewicht, sodaß der Staat leicht selbst in Gefahr gerät, Vor allem aber: sie ist nicht tot in dem Sinne, wie es im Anfang der Hollvnmitlim und Christentum und Schule das Gleichgewicht, sodaß der Staat leicht selbst in Gefahr gerät, Vor allem aber: sie ist nicht tot in dem Sinne, wie es im Anfang der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/238984"/> <fw type="header" place="top"> Hollvnmitlim und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_931" prev="#ID_930"> und Schule das Gleichgewicht, sodaß der Staat leicht selbst in Gefahr gerät,<lb/> wenn es ihm nicht gelingt, sich mit der Kirchenverwaltung ins Einvernehmen<lb/> zu setzen. Wenn die Bevölkerungen ganzer Landschaften das Kirchegehn ver¬<lb/> lernt haben, so ist das noch kein Beweis dafür, daß sie mit der Kirche, mit<lb/> dein Christentum entschieden gebrochen hätten. Die Männer solcher Gegenden<lb/> wollen immer noch, daß ihre Weiber und Kinder Religion haben solle,?, und<lb/> sie selbst wollen meistens nicht auf die religiöse Weihe der wichtigsten Lebens¬<lb/> abschnitte verzichten. Ausgesprochne Feinde der christlichen Religion sind nur<lb/> die Sozialdemokraten. Diese machen aber in keinem Lande die Mehrheit aus,<lb/> und bei weitem nicht alle Genossen teilen den fanatischen Religionshaß der<lb/> Führer. Daß die Kirche seit etwa sechshundert Jahren auf allen Gebieten<lb/> des Kulturlebens die Führung verloren hat, bald keifend hinter der Fortschritts¬<lb/> armee einherhinkt, bald deren Lauf zu hemmen versucht, bald durch die Kon¬<lb/> kurrenz um die Volksgunst und den Trieb der Selbsterhaltung gezwungen sich<lb/> wieder an einzelnen Stellen zur Führung drängt, gereicht ihr nicht zur Ehre,<lb/> aber indem sie doch immerhin noch auch unter den heutigen Verhältnissen<lb/> Kulturarbeit zu leisten vermag und kein kleines Quantum solcher leistet, beweist<lb/> sie ihre Daseinsberechtigung, und daß sie sich uoch keineswegs überlebt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_932" next="#ID_933"> Vor allem aber: sie ist nicht tot in dem Sinne, wie es im Anfang der<lb/> christlichen Ära der hellenische Polytheismus war, und sie kann in diesem Sinne<lb/> überhaupt uicht sterben. Der neuplatonische Versuch, den Olymp durch Um-<lb/> deutung in Metaphysik zu retten, mußte aus dem doppelten Grunde mi߬<lb/> lingen, daß der Neuplntonismus nicht echte Metaphysik sondern thevsophische<lb/> Schwärmerei war, und daß die griechischen Nationalgötter unmöglich die<lb/> Symbole der göttlichen .Kräfte und Kraftäußerungen für alle Völker und<lb/> Zeiten werden konnten. Die Lehren des Christentums dagegen sind Nieder<lb/> mit nationalen noch mit Zeitvorstellungen unlöslich verschmolzen und vertragen<lb/> sich mit jeder echten Metaphysik. Daß die Welt ihren zureichenden Grund<lb/> haben müsse, wird kein MetaPhysiker leugnen. Daß dieser Weltgrund sein<lb/> eignes, jenseitiges, von der Welt unabhängiges Leben hat, daß er bewußt ist<lb/> und die Welt in der Zeit erschaffe« hat, kann die Metaphysik weder beweisen<lb/> noch widerlegen. Nur das hat, wie schon bemerkt worden ist, der Meta¬<lb/> Physiker zu fordern, daß ihn die Kirche uicht zwinge, das Dreifaltigkeitsdogina<lb/> für mehr als ein schönes Symbol des innern Lebens der Gottheit und ihrer<lb/> Beziehungen zur Welt und zur Menschheit zu halten, daß er es dahingestellt<lb/> sein lassen dürfe, in welchem Maße das Symbol die Wirklichkeit ausdrückt.<lb/> Ähnlich verhält es sich mit dein christologischen Dogma. Da jede Wirkung<lb/> eine entsprechende Ursache voraussetzt, so kann es dem Denkenden gar nicht<lb/> einfallen, in Christus eine» gewöhnlichen Menschen, d. h. einen bloßen<lb/> Menschen sehen zu wollen. Zweifellos waren in ihm göttliche Kräfte wirksam,<lb/> die keinem andern Menschen verliehen worden sind, und die ihn befähigten,<lb/> der Mittelpunkt der Weltgeschichte zu werden. Die Art und Weise nun, wie<lb/> die Kirche diesen außerordentlichen Menschen beschrieben und sein Wesen definiert<lb/> hat, befriedigt das Volk und nötigt den Denker nicht zum Widerspruch; denn<lb/> dieser muß bekennen: ich vermag schon das Wesen des gewöhnlichen Menschen<lb/> nicht wissenschaftlich zu ergründen und zu analysieren, wie sollte ich die seit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Hollvnmitlim und Christentum
und Schule das Gleichgewicht, sodaß der Staat leicht selbst in Gefahr gerät,
wenn es ihm nicht gelingt, sich mit der Kirchenverwaltung ins Einvernehmen
zu setzen. Wenn die Bevölkerungen ganzer Landschaften das Kirchegehn ver¬
lernt haben, so ist das noch kein Beweis dafür, daß sie mit der Kirche, mit
dein Christentum entschieden gebrochen hätten. Die Männer solcher Gegenden
wollen immer noch, daß ihre Weiber und Kinder Religion haben solle,?, und
sie selbst wollen meistens nicht auf die religiöse Weihe der wichtigsten Lebens¬
abschnitte verzichten. Ausgesprochne Feinde der christlichen Religion sind nur
die Sozialdemokraten. Diese machen aber in keinem Lande die Mehrheit aus,
und bei weitem nicht alle Genossen teilen den fanatischen Religionshaß der
Führer. Daß die Kirche seit etwa sechshundert Jahren auf allen Gebieten
des Kulturlebens die Führung verloren hat, bald keifend hinter der Fortschritts¬
armee einherhinkt, bald deren Lauf zu hemmen versucht, bald durch die Kon¬
kurrenz um die Volksgunst und den Trieb der Selbsterhaltung gezwungen sich
wieder an einzelnen Stellen zur Führung drängt, gereicht ihr nicht zur Ehre,
aber indem sie doch immerhin noch auch unter den heutigen Verhältnissen
Kulturarbeit zu leisten vermag und kein kleines Quantum solcher leistet, beweist
sie ihre Daseinsberechtigung, und daß sie sich uoch keineswegs überlebt hat.
Vor allem aber: sie ist nicht tot in dem Sinne, wie es im Anfang der
christlichen Ära der hellenische Polytheismus war, und sie kann in diesem Sinne
überhaupt uicht sterben. Der neuplatonische Versuch, den Olymp durch Um-
deutung in Metaphysik zu retten, mußte aus dem doppelten Grunde mi߬
lingen, daß der Neuplntonismus nicht echte Metaphysik sondern thevsophische
Schwärmerei war, und daß die griechischen Nationalgötter unmöglich die
Symbole der göttlichen .Kräfte und Kraftäußerungen für alle Völker und
Zeiten werden konnten. Die Lehren des Christentums dagegen sind Nieder
mit nationalen noch mit Zeitvorstellungen unlöslich verschmolzen und vertragen
sich mit jeder echten Metaphysik. Daß die Welt ihren zureichenden Grund
haben müsse, wird kein MetaPhysiker leugnen. Daß dieser Weltgrund sein
eignes, jenseitiges, von der Welt unabhängiges Leben hat, daß er bewußt ist
und die Welt in der Zeit erschaffe« hat, kann die Metaphysik weder beweisen
noch widerlegen. Nur das hat, wie schon bemerkt worden ist, der Meta¬
Physiker zu fordern, daß ihn die Kirche uicht zwinge, das Dreifaltigkeitsdogina
für mehr als ein schönes Symbol des innern Lebens der Gottheit und ihrer
Beziehungen zur Welt und zur Menschheit zu halten, daß er es dahingestellt
sein lassen dürfe, in welchem Maße das Symbol die Wirklichkeit ausdrückt.
Ähnlich verhält es sich mit dein christologischen Dogma. Da jede Wirkung
eine entsprechende Ursache voraussetzt, so kann es dem Denkenden gar nicht
einfallen, in Christus eine» gewöhnlichen Menschen, d. h. einen bloßen
Menschen sehen zu wollen. Zweifellos waren in ihm göttliche Kräfte wirksam,
die keinem andern Menschen verliehen worden sind, und die ihn befähigten,
der Mittelpunkt der Weltgeschichte zu werden. Die Art und Weise nun, wie
die Kirche diesen außerordentlichen Menschen beschrieben und sein Wesen definiert
hat, befriedigt das Volk und nötigt den Denker nicht zum Widerspruch; denn
dieser muß bekennen: ich vermag schon das Wesen des gewöhnlichen Menschen
nicht wissenschaftlich zu ergründen und zu analysieren, wie sollte ich die seit
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