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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Hölen^ich

Gedanken ab, sondern hing ihm, jedoch ohne nach Art der Franzosen mit lauter
Revanche zu drohen, um so eifriger nach. Die Berufung Beusts und die voll¬
ständige Kapitulieruug vor den Magyaren waren die Folgen davon.

Seit dieser Zeit ist die österreichische Monarchie mit dem unglückseligen
Dualismus behaftet. Man war unter Veust sogar noch weiter gegangen und
hatte in der Hohenwartschen Episode den Tschechen die Anerkennung des böh¬
mischen Staatsrechts in Aussicht gestellt, um sie für die Revanche an Preußen
zu begeistern. Die Ereignisse von 1870 machten alle diese Bestrebungen zu
nichte; eine leitende Idee für die äußere österreichische Politik, die über die
schlichteste Verteidigung des Bestehenden hinaufginge, giebt es seitdem nicht
mehr. Um so lebendiger sind die staatsbildnerischen Strömungen beflissen, im
Innern neugestaltend aufzutreten, wo sich natürlich als politischer Knotenpunkt
die neue Bildung des Dualismus in den Bordergrund schiebt, die aber außer
den Ungarn niemand recht leiden mag. Dualismus wie Personalunion, die
Verbindung zweier Leiber unter einem Haupt, geben an sich einen überaus
künstlichen, schwer haltbaren Zustand; ein solches Verhältnis mag für die
Herzogtümer Koburg und Gotha erträglich sein, besteht aber in Schweden und
Norwegen, uuter vergleichsweise sehr einfachen Verhältnissen, nur unter fort¬
währender Reibung und schwerer Anstrengung. Solche halbe und schiefe Verhält¬
nisse können in einem Großstaate nicht lange dauern, weil sich immer das Streben
nach straffer Einigung der innerlich verwandten und much ehrlicher Trennung der
innerlich verfeindete" Staatsteile geltend macht. Beide Strömungen treten
sichtbar in Österreich hervor, kommen aber nicht vorwärts, weil ihnen die Ne¬
gierung vollkommen teilnahmlos gegenüber steht, und ohne Unterstützung von
dieser Seite keine der Nationen oder Parteien energisch und mächtig genug
wäre, einen wesentlichen Einfluß zu äußern. Bisher haben die Magyaren den
Vorteil davon gehabt. Sie steuerten 30 Prozent (neuerdings 34), Österreich
aber 70 Prozent (66) zu den gemeinsamen Lasten bei, während der politische
Einfluß, dank der Zerfahrenheit im deutsch-österreichischen Lager, genau im
umgekehrten Verhältnis stand. Daß solche Zustände in einem Staate auf die
Dauer nicht haltbar sind und nur so lange bestehn können, als sie den aus¬
schlaggebenden Willen der Krone zur Stütze haben, liegt nahe genug. Kaiser
Franz Joseph, bei dem die Erinnerungen von 1848 noch nachklingen, ist aber
den Magyaren gegenüber immer streng "konstitutionell" gewesen. Infolge
dessen waren die Ansprüche der Ungarn mit den Jahren so ins ungemessene
gestiegen, daß die österreichischen Regierungen die Zustimmung einer Majorität
des Abgeordnetenhauses zu ihren Vereinbarungen mit Ungarn nnr durch große
Zugeständnisse an die Parteien erlangen konnten. Die Badenischen Sprachen¬
erlasse waren ein solches Zugeständnis, das wohl genügte, dem Ausgleiche die
tschechischen Stimmen, nicht aber die parlamentarische Genehmigung überhaupt
ZU sichern, da die aufs tiefste verletzten Deutschen die Arbeiten des Abgeord¬
netenhauses überhaupt unmöglich machten.

(Schluß folgt)




Hölen^ich

Gedanken ab, sondern hing ihm, jedoch ohne nach Art der Franzosen mit lauter
Revanche zu drohen, um so eifriger nach. Die Berufung Beusts und die voll¬
ständige Kapitulieruug vor den Magyaren waren die Folgen davon.

Seit dieser Zeit ist die österreichische Monarchie mit dem unglückseligen
Dualismus behaftet. Man war unter Veust sogar noch weiter gegangen und
hatte in der Hohenwartschen Episode den Tschechen die Anerkennung des böh¬
mischen Staatsrechts in Aussicht gestellt, um sie für die Revanche an Preußen
zu begeistern. Die Ereignisse von 1870 machten alle diese Bestrebungen zu
nichte; eine leitende Idee für die äußere österreichische Politik, die über die
schlichteste Verteidigung des Bestehenden hinaufginge, giebt es seitdem nicht
mehr. Um so lebendiger sind die staatsbildnerischen Strömungen beflissen, im
Innern neugestaltend aufzutreten, wo sich natürlich als politischer Knotenpunkt
die neue Bildung des Dualismus in den Bordergrund schiebt, die aber außer
den Ungarn niemand recht leiden mag. Dualismus wie Personalunion, die
Verbindung zweier Leiber unter einem Haupt, geben an sich einen überaus
künstlichen, schwer haltbaren Zustand; ein solches Verhältnis mag für die
Herzogtümer Koburg und Gotha erträglich sein, besteht aber in Schweden und
Norwegen, uuter vergleichsweise sehr einfachen Verhältnissen, nur unter fort¬
währender Reibung und schwerer Anstrengung. Solche halbe und schiefe Verhält¬
nisse können in einem Großstaate nicht lange dauern, weil sich immer das Streben
nach straffer Einigung der innerlich verwandten und much ehrlicher Trennung der
innerlich verfeindete« Staatsteile geltend macht. Beide Strömungen treten
sichtbar in Österreich hervor, kommen aber nicht vorwärts, weil ihnen die Ne¬
gierung vollkommen teilnahmlos gegenüber steht, und ohne Unterstützung von
dieser Seite keine der Nationen oder Parteien energisch und mächtig genug
wäre, einen wesentlichen Einfluß zu äußern. Bisher haben die Magyaren den
Vorteil davon gehabt. Sie steuerten 30 Prozent (neuerdings 34), Österreich
aber 70 Prozent (66) zu den gemeinsamen Lasten bei, während der politische
Einfluß, dank der Zerfahrenheit im deutsch-österreichischen Lager, genau im
umgekehrten Verhältnis stand. Daß solche Zustände in einem Staate auf die
Dauer nicht haltbar sind und nur so lange bestehn können, als sie den aus¬
schlaggebenden Willen der Krone zur Stütze haben, liegt nahe genug. Kaiser
Franz Joseph, bei dem die Erinnerungen von 1848 noch nachklingen, ist aber
den Magyaren gegenüber immer streng „konstitutionell" gewesen. Infolge
dessen waren die Ansprüche der Ungarn mit den Jahren so ins ungemessene
gestiegen, daß die österreichischen Regierungen die Zustimmung einer Majorität
des Abgeordnetenhauses zu ihren Vereinbarungen mit Ungarn nnr durch große
Zugeständnisse an die Parteien erlangen konnten. Die Badenischen Sprachen¬
erlasse waren ein solches Zugeständnis, das wohl genügte, dem Ausgleiche die
tschechischen Stimmen, nicht aber die parlamentarische Genehmigung überhaupt
ZU sichern, da die aufs tiefste verletzten Deutschen die Arbeiten des Abgeord¬
netenhauses überhaupt unmöglich machten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/185>, abgerufen am 01.09.2024.