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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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würden sie schlechterdings außer stände sein, neben den einheitlich zusammen¬
gefaßten Staaten rings um Österreich zu irgend welcher Geltung zu bringen.
Man hat darum auch, außer in der kurzen Hohenwartschen Periode während
des deutsch-französischen Krieges, niemals wieder einen Experiment"ersuch nach
der föderalistischen Richtung hin unternommen.

Merkwürdig genug sind in der ganzen Verfassungszeit in Österreich der
Bachsche Absolutismus und die zentralisierende Regierung von Schmerling
noch immer die Episoden, die als die fruchtbringendsten bezeichnet zu werden
verdienen, und wenn anch die damals herrschenden Grundsätze keineswegs
unsre Billigung finden können, so waren doch wenigstens leitende Gedanken
vorhanden. Als man zur konstitutionellen Verfassung überging, hoffte man,
auf diesem Wege mit einem mal über alle Schwierigkeiten hinauszukommen,
indem man den Völkerschaften alle Vorteile des Staates zuzuführen und sie
zugleich von der Belästigung dnrch die nationalen Sondermteressen zu befreien
glaubte. In der That wurde damit jedem Interesse der Weg geöffnet, zur
Geltung zu gelangen. Man hatte nur die Hauptsache dabei vergesse", daß
nämlich die alle Sondermteressen ausgleichende Kraft der Staatsbildung ihre
Wirkung an den Völkern Österreichs noch nicht hinreichend gethan hatte, und
daß dieserhalb eine umso energischere und umsichtigere Thätigkeit der Staats¬
gewalt nötig gewesen wäre, mäßigend und vermittelnd zu wirken, sowie dem
Staatsinteresse den ihm gebührenden Raum zu verschaffen. Daß eigentlich
keine österreichische Negierung nach dieser Richtung hin ihre Aufgabe erkannt
und erfüllt hat, lehrt die Geschichte jeden Tages der letzten vierzig Jahre.
Unter diesen Verhältnissen mußte sich natürlich der österreichische Konstitutiona-
lismus, wie kein andrer auf dem Kontinent, als arbeitsunfähig erweisen. Dazu
traten noch die besondern Umstände, die in der persönlichen Stellung des
Monarchen, der Wahl der Negieruugsorgnne, uicht minder aber in der Haltung
der Reichsratsabgeordneten wurzelten und alle nicht geeignet waren, die Dinge
in ein besseres Geleise zu bringen.

Die Schmerlingsche Zeit war die letzte, wo noch staatsmännische leitende
Ideen vorhanden waren. Was Schmerling allen gleichmäßig wert machte,
war seine auswärtige Politik: er sollte den wuchtigsten Stoß gegen die ver¬
haßte preußische Macht führen, die Reform Deutschlands in die Hand nehmen
und somit die deutsche Mission Österreichs erfüllen. Außerdem galt Schmerling
dielen als der wahre Hort der Völker nnter dem Habsburgischen Szepter, den
Ländern der ungarischen Krone erschien er als der Vorkämpfer ihres nationalen
Rechts wider die Ansprüche der Magyaren, andern als der Schirmer der Einheit
und der Macht des Reiches, und wieder andern endlich als Vertreter und Be¬
förderer aller geistigen und Knlturinteressen. Aber wer viel von diesem Manne er¬
wartet hatte, sah sich nach einiger Zeit völlig enttäuscht. Mit seiner deutschen
Politik machte er glänzend Fiasko, sein Liberalismus und seine konstitutionellen
Neigungen erwiesen sich vielfach als bloße Koketterie, als die Täuschung der
vierziger Jahre, die jeder liberalen Verfassung aus sich selbst heraus segen-
bnngende Wirkungen beilegte, sodaß man eine solche nur walten zu lassen
brauche. So erschien auch als das Bedenklichste an der Schmerlingschen Ver-


würden sie schlechterdings außer stände sein, neben den einheitlich zusammen¬
gefaßten Staaten rings um Österreich zu irgend welcher Geltung zu bringen.
Man hat darum auch, außer in der kurzen Hohenwartschen Periode während
des deutsch-französischen Krieges, niemals wieder einen Experiment»ersuch nach
der föderalistischen Richtung hin unternommen.

Merkwürdig genug sind in der ganzen Verfassungszeit in Österreich der
Bachsche Absolutismus und die zentralisierende Regierung von Schmerling
noch immer die Episoden, die als die fruchtbringendsten bezeichnet zu werden
verdienen, und wenn anch die damals herrschenden Grundsätze keineswegs
unsre Billigung finden können, so waren doch wenigstens leitende Gedanken
vorhanden. Als man zur konstitutionellen Verfassung überging, hoffte man,
auf diesem Wege mit einem mal über alle Schwierigkeiten hinauszukommen,
indem man den Völkerschaften alle Vorteile des Staates zuzuführen und sie
zugleich von der Belästigung dnrch die nationalen Sondermteressen zu befreien
glaubte. In der That wurde damit jedem Interesse der Weg geöffnet, zur
Geltung zu gelangen. Man hatte nur die Hauptsache dabei vergesse», daß
nämlich die alle Sondermteressen ausgleichende Kraft der Staatsbildung ihre
Wirkung an den Völkern Österreichs noch nicht hinreichend gethan hatte, und
daß dieserhalb eine umso energischere und umsichtigere Thätigkeit der Staats¬
gewalt nötig gewesen wäre, mäßigend und vermittelnd zu wirken, sowie dem
Staatsinteresse den ihm gebührenden Raum zu verschaffen. Daß eigentlich
keine österreichische Negierung nach dieser Richtung hin ihre Aufgabe erkannt
und erfüllt hat, lehrt die Geschichte jeden Tages der letzten vierzig Jahre.
Unter diesen Verhältnissen mußte sich natürlich der österreichische Konstitutiona-
lismus, wie kein andrer auf dem Kontinent, als arbeitsunfähig erweisen. Dazu
traten noch die besondern Umstände, die in der persönlichen Stellung des
Monarchen, der Wahl der Negieruugsorgnne, uicht minder aber in der Haltung
der Reichsratsabgeordneten wurzelten und alle nicht geeignet waren, die Dinge
in ein besseres Geleise zu bringen.

Die Schmerlingsche Zeit war die letzte, wo noch staatsmännische leitende
Ideen vorhanden waren. Was Schmerling allen gleichmäßig wert machte,
war seine auswärtige Politik: er sollte den wuchtigsten Stoß gegen die ver¬
haßte preußische Macht führen, die Reform Deutschlands in die Hand nehmen
und somit die deutsche Mission Österreichs erfüllen. Außerdem galt Schmerling
dielen als der wahre Hort der Völker nnter dem Habsburgischen Szepter, den
Ländern der ungarischen Krone erschien er als der Vorkämpfer ihres nationalen
Rechts wider die Ansprüche der Magyaren, andern als der Schirmer der Einheit
und der Macht des Reiches, und wieder andern endlich als Vertreter und Be¬
förderer aller geistigen und Knlturinteressen. Aber wer viel von diesem Manne er¬
wartet hatte, sah sich nach einiger Zeit völlig enttäuscht. Mit seiner deutschen
Politik machte er glänzend Fiasko, sein Liberalismus und seine konstitutionellen
Neigungen erwiesen sich vielfach als bloße Koketterie, als die Täuschung der
vierziger Jahre, die jeder liberalen Verfassung aus sich selbst heraus segen-
bnngende Wirkungen beilegte, sodaß man eine solche nur walten zu lassen
brauche. So erschien auch als das Bedenklichste an der Schmerlingschen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/183>, abgerufen am 01.09.2024.