Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Anfänge der Bildneroi

des Lebens, die für den Staat von weit geringerer Wichtigkeit sind, wird der
Untüchtige beiseite geschoben. Für den altersschwachen Arbeiter hat der englische
Staat nichts übrig, keine Hand rührt sich für einen Kaufmann, der dnrch
Unfähigkeit das väterliche Geschäft zu Grunde richtet. Warum soll Unfähigkeit
da geschützt werden, wo sie an die Wurzeln des Staates rührt?

Es wird kein Schade für den Staat sein, wenn mit der alten Gewohn¬
heit der Bindung des Landes gebrochen wird. Es ist das einzige Mittel,
den Kreis der Grundbesitzer, der sonst noch enger und kleiner zu werden
droht, zu erweitern. Die Änderung wird nicht von heute auf morgen vor sich
gehn, es wird mehrerer Menschenalter bedürfen, den Umschwung in den An¬
schauungen zu bewirken. Der Wegfall des künstlichen Schutzes durch Verbot
der Fideikommisse würde aber inzwischen die Untauglichen ausmerzen und eine
große Menge Landes in den Verkehr bringen. Ist erst einmal die Möglich¬
keit kleiner Bauerngüter gegeben, dann wird sich much ein Stamm von Bauern
bilden als Grundlage einer neuen Landbevölkerung.

Bisher sind die Versuche einer gründlichen und umfassenden Verbesserung
an dem verwickelten Wesen der ganzen Landverfnssung und an dem Wider¬
stande der Juristen gescheitert, die sich nicht über eine Lösung dieses gordischen
Knotens einigen können. Aber gelöst muß der Knoten werden, und die richtige
Lösung t'ann geschehn dnrch Vereinfachung der bestehenden ausgekünstelten
Formen des Landumsatzes, allgemeine Durchführung eines Grundbuches und
Befreiung des Landes von den Fesseln der Fideikommisse. Eine andre Losung
in der Weise Alexanders ließe sich auch denken. Sie ist von den Franzosen
in der großen Revolution geübt worden. Doch dazu wird es in England
schwerlich kommen.




Die Anfänge der Vildnerei
Heinrich Reichan Von

le Anfänge der bildenden Kunst wechseln wie der Horizont mit
dem Standpunkte, deu wir einnehmen. Der Anhänger der
mechanistischen Weltanschauung, der in dem Leben nur ein Physi¬
kalisch-chemisches Problem sieht und keinen Unterschied zwischen
den Kräften der belebten und der unbelebten Natur kennt,
wird die Anfänge der bildenden Kunst bis in das Mineralreich zurückführen.
Der Vitälist oder Dualist, der das Mineralreich für tote Materie hält, wird
nicht über die Pflanzenwelt hinausgehn, wenn er die Keime der menschlichen
Kunst enthüllen will. Wer aber das Empfindungsleben der Pflanzenwelt für
zu niedrig hält, als daß er daran anknüpfen konnte, der wird die Kunst der
Tiere zum Ausgangspunkt einer Geschichte der menschlichen Kunst wühlen.

Nicht minder verändert sich der Horizont, wenn wir statt des natur¬
wissenschaftlichen oder physiologischen Standpunkts den kunsthistorischen wählen-
Da fallen die Anfänge der Kunst mit denen des menschlichen Geistes oder


Die Anfänge der Bildneroi

des Lebens, die für den Staat von weit geringerer Wichtigkeit sind, wird der
Untüchtige beiseite geschoben. Für den altersschwachen Arbeiter hat der englische
Staat nichts übrig, keine Hand rührt sich für einen Kaufmann, der dnrch
Unfähigkeit das väterliche Geschäft zu Grunde richtet. Warum soll Unfähigkeit
da geschützt werden, wo sie an die Wurzeln des Staates rührt?

Es wird kein Schade für den Staat sein, wenn mit der alten Gewohn¬
heit der Bindung des Landes gebrochen wird. Es ist das einzige Mittel,
den Kreis der Grundbesitzer, der sonst noch enger und kleiner zu werden
droht, zu erweitern. Die Änderung wird nicht von heute auf morgen vor sich
gehn, es wird mehrerer Menschenalter bedürfen, den Umschwung in den An¬
schauungen zu bewirken. Der Wegfall des künstlichen Schutzes durch Verbot
der Fideikommisse würde aber inzwischen die Untauglichen ausmerzen und eine
große Menge Landes in den Verkehr bringen. Ist erst einmal die Möglich¬
keit kleiner Bauerngüter gegeben, dann wird sich much ein Stamm von Bauern
bilden als Grundlage einer neuen Landbevölkerung.

Bisher sind die Versuche einer gründlichen und umfassenden Verbesserung
an dem verwickelten Wesen der ganzen Landverfnssung und an dem Wider¬
stande der Juristen gescheitert, die sich nicht über eine Lösung dieses gordischen
Knotens einigen können. Aber gelöst muß der Knoten werden, und die richtige
Lösung t'ann geschehn dnrch Vereinfachung der bestehenden ausgekünstelten
Formen des Landumsatzes, allgemeine Durchführung eines Grundbuches und
Befreiung des Landes von den Fesseln der Fideikommisse. Eine andre Losung
in der Weise Alexanders ließe sich auch denken. Sie ist von den Franzosen
in der großen Revolution geübt worden. Doch dazu wird es in England
schwerlich kommen.




Die Anfänge der Vildnerei
Heinrich Reichan Von

le Anfänge der bildenden Kunst wechseln wie der Horizont mit
dem Standpunkte, deu wir einnehmen. Der Anhänger der
mechanistischen Weltanschauung, der in dem Leben nur ein Physi¬
kalisch-chemisches Problem sieht und keinen Unterschied zwischen
den Kräften der belebten und der unbelebten Natur kennt,
wird die Anfänge der bildenden Kunst bis in das Mineralreich zurückführen.
Der Vitälist oder Dualist, der das Mineralreich für tote Materie hält, wird
nicht über die Pflanzenwelt hinausgehn, wenn er die Keime der menschlichen
Kunst enthüllen will. Wer aber das Empfindungsleben der Pflanzenwelt für
zu niedrig hält, als daß er daran anknüpfen konnte, der wird die Kunst der
Tiere zum Ausgangspunkt einer Geschichte der menschlichen Kunst wühlen.

Nicht minder verändert sich der Horizont, wenn wir statt des natur¬
wissenschaftlichen oder physiologischen Standpunkts den kunsthistorischen wählen-
Da fallen die Anfänge der Kunst mit denen des menschlichen Geistes oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/238938"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Anfänge der Bildneroi</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_663" prev="#ID_662"> des Lebens, die für den Staat von weit geringerer Wichtigkeit sind, wird der<lb/>
Untüchtige beiseite geschoben. Für den altersschwachen Arbeiter hat der englische<lb/>
Staat nichts übrig, keine Hand rührt sich für einen Kaufmann, der dnrch<lb/>
Unfähigkeit das väterliche Geschäft zu Grunde richtet. Warum soll Unfähigkeit<lb/>
da geschützt werden, wo sie an die Wurzeln des Staates rührt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_664"> Es wird kein Schade für den Staat sein, wenn mit der alten Gewohn¬<lb/>
heit der Bindung des Landes gebrochen wird. Es ist das einzige Mittel,<lb/>
den Kreis der Grundbesitzer, der sonst noch enger und kleiner zu werden<lb/>
droht, zu erweitern. Die Änderung wird nicht von heute auf morgen vor sich<lb/>
gehn, es wird mehrerer Menschenalter bedürfen, den Umschwung in den An¬<lb/>
schauungen zu bewirken. Der Wegfall des künstlichen Schutzes durch Verbot<lb/>
der Fideikommisse würde aber inzwischen die Untauglichen ausmerzen und eine<lb/>
große Menge Landes in den Verkehr bringen. Ist erst einmal die Möglich¬<lb/>
keit kleiner Bauerngüter gegeben, dann wird sich much ein Stamm von Bauern<lb/>
bilden als Grundlage einer neuen Landbevölkerung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_665"> Bisher sind die Versuche einer gründlichen und umfassenden Verbesserung<lb/>
an dem verwickelten Wesen der ganzen Landverfnssung und an dem Wider¬<lb/>
stande der Juristen gescheitert, die sich nicht über eine Lösung dieses gordischen<lb/>
Knotens einigen können. Aber gelöst muß der Knoten werden, und die richtige<lb/>
Lösung t'ann geschehn dnrch Vereinfachung der bestehenden ausgekünstelten<lb/>
Formen des Landumsatzes, allgemeine Durchführung eines Grundbuches und<lb/>
Befreiung des Landes von den Fesseln der Fideikommisse. Eine andre Losung<lb/>
in der Weise Alexanders ließe sich auch denken. Sie ist von den Franzosen<lb/>
in der großen Revolution geübt worden. Doch dazu wird es in England<lb/>
schwerlich kommen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Anfänge der Vildnerei<lb/><note type="byline"> Heinrich Reichan</note> Von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_666"> le Anfänge der bildenden Kunst wechseln wie der Horizont mit<lb/>
dem Standpunkte, deu wir einnehmen. Der Anhänger der<lb/>
mechanistischen Weltanschauung, der in dem Leben nur ein Physi¬<lb/>
kalisch-chemisches Problem sieht und keinen Unterschied zwischen<lb/>
den Kräften der belebten und der unbelebten Natur kennt,<lb/>
wird die Anfänge der bildenden Kunst bis in das Mineralreich zurückführen.<lb/>
Der Vitälist oder Dualist, der das Mineralreich für tote Materie hält, wird<lb/>
nicht über die Pflanzenwelt hinausgehn, wenn er die Keime der menschlichen<lb/>
Kunst enthüllen will. Wer aber das Empfindungsleben der Pflanzenwelt für<lb/>
zu niedrig hält, als daß er daran anknüpfen konnte, der wird die Kunst der<lb/>
Tiere zum Ausgangspunkt einer Geschichte der menschlichen Kunst wühlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_667" next="#ID_668"> Nicht minder verändert sich der Horizont, wenn wir statt des natur¬<lb/>
wissenschaftlichen oder physiologischen Standpunkts den kunsthistorischen wählen-<lb/>
Da fallen die Anfänge der Kunst mit denen des menschlichen Geistes oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Die Anfänge der Bildneroi des Lebens, die für den Staat von weit geringerer Wichtigkeit sind, wird der Untüchtige beiseite geschoben. Für den altersschwachen Arbeiter hat der englische Staat nichts übrig, keine Hand rührt sich für einen Kaufmann, der dnrch Unfähigkeit das väterliche Geschäft zu Grunde richtet. Warum soll Unfähigkeit da geschützt werden, wo sie an die Wurzeln des Staates rührt? Es wird kein Schade für den Staat sein, wenn mit der alten Gewohn¬ heit der Bindung des Landes gebrochen wird. Es ist das einzige Mittel, den Kreis der Grundbesitzer, der sonst noch enger und kleiner zu werden droht, zu erweitern. Die Änderung wird nicht von heute auf morgen vor sich gehn, es wird mehrerer Menschenalter bedürfen, den Umschwung in den An¬ schauungen zu bewirken. Der Wegfall des künstlichen Schutzes durch Verbot der Fideikommisse würde aber inzwischen die Untauglichen ausmerzen und eine große Menge Landes in den Verkehr bringen. Ist erst einmal die Möglich¬ keit kleiner Bauerngüter gegeben, dann wird sich much ein Stamm von Bauern bilden als Grundlage einer neuen Landbevölkerung. Bisher sind die Versuche einer gründlichen und umfassenden Verbesserung an dem verwickelten Wesen der ganzen Landverfnssung und an dem Wider¬ stande der Juristen gescheitert, die sich nicht über eine Lösung dieses gordischen Knotens einigen können. Aber gelöst muß der Knoten werden, und die richtige Lösung t'ann geschehn dnrch Vereinfachung der bestehenden ausgekünstelten Formen des Landumsatzes, allgemeine Durchführung eines Grundbuches und Befreiung des Landes von den Fesseln der Fideikommisse. Eine andre Losung in der Weise Alexanders ließe sich auch denken. Sie ist von den Franzosen in der großen Revolution geübt worden. Doch dazu wird es in England schwerlich kommen. Die Anfänge der Vildnerei Heinrich Reichan Von le Anfänge der bildenden Kunst wechseln wie der Horizont mit dem Standpunkte, deu wir einnehmen. Der Anhänger der mechanistischen Weltanschauung, der in dem Leben nur ein Physi¬ kalisch-chemisches Problem sieht und keinen Unterschied zwischen den Kräften der belebten und der unbelebten Natur kennt, wird die Anfänge der bildenden Kunst bis in das Mineralreich zurückführen. Der Vitälist oder Dualist, der das Mineralreich für tote Materie hält, wird nicht über die Pflanzenwelt hinausgehn, wenn er die Keime der menschlichen Kunst enthüllen will. Wer aber das Empfindungsleben der Pflanzenwelt für zu niedrig hält, als daß er daran anknüpfen konnte, der wird die Kunst der Tiere zum Ausgangspunkt einer Geschichte der menschlichen Kunst wühlen. Nicht minder verändert sich der Horizont, wenn wir statt des natur¬ wissenschaftlichen oder physiologischen Standpunkts den kunsthistorischen wählen- Da fallen die Anfänge der Kunst mit denen des menschlichen Geistes oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/150>, abgerufen am 01.09.2024.