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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Adel und Land in England

suchen, meist in Rauch. Demgemäß liegt das Verständnis für den Wert
einer richtigen Waldwirtschaft sehr im argen. Die alten großen Wälder sind
längst der Axt zum Opfer gefallen, und niemand denkt an Wicderaufforstung.
Von dem Andredesweald, der sich einst durch Kent und Sussex erstreckte, ist
kaum mehr als der den heutigen Engländern unverständliche Name Weald
übrig geblieben. Zwar sichert die Nähe des Atlantischen Weltmeeres England
vor den traurigen Folgen der AbHolzung und vor dem Schicksale der noch in
geschichtlicher Zeit waldreichen Küsten der Adria, doch bei der Zusammen-
drängung der Bevölkerung in den Städten beginnt die Wasserfrage schon
schwierig zu werden. London leidet seit Jahren in jedem Sommer ein Wasser¬
mangel. Die Themse, soweit ihr Bett nicht durch die Flutwelle gefüllt wird,
ist im Sommer nur ein armes Gewässer und nicht imstande, London hin¬
reichend mit Wasser zu Versehen. Die Wassergesellschafteu müssen immer
weiter hinausgehn, um ihren Bedarf zu decken, zum Schaden der Laudbezirle,
denen dadurch ihr so schon nicht großer Wassergehalt geschmälert wird, ohne
daß sie einen Anteil an dem Gewinn der Gesellschaften erhalten.

Die Wiederaufforstuug größerer Strecken Landes wäre das beste Mittel,
dem drohenden Notstände zu begegnen, und würde außerdem bei guter Wirt¬
schaft reichen Gewinn abwerfen. Aber dem steht wieder das ganze Landwesen
entgegen. Der Grundherr, der bloß den Nießbrauch seines Laudes hat, hat
zwar nie etwas dagegen, Nutzholz zu fällen und den Erlös zu verbrauchen, aber
er fühlt sich nicht veranlaßt, aus seiner Tasche Aufwendungen zu machen, die
erst dem auf seinen Tod wartenden Sohne oder gar erst dem Enkel oder Ur¬
enkel zu gute kommen.

Die Regierung thut nichts, giebt nicht einmal ein gutes Beispiel, und
so geht alles in der alten Weise weiter. Solange das gegenwärtige Land¬
wesen besteht, wirds auch schwerlich anders werden.

Außerhalb des Kreises der Grundherren wird natürlich das ganze Land¬
wesen bitter angefeindet und verurteilt. Der Engländer will sonst vom
Staate nicht viel wissen, und der Gedanke an Verstaatlichung ist ihm ein
Greuel, eine Ausgeburt des hilflosen Knechtgeistes der tiefer stehenden fest¬
ländischen Barbaren. Nur hier ruft er den Staat zum Einschreiten an. Die
I,anÄ Nstorin I^saFne befürwortet uur eine stärkere Besteuerung der Laubwerke,
die I,g,und National! fallor Loeist^ dagegen, die sich durch Rührigkeit hervor¬
thut, verlangt schlankweg eine Verstaatlichung alles Bodens. Die Befür¬
worter der Bodenverstaatlichung sind alles andre als Sozialisten, und ihre
Beweisgründe halten sich von allen sozialistischen Absichten einer Neuver¬
teilung fern und streben nur an, der stetig zunehmenden Entvölkerung des
Landes, das jetzt nur noch 23 Prozent der Gesamtbevölkerung enthält, zu
steuern und einen neuen Bauernstand zu schaffen.

Abgesehen vou der alten germanischen Landverfassuug, die nur die Staats-
gemeinschaft als wirklichen Grundeigentümer kannte, wird die Forderung
unterstützt durch die Thatsache, daß das englische Recht unbewegliches Ver¬
mögen (rout vropvrt/), das auch ein Erbpachtgut einschließt, anders behandelt
als das bewegliche, die fahrende Habe (psrsorml proxerty). In der Jntcstat-


Adel und Land in England

suchen, meist in Rauch. Demgemäß liegt das Verständnis für den Wert
einer richtigen Waldwirtschaft sehr im argen. Die alten großen Wälder sind
längst der Axt zum Opfer gefallen, und niemand denkt an Wicderaufforstung.
Von dem Andredesweald, der sich einst durch Kent und Sussex erstreckte, ist
kaum mehr als der den heutigen Engländern unverständliche Name Weald
übrig geblieben. Zwar sichert die Nähe des Atlantischen Weltmeeres England
vor den traurigen Folgen der AbHolzung und vor dem Schicksale der noch in
geschichtlicher Zeit waldreichen Küsten der Adria, doch bei der Zusammen-
drängung der Bevölkerung in den Städten beginnt die Wasserfrage schon
schwierig zu werden. London leidet seit Jahren in jedem Sommer ein Wasser¬
mangel. Die Themse, soweit ihr Bett nicht durch die Flutwelle gefüllt wird,
ist im Sommer nur ein armes Gewässer und nicht imstande, London hin¬
reichend mit Wasser zu Versehen. Die Wassergesellschafteu müssen immer
weiter hinausgehn, um ihren Bedarf zu decken, zum Schaden der Laudbezirle,
denen dadurch ihr so schon nicht großer Wassergehalt geschmälert wird, ohne
daß sie einen Anteil an dem Gewinn der Gesellschaften erhalten.

Die Wiederaufforstuug größerer Strecken Landes wäre das beste Mittel,
dem drohenden Notstände zu begegnen, und würde außerdem bei guter Wirt¬
schaft reichen Gewinn abwerfen. Aber dem steht wieder das ganze Landwesen
entgegen. Der Grundherr, der bloß den Nießbrauch seines Laudes hat, hat
zwar nie etwas dagegen, Nutzholz zu fällen und den Erlös zu verbrauchen, aber
er fühlt sich nicht veranlaßt, aus seiner Tasche Aufwendungen zu machen, die
erst dem auf seinen Tod wartenden Sohne oder gar erst dem Enkel oder Ur¬
enkel zu gute kommen.

Die Regierung thut nichts, giebt nicht einmal ein gutes Beispiel, und
so geht alles in der alten Weise weiter. Solange das gegenwärtige Land¬
wesen besteht, wirds auch schwerlich anders werden.

Außerhalb des Kreises der Grundherren wird natürlich das ganze Land¬
wesen bitter angefeindet und verurteilt. Der Engländer will sonst vom
Staate nicht viel wissen, und der Gedanke an Verstaatlichung ist ihm ein
Greuel, eine Ausgeburt des hilflosen Knechtgeistes der tiefer stehenden fest¬
ländischen Barbaren. Nur hier ruft er den Staat zum Einschreiten an. Die
I,anÄ Nstorin I^saFne befürwortet uur eine stärkere Besteuerung der Laubwerke,
die I,g,und National! fallor Loeist^ dagegen, die sich durch Rührigkeit hervor¬
thut, verlangt schlankweg eine Verstaatlichung alles Bodens. Die Befür¬
worter der Bodenverstaatlichung sind alles andre als Sozialisten, und ihre
Beweisgründe halten sich von allen sozialistischen Absichten einer Neuver¬
teilung fern und streben nur an, der stetig zunehmenden Entvölkerung des
Landes, das jetzt nur noch 23 Prozent der Gesamtbevölkerung enthält, zu
steuern und einen neuen Bauernstand zu schaffen.

Abgesehen vou der alten germanischen Landverfassuug, die nur die Staats-
gemeinschaft als wirklichen Grundeigentümer kannte, wird die Forderung
unterstützt durch die Thatsache, daß das englische Recht unbewegliches Ver¬
mögen (rout vropvrt/), das auch ein Erbpachtgut einschließt, anders behandelt
als das bewegliche, die fahrende Habe (psrsorml proxerty). In der Jntcstat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/148>, abgerufen am 01.09.2024.