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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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So viel steht fest: Das britische Weltreich ist nicht geschwächt, sondern
gestärkt aus dem schweren Kampfe hervorgegangen. Die englische Heerführung
ist im ganzen und im einzelnen vielfach gewiß höchst mangelhaft gewesen, ist
aber doch schließlich durch zähe Ausdauer zum Ziele gekommen; das britische
Volk hat eine höchst achtungswerte, sehr nachahmungswerte Opferwilligkeit
bewiesen, und die Kolonien haben ihrer Anhänglichkeit an das Mutterland
dnrch Truppeuseudungen praktisch Ausdruck gegeben; zweifellos hat also der
imperialistische Gedanke, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zwischen
den einzelnen Teilen des Reichs eine wesentliche Kräftigung erfahren, mag
auch jetzt der Plan eines engern, militärischen Zusammesschlusses der Reichs¬
teile uoch abgewiesen worden sein, und die Verwirklichung eines Neichszoll-
Vereins noch in viel weiterer Ferne liegen. Zugleich hat die englische Diplomatie
auch ihre sonstigen Interessen keineswegs aus dem Auge verloren. Sie hat
in China ihre alte, vorherrschende Stellung allerdings nicht behaupten können,
sondern hat ihren Einfluß dort mit Rußland und Deutschland teilen müssen,
aber sie hat dem Zarenreiche in dem Bunde mit Japan ganz überraschend
ein starkes Gegengewicht geschaffen und den Kampf um die Vorherrschaft in
Persien nachdrücklich aufgenommen.

Einem solchen lebenskräftigen Reiche gegenüber ist doch wohl auch die
deutsche Presse verpflichtet, die Frage recht ernsthaft zu stellen: Was kann uns
Englands Feindschaft schaden, was kann uns seine Freundschaft nützen?

Was die englische Seeherrschnft bedeutet, das ist gerade im Burenkriege
'klar hervorgetreten, obwohl kein englisches Kriegsschiff auch nur einen Schuß
abgefeuert hat; uur die Überlegenheit der englischen Flotte erlaubte es, das
Mutterland fast gänzlich von Truppen zu entblößen, sicherte die großen Truppen¬
transporte nach Südafrika, auf diese ungeheure Entfernung hin die größten
der Geschichte, und machte jedes Eingreife" einer fremden Macht in den Krieg
von vornherein unmöglich. Daß wir dieser Flotte noch nicht entfernt gewachsen
sind, sieht ein Kind; daß sie uns also im Falle eines Krieges sehr viel böses
zufügen könnte, jn daß unsre Kolonialpolitik im feindlichen Widerspruch mit
England gar nicht durchführbar wäre, schon weil wir sie ohne Benutzung
englischer Häfen nicht führen könnten, das muß auch der größte Engländer¬
feind zugeben. Jedenfalls könnten wir fürs erste den Engländern viel weniger
zu leide thun, als sie uns. Da ist also doch wohl die Politik unsers Kaisers
die richtige: gegeuüber England keine Schwäche zu zeigen, aber es auch nicht
unnütz zu reizen und von Fall zu Fall sich mit ihm zu verstündigen, wo es
sich um gemeinsame Interessen handelt. So ist es in China geschehn, wo das
deutsch-englische Einvernehmen uns das Jangtsethal geöffnet und den russischen
Plänen auf die stillschweigende Verwandlung des Niesenreichs in einen russischen
Schutzstaat entgegengewirkt hat. Das persönliche Verhältnis unsers Kaisers
zum englischen Hofe und die Sympathien, die er im englischen Volke genießt,
sind für eine solche Politik besonders wertvoll. Dabei ist unser Verhältnis
zu Rußland eher befestigt als gelockert worden, wobei ebenfalls das persön¬
liche Verhältnis zwischen den beiden Kaisern, wie es jüngst wieder auf der
Reede von Reval hervorgetreten ist, eine größere Rolle spielen mag, als unsre


So viel steht fest: Das britische Weltreich ist nicht geschwächt, sondern
gestärkt aus dem schweren Kampfe hervorgegangen. Die englische Heerführung
ist im ganzen und im einzelnen vielfach gewiß höchst mangelhaft gewesen, ist
aber doch schließlich durch zähe Ausdauer zum Ziele gekommen; das britische
Volk hat eine höchst achtungswerte, sehr nachahmungswerte Opferwilligkeit
bewiesen, und die Kolonien haben ihrer Anhänglichkeit an das Mutterland
dnrch Truppeuseudungen praktisch Ausdruck gegeben; zweifellos hat also der
imperialistische Gedanke, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zwischen
den einzelnen Teilen des Reichs eine wesentliche Kräftigung erfahren, mag
auch jetzt der Plan eines engern, militärischen Zusammesschlusses der Reichs¬
teile uoch abgewiesen worden sein, und die Verwirklichung eines Neichszoll-
Vereins noch in viel weiterer Ferne liegen. Zugleich hat die englische Diplomatie
auch ihre sonstigen Interessen keineswegs aus dem Auge verloren. Sie hat
in China ihre alte, vorherrschende Stellung allerdings nicht behaupten können,
sondern hat ihren Einfluß dort mit Rußland und Deutschland teilen müssen,
aber sie hat dem Zarenreiche in dem Bunde mit Japan ganz überraschend
ein starkes Gegengewicht geschaffen und den Kampf um die Vorherrschaft in
Persien nachdrücklich aufgenommen.

Einem solchen lebenskräftigen Reiche gegenüber ist doch wohl auch die
deutsche Presse verpflichtet, die Frage recht ernsthaft zu stellen: Was kann uns
Englands Feindschaft schaden, was kann uns seine Freundschaft nützen?

Was die englische Seeherrschnft bedeutet, das ist gerade im Burenkriege
'klar hervorgetreten, obwohl kein englisches Kriegsschiff auch nur einen Schuß
abgefeuert hat; uur die Überlegenheit der englischen Flotte erlaubte es, das
Mutterland fast gänzlich von Truppen zu entblößen, sicherte die großen Truppen¬
transporte nach Südafrika, auf diese ungeheure Entfernung hin die größten
der Geschichte, und machte jedes Eingreife« einer fremden Macht in den Krieg
von vornherein unmöglich. Daß wir dieser Flotte noch nicht entfernt gewachsen
sind, sieht ein Kind; daß sie uns also im Falle eines Krieges sehr viel böses
zufügen könnte, jn daß unsre Kolonialpolitik im feindlichen Widerspruch mit
England gar nicht durchführbar wäre, schon weil wir sie ohne Benutzung
englischer Häfen nicht führen könnten, das muß auch der größte Engländer¬
feind zugeben. Jedenfalls könnten wir fürs erste den Engländern viel weniger
zu leide thun, als sie uns. Da ist also doch wohl die Politik unsers Kaisers
die richtige: gegeuüber England keine Schwäche zu zeigen, aber es auch nicht
unnütz zu reizen und von Fall zu Fall sich mit ihm zu verstündigen, wo es
sich um gemeinsame Interessen handelt. So ist es in China geschehn, wo das
deutsch-englische Einvernehmen uns das Jangtsethal geöffnet und den russischen
Plänen auf die stillschweigende Verwandlung des Niesenreichs in einen russischen
Schutzstaat entgegengewirkt hat. Das persönliche Verhältnis unsers Kaisers
zum englischen Hofe und die Sympathien, die er im englischen Volke genießt,
sind für eine solche Politik besonders wertvoll. Dabei ist unser Verhältnis
zu Rußland eher befestigt als gelockert worden, wobei ebenfalls das persön¬
liche Verhältnis zwischen den beiden Kaisern, wie es jüngst wieder auf der
Reede von Reval hervorgetreten ist, eine größere Rolle spielen mag, als unsre


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[0013] So viel steht fest: Das britische Weltreich ist nicht geschwächt, sondern gestärkt aus dem schweren Kampfe hervorgegangen. Die englische Heerführung ist im ganzen und im einzelnen vielfach gewiß höchst mangelhaft gewesen, ist aber doch schließlich durch zähe Ausdauer zum Ziele gekommen; das britische Volk hat eine höchst achtungswerte, sehr nachahmungswerte Opferwilligkeit bewiesen, und die Kolonien haben ihrer Anhänglichkeit an das Mutterland dnrch Truppeuseudungen praktisch Ausdruck gegeben; zweifellos hat also der imperialistische Gedanke, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zwischen den einzelnen Teilen des Reichs eine wesentliche Kräftigung erfahren, mag auch jetzt der Plan eines engern, militärischen Zusammesschlusses der Reichs¬ teile uoch abgewiesen worden sein, und die Verwirklichung eines Neichszoll- Vereins noch in viel weiterer Ferne liegen. Zugleich hat die englische Diplomatie auch ihre sonstigen Interessen keineswegs aus dem Auge verloren. Sie hat in China ihre alte, vorherrschende Stellung allerdings nicht behaupten können, sondern hat ihren Einfluß dort mit Rußland und Deutschland teilen müssen, aber sie hat dem Zarenreiche in dem Bunde mit Japan ganz überraschend ein starkes Gegengewicht geschaffen und den Kampf um die Vorherrschaft in Persien nachdrücklich aufgenommen. Einem solchen lebenskräftigen Reiche gegenüber ist doch wohl auch die deutsche Presse verpflichtet, die Frage recht ernsthaft zu stellen: Was kann uns Englands Feindschaft schaden, was kann uns seine Freundschaft nützen? Was die englische Seeherrschnft bedeutet, das ist gerade im Burenkriege 'klar hervorgetreten, obwohl kein englisches Kriegsschiff auch nur einen Schuß abgefeuert hat; uur die Überlegenheit der englischen Flotte erlaubte es, das Mutterland fast gänzlich von Truppen zu entblößen, sicherte die großen Truppen¬ transporte nach Südafrika, auf diese ungeheure Entfernung hin die größten der Geschichte, und machte jedes Eingreife« einer fremden Macht in den Krieg von vornherein unmöglich. Daß wir dieser Flotte noch nicht entfernt gewachsen sind, sieht ein Kind; daß sie uns also im Falle eines Krieges sehr viel böses zufügen könnte, jn daß unsre Kolonialpolitik im feindlichen Widerspruch mit England gar nicht durchführbar wäre, schon weil wir sie ohne Benutzung englischer Häfen nicht führen könnten, das muß auch der größte Engländer¬ feind zugeben. Jedenfalls könnten wir fürs erste den Engländern viel weniger zu leide thun, als sie uns. Da ist also doch wohl die Politik unsers Kaisers die richtige: gegeuüber England keine Schwäche zu zeigen, aber es auch nicht unnütz zu reizen und von Fall zu Fall sich mit ihm zu verstündigen, wo es sich um gemeinsame Interessen handelt. So ist es in China geschehn, wo das deutsch-englische Einvernehmen uns das Jangtsethal geöffnet und den russischen Plänen auf die stillschweigende Verwandlung des Niesenreichs in einen russischen Schutzstaat entgegengewirkt hat. Das persönliche Verhältnis unsers Kaisers zum englischen Hofe und die Sympathien, die er im englischen Volke genießt, sind für eine solche Politik besonders wertvoll. Dabei ist unser Verhältnis zu Rußland eher befestigt als gelockert worden, wobei ebenfalls das persön¬ liche Verhältnis zwischen den beiden Kaisern, wie es jüngst wieder auf der Reede von Reval hervorgetreten ist, eine größere Rolle spielen mag, als unsre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/13>, abgerufen am 01.09.2024.