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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Nach dem Bnrcnkriege

fassung zu glauben liebte und wer die großen politischen Ereignisse nur nach
den Regeln der bürgerlichen Moral beurteilen will, der übersieht, daß die
Staaten als große souveräne Gemeinschaften vor allem dem Selbsterhaltungs¬
triebe gehorchen müssen, genan wie der einzelne Mensch, wenn er allein in
der Notwehr ist.

Recht und Unrecht im Burenkriege abzuwägen, das war und ist eine
mißliche Sache, Daß sich die menschliche Sympathie fast allgemein auf die
Seite des Schwachen, also der Buren stellte, war selbstverständlich und eine
edle Regung. Dagegen wäre also weiter nichts zu sagen. Aber die Mehrheit
des deutschen Volks und damit der deutschen Presse wollte auch schlechtweg
alles Recht auf feiten der Buren, alles Unrecht auf feiten der Engländer
sehen; sie sah mir, daß die Bnrenstaaten um ihre Existenz fochten, hatte
aber kein Auge dafür, daß die Engländer um die Behauptung ihrer Herrschaft
in Südafrika, also um ihre Weltstellung rangen, und daß es sich dabei zugleich
um den Kampf zweier Kultur- oder Wirtschaftsformen einer höhern und einer
niedern, handelte. In ihrer leidenschaftlichen Parteinahme für die Buren ging sie
sogar über jedes billige Maß weit hinaus; sie begrüßte jede Niederlage der Eng¬
länder mit schadenfrohem Hohn und lautem Jubel und wurde nicht müde,
auch auf einseitige und übertriebne Berichte hiu, die englische Armee und die
englische Regierung der Unfähigkeit und Grausamkeit anzuklagen; kurz sie ge-
bärdete sich, als ob die Sache der Buren eine uationaldeutsche und England
auch unser Feind wäre, und unsre politischen Witzblätter leisteten in Plattheit
und Roheit geradezu Beschämendes. Gewiß, die englische Politik und noch
viel mehr ein Teil der englischen Presse hatte durch hochmütige Überhebung
und übelwollende Behandlung unsrer nationalen Interessen seit Jahrzehnten
reichlich Gelegenheit zur Verstimmung gegeben; aber daß darüber einem
großen Teil unsrer Presse und ihrer Leser jede ruhige Erwägung völlig ab¬
handen kam, daß ihm sozusagen der Kopf mit dem Herzen durchging und
lediglich Gefühlspolitik getrieben wurde, das ist wahrhaftig kein Zeichen unsrer
politischen Reife. Fast noch bedenklicher war es, wenn zahlreiche deutsch-
evangelische Theologen in der Burensache schlechtweg Gottes Sache sahen und
deshalb ihren Sieg erwarteten, weil ihnen die Buren als ein frommes, schlicht
bibelgläubiges Volk erschienen. Sie hätten doch den Spruch des Jesaias (55, 8)
besser berücksichtigen sollen: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und
meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr." Theologen haben nicht
den Beruf, schwere und verwickelte politische Fragen zu beurteilen.

Nun ist der Krieg zu Ende; eine Fortsetzung der erbitterten Polemik,
die doch nur die absolute Ohnmacht der deutschen Presse in großen auswärtigen
Fragen dargethan und den Buren nicht das Geringste genutzt hat, die hat
vollends jetzt nicht den mindesten Zweck mehr, wir sind mit der feindseligen
Haltung eines Teils der englischen Presse seit 1863 quitt. Es ist an der Zeit,
uns wieder auf die zahllosen Beziehungen geistiger und materieller Art, die
uns mit England verknüpfen, zu besinnen, vor allem aber uns die nüchterne
Frage vorzulegen: Was ergiebt sich für Deutschland, für die Welt ans dem
Siege Englands? Wie stehn wir überhaupt jetzt in der Welt?


Nach dem Bnrcnkriege

fassung zu glauben liebte und wer die großen politischen Ereignisse nur nach
den Regeln der bürgerlichen Moral beurteilen will, der übersieht, daß die
Staaten als große souveräne Gemeinschaften vor allem dem Selbsterhaltungs¬
triebe gehorchen müssen, genan wie der einzelne Mensch, wenn er allein in
der Notwehr ist.

Recht und Unrecht im Burenkriege abzuwägen, das war und ist eine
mißliche Sache, Daß sich die menschliche Sympathie fast allgemein auf die
Seite des Schwachen, also der Buren stellte, war selbstverständlich und eine
edle Regung. Dagegen wäre also weiter nichts zu sagen. Aber die Mehrheit
des deutschen Volks und damit der deutschen Presse wollte auch schlechtweg
alles Recht auf feiten der Buren, alles Unrecht auf feiten der Engländer
sehen; sie sah mir, daß die Bnrenstaaten um ihre Existenz fochten, hatte
aber kein Auge dafür, daß die Engländer um die Behauptung ihrer Herrschaft
in Südafrika, also um ihre Weltstellung rangen, und daß es sich dabei zugleich
um den Kampf zweier Kultur- oder Wirtschaftsformen einer höhern und einer
niedern, handelte. In ihrer leidenschaftlichen Parteinahme für die Buren ging sie
sogar über jedes billige Maß weit hinaus; sie begrüßte jede Niederlage der Eng¬
länder mit schadenfrohem Hohn und lautem Jubel und wurde nicht müde,
auch auf einseitige und übertriebne Berichte hiu, die englische Armee und die
englische Regierung der Unfähigkeit und Grausamkeit anzuklagen; kurz sie ge-
bärdete sich, als ob die Sache der Buren eine uationaldeutsche und England
auch unser Feind wäre, und unsre politischen Witzblätter leisteten in Plattheit
und Roheit geradezu Beschämendes. Gewiß, die englische Politik und noch
viel mehr ein Teil der englischen Presse hatte durch hochmütige Überhebung
und übelwollende Behandlung unsrer nationalen Interessen seit Jahrzehnten
reichlich Gelegenheit zur Verstimmung gegeben; aber daß darüber einem
großen Teil unsrer Presse und ihrer Leser jede ruhige Erwägung völlig ab¬
handen kam, daß ihm sozusagen der Kopf mit dem Herzen durchging und
lediglich Gefühlspolitik getrieben wurde, das ist wahrhaftig kein Zeichen unsrer
politischen Reife. Fast noch bedenklicher war es, wenn zahlreiche deutsch-
evangelische Theologen in der Burensache schlechtweg Gottes Sache sahen und
deshalb ihren Sieg erwarteten, weil ihnen die Buren als ein frommes, schlicht
bibelgläubiges Volk erschienen. Sie hätten doch den Spruch des Jesaias (55, 8)
besser berücksichtigen sollen: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und
meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr." Theologen haben nicht
den Beruf, schwere und verwickelte politische Fragen zu beurteilen.

Nun ist der Krieg zu Ende; eine Fortsetzung der erbitterten Polemik,
die doch nur die absolute Ohnmacht der deutschen Presse in großen auswärtigen
Fragen dargethan und den Buren nicht das Geringste genutzt hat, die hat
vollends jetzt nicht den mindesten Zweck mehr, wir sind mit der feindseligen
Haltung eines Teils der englischen Presse seit 1863 quitt. Es ist an der Zeit,
uns wieder auf die zahllosen Beziehungen geistiger und materieller Art, die
uns mit England verknüpfen, zu besinnen, vor allem aber uns die nüchterne
Frage vorzulegen: Was ergiebt sich für Deutschland, für die Welt ans dem
Siege Englands? Wie stehn wir überhaupt jetzt in der Welt?


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[0012] Nach dem Bnrcnkriege fassung zu glauben liebte und wer die großen politischen Ereignisse nur nach den Regeln der bürgerlichen Moral beurteilen will, der übersieht, daß die Staaten als große souveräne Gemeinschaften vor allem dem Selbsterhaltungs¬ triebe gehorchen müssen, genan wie der einzelne Mensch, wenn er allein in der Notwehr ist. Recht und Unrecht im Burenkriege abzuwägen, das war und ist eine mißliche Sache, Daß sich die menschliche Sympathie fast allgemein auf die Seite des Schwachen, also der Buren stellte, war selbstverständlich und eine edle Regung. Dagegen wäre also weiter nichts zu sagen. Aber die Mehrheit des deutschen Volks und damit der deutschen Presse wollte auch schlechtweg alles Recht auf feiten der Buren, alles Unrecht auf feiten der Engländer sehen; sie sah mir, daß die Bnrenstaaten um ihre Existenz fochten, hatte aber kein Auge dafür, daß die Engländer um die Behauptung ihrer Herrschaft in Südafrika, also um ihre Weltstellung rangen, und daß es sich dabei zugleich um den Kampf zweier Kultur- oder Wirtschaftsformen einer höhern und einer niedern, handelte. In ihrer leidenschaftlichen Parteinahme für die Buren ging sie sogar über jedes billige Maß weit hinaus; sie begrüßte jede Niederlage der Eng¬ länder mit schadenfrohem Hohn und lautem Jubel und wurde nicht müde, auch auf einseitige und übertriebne Berichte hiu, die englische Armee und die englische Regierung der Unfähigkeit und Grausamkeit anzuklagen; kurz sie ge- bärdete sich, als ob die Sache der Buren eine uationaldeutsche und England auch unser Feind wäre, und unsre politischen Witzblätter leisteten in Plattheit und Roheit geradezu Beschämendes. Gewiß, die englische Politik und noch viel mehr ein Teil der englischen Presse hatte durch hochmütige Überhebung und übelwollende Behandlung unsrer nationalen Interessen seit Jahrzehnten reichlich Gelegenheit zur Verstimmung gegeben; aber daß darüber einem großen Teil unsrer Presse und ihrer Leser jede ruhige Erwägung völlig ab¬ handen kam, daß ihm sozusagen der Kopf mit dem Herzen durchging und lediglich Gefühlspolitik getrieben wurde, das ist wahrhaftig kein Zeichen unsrer politischen Reife. Fast noch bedenklicher war es, wenn zahlreiche deutsch- evangelische Theologen in der Burensache schlechtweg Gottes Sache sahen und deshalb ihren Sieg erwarteten, weil ihnen die Buren als ein frommes, schlicht bibelgläubiges Volk erschienen. Sie hätten doch den Spruch des Jesaias (55, 8) besser berücksichtigen sollen: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr." Theologen haben nicht den Beruf, schwere und verwickelte politische Fragen zu beurteilen. Nun ist der Krieg zu Ende; eine Fortsetzung der erbitterten Polemik, die doch nur die absolute Ohnmacht der deutschen Presse in großen auswärtigen Fragen dargethan und den Buren nicht das Geringste genutzt hat, die hat vollends jetzt nicht den mindesten Zweck mehr, wir sind mit der feindseligen Haltung eines Teils der englischen Presse seit 1863 quitt. Es ist an der Zeit, uns wieder auf die zahllosen Beziehungen geistiger und materieller Art, die uns mit England verknüpfen, zu besinnen, vor allem aber uns die nüchterne Frage vorzulegen: Was ergiebt sich für Deutschland, für die Welt ans dem Siege Englands? Wie stehn wir überhaupt jetzt in der Welt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/12>, abgerufen am 01.09.2024.