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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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schwarzen nächtlichen Himmel abhob. Der Mond our untergegangen, nur das matte,
stille Licht der Sterne leuchtete.

Vor seiner Thür our ein beständiges Hin- und Herlaufe" der Hochzeitsgäste
und der Bedienung, die Bier und Limonade hernnschleppte; wenn die Saalthür
geöffnet wurde, flutete die Musik heraus.

Jahr dachte daran, um ein abgelegneres Zimmer zu fragen, da er ruhen wolle.
Aber als er kaum hinaustrat, erschaute ihn der Gastwirt, winkte ihm, in seinen
Schanlstand zu kommen, und führte ihm einen jungen Menschen zu, einen der
Hochzeitsgäste, einen Schneider aus Seiteugoschen, der eben aufbrach.

Der Schneider, der sich noch mit seiner Liebsten treffen wollte, stand und der
Uhr in der Hand, indes Jahr seine Fragen stellte. Wie es seinem Freunde Herbert
Beckmann gehe, fragte er; aber die Eile machte ihn mißgestimmt, und die Antwort,
daß er keine Auskunft geben könne, verwunderte ihn schon nicht mehr. Es kam
mich bald heraus, daß der Schneider erst seit kurzer Zeit in Seitcngvschen ansässig
war und nicht einmal von seinem Konkurrenten, dem Pfeiff-Schneider, etwas gehört
hatte. Denn der alte Jahr, da er so wenig Anhalt fand, vergaß sich niederge¬
schlagen so weit, daß er sich sogar nach seinem Feind erkundigte. Jedenfalls sei
der Pfeiff-Schneider tot, folgerte er, und er war ein guter Christ, sargte seinen
Feind ein und begrub ihn in Frieden.

In seinem ziemlich neuen grauen Rock, dem saubern Vorhemdchen, der schwarzen
Krawatte und dem Peinlich gebürsteten Haar konnte er sehr wohl für einen Hoch¬
zeitsgast gelten, und als der Bräutigam, dein man erzählt hatte, daß er ein alter
Thüringer und nach fünfzig Jahren in sein Vaterland zurückgekehrt sei, ihn auf¬
forderte, in den Saal zu kommen, nahm er die Einladung an.

Die Musik saß auf der Galerie. Uuter der Galerie zur einen Seite der
Thür war der Schanfftand, zur andern Seite auf einem Podium saß das junge
Ehepaar; auf Bänken rechts und links den Saal entlang hatten sich die Tanz¬
lustigen niedergelassen, und unten am Ende standen zwei Tische für die Zecher.

Zu diese" hatte sich der alte Jnhu gesellt. Er sah aufmerksam dem Tanze
SU und freute sich, mit welcher Hingebung sich Tänzer und Tänzerinnen drehten.
Sie kreiselten aufrecht mit ganz ernsten Gesichtern um die Saalweide, und der
schlichte alte Mensch, der irgend einem Verwandtschaftsgrad seine Anwesenheit ver¬
dankte, drehte sein Eheweib im weiten Blandrnckkleide mit den strickundeldünnen
Zvpfcheu und dem ausgedörrten, lederbraune" Gesicht mit demselben Anstand, womit
die Burschen ihre jungen Tänzerinnen drehten, die mit aller Anmut der neusten
Mode, mit hellen Binsen und weißen Kleider" angethan waren.

Neben Jahr saß ein .Hofbesitzer, mit dem er über die Landwirtschaft sprach.
Der Mann war schon ein wenig angeheitert. Er hieß Bork und war ans Rasch.

Als er feinen Name" und seinen Heimatsort nannte, fiel dem alten Jahr das
Fuhrwerk ein, das am Nachmittag vor dem Gasthof gehalten hatte, und er fragte
den Mann, ob er in verwandtschaftlicher Beziehung zu den schrilles aus Wißberg
stehe; die Frau sei doch in erster Ehe. wie er gehört zu haben meine, mit einem
gewissen Bork ans Rasch verheiratet gewesen.

Der Mann seufzte, kraute verdrießlich den Kopf und sagte: ^>n, aber die
Mutter lebe jetzt schon in dritter Ehe. Ans der ersten Ehe, die kaum em Jahr
gewährt habe, habe sie keine Kinder gehabt. Er sei der einzige Sohn ans zweiter
Ehe. Aus der dritten Ehe seien drei Geschwister am Leben. Die Mädchen hätte"
den ersten besten genommen, bloß um nus dem Hause zu kommen. Die jüngste
d"bon, ein Nachkömmling, erst fünfundzwauzigjährig. habe kürzlich Hochzeit gehalten.
Der Sohn aber weiche'acht. weil es sich für ihn doch um die Wirtschaft handle.
Die Mutter denke indessen noch lange nicht daran, ins Altenteil zu gehn. Und ehe
das nicht geschehn sei, kriege der Bruder keine Fran ins Haus. Zu der Schwieger¬
mutter gebe sich keine hin. ohne daß ihr Rechte eingeräumt würden. Der Bruder
sei el" lustiger, frischer Mensch gewesen, jetzt sei er aber auch schon giftig geworden.


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schwarzen nächtlichen Himmel abhob. Der Mond our untergegangen, nur das matte,
stille Licht der Sterne leuchtete.

Vor seiner Thür our ein beständiges Hin- und Herlaufe» der Hochzeitsgäste
und der Bedienung, die Bier und Limonade hernnschleppte; wenn die Saalthür
geöffnet wurde, flutete die Musik heraus.

Jahr dachte daran, um ein abgelegneres Zimmer zu fragen, da er ruhen wolle.
Aber als er kaum hinaustrat, erschaute ihn der Gastwirt, winkte ihm, in seinen
Schanlstand zu kommen, und führte ihm einen jungen Menschen zu, einen der
Hochzeitsgäste, einen Schneider aus Seiteugoschen, der eben aufbrach.

Der Schneider, der sich noch mit seiner Liebsten treffen wollte, stand und der
Uhr in der Hand, indes Jahr seine Fragen stellte. Wie es seinem Freunde Herbert
Beckmann gehe, fragte er; aber die Eile machte ihn mißgestimmt, und die Antwort,
daß er keine Auskunft geben könne, verwunderte ihn schon nicht mehr. Es kam
mich bald heraus, daß der Schneider erst seit kurzer Zeit in Seitcngvschen ansässig
war und nicht einmal von seinem Konkurrenten, dem Pfeiff-Schneider, etwas gehört
hatte. Denn der alte Jahr, da er so wenig Anhalt fand, vergaß sich niederge¬
schlagen so weit, daß er sich sogar nach seinem Feind erkundigte. Jedenfalls sei
der Pfeiff-Schneider tot, folgerte er, und er war ein guter Christ, sargte seinen
Feind ein und begrub ihn in Frieden.

In seinem ziemlich neuen grauen Rock, dem saubern Vorhemdchen, der schwarzen
Krawatte und dem Peinlich gebürsteten Haar konnte er sehr wohl für einen Hoch¬
zeitsgast gelten, und als der Bräutigam, dein man erzählt hatte, daß er ein alter
Thüringer und nach fünfzig Jahren in sein Vaterland zurückgekehrt sei, ihn auf¬
forderte, in den Saal zu kommen, nahm er die Einladung an.

Die Musik saß auf der Galerie. Uuter der Galerie zur einen Seite der
Thür war der Schanfftand, zur andern Seite auf einem Podium saß das junge
Ehepaar; auf Bänken rechts und links den Saal entlang hatten sich die Tanz¬
lustigen niedergelassen, und unten am Ende standen zwei Tische für die Zecher.

Zu diese» hatte sich der alte Jnhu gesellt. Er sah aufmerksam dem Tanze
SU und freute sich, mit welcher Hingebung sich Tänzer und Tänzerinnen drehten.
Sie kreiselten aufrecht mit ganz ernsten Gesichtern um die Saalweide, und der
schlichte alte Mensch, der irgend einem Verwandtschaftsgrad seine Anwesenheit ver¬
dankte, drehte sein Eheweib im weiten Blandrnckkleide mit den strickundeldünnen
Zvpfcheu und dem ausgedörrten, lederbraune» Gesicht mit demselben Anstand, womit
die Burschen ihre jungen Tänzerinnen drehten, die mit aller Anmut der neusten
Mode, mit hellen Binsen und weißen Kleider» angethan waren.

Neben Jahr saß ein .Hofbesitzer, mit dem er über die Landwirtschaft sprach.
Der Mann war schon ein wenig angeheitert. Er hieß Bork und war ans Rasch.

Als er feinen Name» und seinen Heimatsort nannte, fiel dem alten Jahr das
Fuhrwerk ein, das am Nachmittag vor dem Gasthof gehalten hatte, und er fragte
den Mann, ob er in verwandtschaftlicher Beziehung zu den schrilles aus Wißberg
stehe; die Frau sei doch in erster Ehe. wie er gehört zu haben meine, mit einem
gewissen Bork ans Rasch verheiratet gewesen.

Der Mann seufzte, kraute verdrießlich den Kopf und sagte: ^>n, aber die
Mutter lebe jetzt schon in dritter Ehe. Ans der ersten Ehe, die kaum em Jahr
gewährt habe, habe sie keine Kinder gehabt. Er sei der einzige Sohn ans zweiter
Ehe. Aus der dritten Ehe seien drei Geschwister am Leben. Die Mädchen hätte»
den ersten besten genommen, bloß um nus dem Hause zu kommen. Die jüngste
d"bon, ein Nachkömmling, erst fünfundzwauzigjährig. habe kürzlich Hochzeit gehalten.
Der Sohn aber weiche'acht. weil es sich für ihn doch um die Wirtschaft handle.
Die Mutter denke indessen noch lange nicht daran, ins Altenteil zu gehn. Und ehe
das nicht geschehn sei, kriege der Bruder keine Fran ins Haus. Zu der Schwieger¬
mutter gebe sich keine hin. ohne daß ihr Rechte eingeräumt würden. Der Bruder
sei el» lustiger, frischer Mensch gewesen, jetzt sei er aber auch schon giftig geworden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/105>, abgerufen am 01.09.2024.