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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Heimkehr
Marthe Renate Fischer von (Fortsetzung)

in wenig später saß Jahr wieder hinter seinem Seidel und fing
von Goschen und Seitengvschen zu sprechen an. Der Gastwirt, ein
flinker, wohlgenährter Mann, hatte sich zu ihm gesetzt und erzählte,
den Tätscherbäcker aus Goschen kenne er wohl, der sei schon öfter
bei ihm eingekehrt. Es gebe eigentlich deren dreie in der Wirtschaft,
einen in reifen Jahren, einen ganz alten im Altenteil, den er aber
noch nicht gesehen habe, und einen, der mit der Priska verheiratet sei.

Nun wollte Jahr von der Priska wissen.

Die habe ihren Jungfernkrauz zu Recht getragen, versetzte der Wirt.

Der Alte nickte. Wen sie denn geheiratet habe?

Die hat Hannfrieden seinen Großen geheirvt.

Der alte Jahr wußte nicht, wer Hannfriede war. Aber er wollte weiter
von der Priska wissen.

Ja, sagte der Wirt, die sei ein propres, schönes Weib, arbeitsam, flink.. .

Jahr unterbrach ihn mißtrauisch: Daß sie das noch so hinbringt. Is doch
itze auch schon bei Jahren, die Priska.

Da kam es heraus, daß die Priska vom Tätscherbäcker ein junges Weib von
fünfundzwanzig Jahren sei.

Der alte Jahr fing an zu lachen. Nein, die Priska, nach der er frage, die
habe die Siebzig schon überschritten.

Und dann saß er und rechnete. Seine Priska, die er zuletzt gesehen hatte,
wie fie, die Schürze vor das Gesicht geschlagen, ihre bitterlichen Thränen um sein
Scheiden weinte, seine Priska mochte doch wohl schon die Großmutter der jungen
Priska sein. Gewißheit hatte er sich nicht verschaffen können, der Wirt wußte weiter
nichts zu sagen.

Oben stellte sich allmählich die Hochzeitsgesellschaft zum Tanzen ein. Das
ganze Haus wurde unruhig davon. Jahr hörte dem Laufen und Rutschen zu und
den sachter Tönen, die von der Musik herunter drangen. Dann bat er, ihm sein
Logis zu zeigen, er wolle zur Ruhe geh".

Mau wies ihn nach oben. Hier aber war er dem Tanzen und Rutschen und
der Musik so nahe gerückt, daß er an Schlaf nicht denken konnte.

Er saß um Tisch, horchte hinüber.

Kleine Begebnisse aus seiner Jugend und Kindheit stiegen ihm auf, an die
er ein ganzes Menschenleben nicht mehr gedacht hatte. Da er räumlich näher ge¬
kommen war, stellte sich die Einnerung ein, wie eine schwatzhafte Person, die alles
weiß und von allem berichten möchte. Immer lebendiger wurde die Vergangenheit,
immer weiter trat die Gegenwart zurück, als würden all die Schleier, die von jeuer
abgehoben wurden, über diese gebreitet. Der Gedanke, der zu den Seinen hiunber-
sprang, faßte zuletzt kaum dort Fuß.

Auf dem Tisch brannte ein Licht, vor ihm neben dem Leuchter uns der weißen
Decke lag seine Ledertasche. Er stand auf, hängte sie an den Fensterriegel und sah
in die Nacht hinaus, nach dem langen Zug der Berghäupter, der sich wie eine
sacht gewellte Linie, wie ein hingezeichncter feiner, geschwungner Strich von dem




Heimkehr
Marthe Renate Fischer von (Fortsetzung)

in wenig später saß Jahr wieder hinter seinem Seidel und fing
von Goschen und Seitengvschen zu sprechen an. Der Gastwirt, ein
flinker, wohlgenährter Mann, hatte sich zu ihm gesetzt und erzählte,
den Tätscherbäcker aus Goschen kenne er wohl, der sei schon öfter
bei ihm eingekehrt. Es gebe eigentlich deren dreie in der Wirtschaft,
einen in reifen Jahren, einen ganz alten im Altenteil, den er aber
noch nicht gesehen habe, und einen, der mit der Priska verheiratet sei.

Nun wollte Jahr von der Priska wissen.

Die habe ihren Jungfernkrauz zu Recht getragen, versetzte der Wirt.

Der Alte nickte. Wen sie denn geheiratet habe?

Die hat Hannfrieden seinen Großen geheirvt.

Der alte Jahr wußte nicht, wer Hannfriede war. Aber er wollte weiter
von der Priska wissen.

Ja, sagte der Wirt, die sei ein propres, schönes Weib, arbeitsam, flink.. .

Jahr unterbrach ihn mißtrauisch: Daß sie das noch so hinbringt. Is doch
itze auch schon bei Jahren, die Priska.

Da kam es heraus, daß die Priska vom Tätscherbäcker ein junges Weib von
fünfundzwanzig Jahren sei.

Der alte Jahr fing an zu lachen. Nein, die Priska, nach der er frage, die
habe die Siebzig schon überschritten.

Und dann saß er und rechnete. Seine Priska, die er zuletzt gesehen hatte,
wie fie, die Schürze vor das Gesicht geschlagen, ihre bitterlichen Thränen um sein
Scheiden weinte, seine Priska mochte doch wohl schon die Großmutter der jungen
Priska sein. Gewißheit hatte er sich nicht verschaffen können, der Wirt wußte weiter
nichts zu sagen.

Oben stellte sich allmählich die Hochzeitsgesellschaft zum Tanzen ein. Das
ganze Haus wurde unruhig davon. Jahr hörte dem Laufen und Rutschen zu und
den sachter Tönen, die von der Musik herunter drangen. Dann bat er, ihm sein
Logis zu zeigen, er wolle zur Ruhe geh».

Mau wies ihn nach oben. Hier aber war er dem Tanzen und Rutschen und
der Musik so nahe gerückt, daß er an Schlaf nicht denken konnte.

Er saß um Tisch, horchte hinüber.

Kleine Begebnisse aus seiner Jugend und Kindheit stiegen ihm auf, an die
er ein ganzes Menschenleben nicht mehr gedacht hatte. Da er räumlich näher ge¬
kommen war, stellte sich die Einnerung ein, wie eine schwatzhafte Person, die alles
weiß und von allem berichten möchte. Immer lebendiger wurde die Vergangenheit,
immer weiter trat die Gegenwart zurück, als würden all die Schleier, die von jeuer
abgehoben wurden, über diese gebreitet. Der Gedanke, der zu den Seinen hiunber-
sprang, faßte zuletzt kaum dort Fuß.

Auf dem Tisch brannte ein Licht, vor ihm neben dem Leuchter uns der weißen
Decke lag seine Ledertasche. Er stand auf, hängte sie an den Fensterriegel und sah
in die Nacht hinaus, nach dem langen Zug der Berghäupter, der sich wie eine
sacht gewellte Linie, wie ein hingezeichncter feiner, geschwungner Strich von dem


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[0104] [Abbildung] Heimkehr Marthe Renate Fischer von (Fortsetzung) in wenig später saß Jahr wieder hinter seinem Seidel und fing von Goschen und Seitengvschen zu sprechen an. Der Gastwirt, ein flinker, wohlgenährter Mann, hatte sich zu ihm gesetzt und erzählte, den Tätscherbäcker aus Goschen kenne er wohl, der sei schon öfter bei ihm eingekehrt. Es gebe eigentlich deren dreie in der Wirtschaft, einen in reifen Jahren, einen ganz alten im Altenteil, den er aber noch nicht gesehen habe, und einen, der mit der Priska verheiratet sei. Nun wollte Jahr von der Priska wissen. Die habe ihren Jungfernkrauz zu Recht getragen, versetzte der Wirt. Der Alte nickte. Wen sie denn geheiratet habe? Die hat Hannfrieden seinen Großen geheirvt. Der alte Jahr wußte nicht, wer Hannfriede war. Aber er wollte weiter von der Priska wissen. Ja, sagte der Wirt, die sei ein propres, schönes Weib, arbeitsam, flink.. . Jahr unterbrach ihn mißtrauisch: Daß sie das noch so hinbringt. Is doch itze auch schon bei Jahren, die Priska. Da kam es heraus, daß die Priska vom Tätscherbäcker ein junges Weib von fünfundzwanzig Jahren sei. Der alte Jahr fing an zu lachen. Nein, die Priska, nach der er frage, die habe die Siebzig schon überschritten. Und dann saß er und rechnete. Seine Priska, die er zuletzt gesehen hatte, wie fie, die Schürze vor das Gesicht geschlagen, ihre bitterlichen Thränen um sein Scheiden weinte, seine Priska mochte doch wohl schon die Großmutter der jungen Priska sein. Gewißheit hatte er sich nicht verschaffen können, der Wirt wußte weiter nichts zu sagen. Oben stellte sich allmählich die Hochzeitsgesellschaft zum Tanzen ein. Das ganze Haus wurde unruhig davon. Jahr hörte dem Laufen und Rutschen zu und den sachter Tönen, die von der Musik herunter drangen. Dann bat er, ihm sein Logis zu zeigen, er wolle zur Ruhe geh». Mau wies ihn nach oben. Hier aber war er dem Tanzen und Rutschen und der Musik so nahe gerückt, daß er an Schlaf nicht denken konnte. Er saß um Tisch, horchte hinüber. Kleine Begebnisse aus seiner Jugend und Kindheit stiegen ihm auf, an die er ein ganzes Menschenleben nicht mehr gedacht hatte. Da er räumlich näher ge¬ kommen war, stellte sich die Einnerung ein, wie eine schwatzhafte Person, die alles weiß und von allem berichten möchte. Immer lebendiger wurde die Vergangenheit, immer weiter trat die Gegenwart zurück, als würden all die Schleier, die von jeuer abgehoben wurden, über diese gebreitet. Der Gedanke, der zu den Seinen hiunber- sprang, faßte zuletzt kaum dort Fuß. Auf dem Tisch brannte ein Licht, vor ihm neben dem Leuchter uns der weißen Decke lag seine Ledertasche. Er stand auf, hängte sie an den Fensterriegel und sah in die Nacht hinaus, nach dem langen Zug der Berghäupter, der sich wie eine sacht gewellte Linie, wie ein hingezeichncter feiner, geschwungner Strich von dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/104>, abgerufen am 01.09.2024.