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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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apostolischen Segen erteilend, die langgezognen Klänge des Parademnrschs der
ins Gewehr getretner und präsentierenden kaiserlichen Wache, lind dabei das
Ganze so still, so aus dem Grabe herausgeholt, so Rokoko, daß mau sich um
anderthalb Jahrhundert zurückversetzt glaubte. Auch Prozessionen können wir
gut mit ansehen, ohne daß wir das Bedürfnis fühlen, in Entrüstung über
Aberglauben und Götzendienst auszubrechen.

Daß wir in solchen Dingen mehr schaulustig als kritisch siud, liegt offenbar
in unsrer Natur: die Schaulust erklärt sich von selbst, und das Fehlen jedes
Wunsches, zu richten, führen wir auf die Achtung zurück, die wir vor allem
haben, was mit den Gefühlen unsrer Mitmenschen zusammenhängt. Was aber
die Herren mit den breitkrempigen Hüten und den langen schwarzen engan¬
liegenden Röcken anlangt, so wissen wir allerdings nicht, wie wir als Katholik
über sie urteilen würden, aber in unsrer Eigenschaft als Protestant müßten
wir mit Blindheit geschlagen sein, wenn wir in ihnen keine Feinde, Feinde
von der erbittertsten und gefährlichsten Art sähen.

Wir bilden über das, was man als Toleranz oder auf deutsch Duldung
bezeichnet, unsre eigne Ansicht, die ein solches ausnahmsweise gütliches Ge¬
schehnissen von etwas, was eigentlich gegen die Regel ist, in striktester Weise
auf den Staat und zwar dahin beschränkt, daß dieser von Duldung sprechen
kann, wenn er neben der Staatsreligion, die die Regel ist, anch andre
Religionsübungen zuläßt. Der Privatmann dagegen hat die religiösen Ge¬
fühle und Riten Andersgläubiger überhaupt nicht zu dulden, sondern er hat
sie zu achten. Mail duldet etwas, was mau unter Umstünden verbieten könnte:
unsrer Ansicht nach steht aber dem Einzelnen eine Kritik oder gar ein Ver-
bietungsrccht bezüglich des Glaubens, zu dem sich sein Uebermensch bekennt,
schlechterdings nicht zu: er befaßt sich mit ungelegten Eiern, wenn er durch
einen Tadel der Glaubensfreiheit irgend jemandes zu nahe tritt. Daß wir einem
Mormonen zwar die Hand zum Gruß, aber nicht unsre Tochter zur Frau
geben würden, hat weniger mit der Duldung des Mormonentums als mit der
vielleicht irrigen, aber bei uns nun einmal vorhandnen Überzeugung zu thun,
daß Vielweiberei für die Frauen sehr ungemütlich sein muß.

Beim Staate, das geben wir, wie gesagt, zu, ist von einer Duldung der
der Staatsreligion nicht angehörenden religiösen Genossenschaften die Rede.
Der protestantische Staat duldet katholischen, der katholische Staat duldet
protestantischen Gottesdienst.

Es liegt nicht in dein Wesen des christlichen Bekenntnisses, sich in welt¬
liche Dinge einzumischen, sie so oder so gestalten zu Wollen. Der protestan-
tische Staat, obwohl er Duldung übt und Ausnahmen von dem zuläßt,
was er aus irgend welchen mitunter mehr politischen als religiösen Gründen
zur Regel gemacht hat, bekümmert sich um das Bekenntnis der Anders¬
gläubigen nicht, solange sie sich, wie alle übrige" Unterthanen, dein Gesetz
und der Landessitte fügen. Wenn es andrerseits in einem katholischen Lande
üblich ist, vor der über die Straße weggetragnen Hostie den Hut abzunehmen,
so hat das der Protestant ebensogut zu thun wie der Katholik, und die stolze
Redensart, daß man sich nicht an einem Götzendienste beteiligen wolle, ist hier


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apostolischen Segen erteilend, die langgezognen Klänge des Parademnrschs der
ins Gewehr getretner und präsentierenden kaiserlichen Wache, lind dabei das
Ganze so still, so aus dem Grabe herausgeholt, so Rokoko, daß mau sich um
anderthalb Jahrhundert zurückversetzt glaubte. Auch Prozessionen können wir
gut mit ansehen, ohne daß wir das Bedürfnis fühlen, in Entrüstung über
Aberglauben und Götzendienst auszubrechen.

Daß wir in solchen Dingen mehr schaulustig als kritisch siud, liegt offenbar
in unsrer Natur: die Schaulust erklärt sich von selbst, und das Fehlen jedes
Wunsches, zu richten, führen wir auf die Achtung zurück, die wir vor allem
haben, was mit den Gefühlen unsrer Mitmenschen zusammenhängt. Was aber
die Herren mit den breitkrempigen Hüten und den langen schwarzen engan¬
liegenden Röcken anlangt, so wissen wir allerdings nicht, wie wir als Katholik
über sie urteilen würden, aber in unsrer Eigenschaft als Protestant müßten
wir mit Blindheit geschlagen sein, wenn wir in ihnen keine Feinde, Feinde
von der erbittertsten und gefährlichsten Art sähen.

Wir bilden über das, was man als Toleranz oder auf deutsch Duldung
bezeichnet, unsre eigne Ansicht, die ein solches ausnahmsweise gütliches Ge¬
schehnissen von etwas, was eigentlich gegen die Regel ist, in striktester Weise
auf den Staat und zwar dahin beschränkt, daß dieser von Duldung sprechen
kann, wenn er neben der Staatsreligion, die die Regel ist, anch andre
Religionsübungen zuläßt. Der Privatmann dagegen hat die religiösen Ge¬
fühle und Riten Andersgläubiger überhaupt nicht zu dulden, sondern er hat
sie zu achten. Mail duldet etwas, was mau unter Umstünden verbieten könnte:
unsrer Ansicht nach steht aber dem Einzelnen eine Kritik oder gar ein Ver-
bietungsrccht bezüglich des Glaubens, zu dem sich sein Uebermensch bekennt,
schlechterdings nicht zu: er befaßt sich mit ungelegten Eiern, wenn er durch
einen Tadel der Glaubensfreiheit irgend jemandes zu nahe tritt. Daß wir einem
Mormonen zwar die Hand zum Gruß, aber nicht unsre Tochter zur Frau
geben würden, hat weniger mit der Duldung des Mormonentums als mit der
vielleicht irrigen, aber bei uns nun einmal vorhandnen Überzeugung zu thun,
daß Vielweiberei für die Frauen sehr ungemütlich sein muß.

Beim Staate, das geben wir, wie gesagt, zu, ist von einer Duldung der
der Staatsreligion nicht angehörenden religiösen Genossenschaften die Rede.
Der protestantische Staat duldet katholischen, der katholische Staat duldet
protestantischen Gottesdienst.

Es liegt nicht in dein Wesen des christlichen Bekenntnisses, sich in welt¬
liche Dinge einzumischen, sie so oder so gestalten zu Wollen. Der protestan-
tische Staat, obwohl er Duldung übt und Ausnahmen von dem zuläßt,
was er aus irgend welchen mitunter mehr politischen als religiösen Gründen
zur Regel gemacht hat, bekümmert sich um das Bekenntnis der Anders¬
gläubigen nicht, solange sie sich, wie alle übrige» Unterthanen, dein Gesetz
und der Landessitte fügen. Wenn es andrerseits in einem katholischen Lande
üblich ist, vor der über die Straße weggetragnen Hostie den Hut abzunehmen,
so hat das der Protestant ebensogut zu thun wie der Katholik, und die stolze
Redensart, daß man sich nicht an einem Götzendienste beteiligen wolle, ist hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/93>, abgerufen am 22.07.2024.