Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Ideal ini Grunde genommen nichts andres versteh", als was fromme Christen Ein sehr nützliches und dabei anziehendes und geistreiches Buch hat der Ghm- Religion und Geschäft. In riuz (An-istiau ^Valck ?nlpit, einer eng¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Ideal ini Grunde genommen nichts andres versteh», als was fromme Christen Ein sehr nützliches und dabei anziehendes und geistreiches Buch hat der Ghm- Religion und Geschäft. In riuz (An-istiau ^Valck ?nlpit, einer eng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0749" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/238035"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3800" prev="#ID_3799"> Ideal ini Grunde genommen nichts andres versteh», als was fromme Christen<lb/> und edle Menschenfreunde von jeher erstrebt haben: die Vermindrung der Zahl<lb/> der Elenden, der Unwissenden, der Schlechten und der Bösen. Zur Arbeit für diesen<lb/> Zweck aufmuntern, indem man die verschiednen Bethätigungen des sozialen Geistes<lb/> in der Gegenwart schildert, das ist ja nun ganz löblich. Leider erinnern uns die<lb/> wütenden Jntcressenkämpfe unsrer Zeit alle Tage daran, daß der soziale Geist und<lb/> die Überzeugung von der Solidarität der menschlichen Interessen nicht in dem<lb/> Grade herrschen, wie der optimistische Verfasser zu glauben scheint. Am besten hat<lb/> uns der Abschnitt über die Sozialisierung der Kunst gefallen, der manchen be¬<lb/> herzigenswerten Gedanken, freilich mich manches anfechtbare Urteil über Kunstwerke<lb/> enthält. Eine Anmerkung auf Seite 103 lautet: „Mittelalterlicher Spruch: pixrnm<lb/> et mois viüvtnr sucloro aäcMi'ere «zuoä r-ossis sanguine v^r-irv. Zitiert bei Röscher,<lb/> Shstem der Volkswirtschaft. Band 1 Z 46." Selbstverständlich ist Röscher un¬<lb/> schuldig daran, daß der Versasser den bekannten Satz ans dem 14. Kapitel der<lb/> Germania des Taeitus für einen mittelalterlichen Spruch hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_3801"> Ein sehr nützliches und dabei anziehendes und geistreiches Buch hat der Ghm-<lb/> nasialdirettor Dr. Oskar Altenburg geschrieben: Die Arbeit im Dienste der<lb/> Gemeinschaft; Eltern und Erziehern unsrer deutschen Jngend gewidmet. (Berlin,<lb/> Renther und Reichard, 1901.) Der Verfasser zeigt, wie dem jungen Menschen dadurch,<lb/> daß man ihm die Entstehungsgeschichte jedes der Dinge erzählt, die er täglich gebraucht,<lb/> der Sinn der Weltgeschichte erschlossen werden könne, der darin bestehe, daß durch<lb/> die vom Bedürfnis erzwungne Arbeit alle Anlagen des Menschen entfaltet, alle<lb/> Gemeinschaften gestiftet, alle Tugenden erzeugt und die Individuen zu Persönlich¬<lb/> keiten vollendet werden; er zeigt, wie mau für diese Einführung in das Heiligtum<lb/> des historischen Verständnisses die Bibel und die alten Klassiker verwenden' soll.<lb/> Er fragt z. B. seine Schüler: Wie wohnen Homers Menschen? und führt sie der<lb/> Reihe nach in die Höhle des Cyklopen, in die Grotte der Kalypso, in die Hütte<lb/> des Sauhirteu, in die Paläste des Odysseus, des Nestor, des Menelaus, des<lb/> Phäakenkonigs. Dann: Was essen diese Menschen, wie dischen sie die Speisen auf?<lb/> Was ist dabei zu denken, daß die Könige Handwerkerarbeit, die königlichen Frauen<lb/> häusliche Arbeiten selbst verrichten? Er macht bet der Lektüre des Livius, des<lb/> Cäsar, des Taeitus auf die verschiednen Kulturstufen der Jtaliker, der Germanen<lb/> aufmerksam, die da geschildert werden. „Hornzens Gedichte wollen als kultur¬<lb/> geschichtlicher Lesestoff ersten Ranges gewürdigt sein." Von der Jugenderziehung<lb/> ausgehend zieht er das ganze Kulturleben, dem sie dienen soll, in den Kreis seiner<lb/> Betrachtungen. Den Inhalt mögen einige Kapitelüberschriften andeuten: Wie der<lb/> Mensch sein Heim gründet; das Doppclgesicht der Kultur; das Arbeitsfeld Jesu;<lb/> christlicher Jdealrcalismus; die Deutschen als Träger des Jdealrealismns; ganze<lb/> Menschen; die Kindererziehung eine soziale Pflicht. — Georg Liebe nennt seine<lb/> hübschen Bilder aus der deutschen Vergangenheit Soziale Sind im (Berlin und<lb/> Jena, Hermann Costenoble, 1991); kulturgeschichtliche Studien wäre richtiger, aber<lb/> freilich betrifft alles Kulturgeschichtliche die Gesellschaft, und das Wort sozial ist<lb/> nun einmal Mode. Liebe verwendet Urkunden, Briefe, Gedichte, namentlich Volks¬<lb/> lieder und malt mit diesem Material sechs Bildchen, die er betitelt: Ritter und<lb/> Schreiber, die soziale Wertung der Artillerie, die Wallfahrten des Mittelalters und<lb/> die öffentliche Meinung, militärisches Landstreichertum, Auslandsreisen und nationale<lb/> Opposition, die Nonne im Volkslied.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Religion und Geschäft.</head> <p xml:id="ID_3802" next="#ID_3803"> In riuz (An-istiau ^Valck ?nlpit, einer eng¬<lb/> lischen religiösen Wochenschrift, die unter anderm wöchentlich eine Predigt eines der<lb/> hervorragendsten englischen Kanzelredner bringt, sind auch häufig wertvolle<lb/> works ot' Ibons'de,, fromme Gedankensplitter, zu lesen. In einer Märznummer aus<lb/> diesem Jahre fanden wir sehr schöne religiöse Aussprüche, z. B. Gott kommt oft<lb/> zu uns zum Besuche, aber gewöhnlich siud wir nicht zu Hause (Abbe" Roux); Angst<lb/> und Sorge treiben zum Gebet, und das Gebet treibt Angst und Sorge fort</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0749]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ideal ini Grunde genommen nichts andres versteh», als was fromme Christen
und edle Menschenfreunde von jeher erstrebt haben: die Vermindrung der Zahl
der Elenden, der Unwissenden, der Schlechten und der Bösen. Zur Arbeit für diesen
Zweck aufmuntern, indem man die verschiednen Bethätigungen des sozialen Geistes
in der Gegenwart schildert, das ist ja nun ganz löblich. Leider erinnern uns die
wütenden Jntcressenkämpfe unsrer Zeit alle Tage daran, daß der soziale Geist und
die Überzeugung von der Solidarität der menschlichen Interessen nicht in dem
Grade herrschen, wie der optimistische Verfasser zu glauben scheint. Am besten hat
uns der Abschnitt über die Sozialisierung der Kunst gefallen, der manchen be¬
herzigenswerten Gedanken, freilich mich manches anfechtbare Urteil über Kunstwerke
enthält. Eine Anmerkung auf Seite 103 lautet: „Mittelalterlicher Spruch: pixrnm
et mois viüvtnr sucloro aäcMi'ere «zuoä r-ossis sanguine v^r-irv. Zitiert bei Röscher,
Shstem der Volkswirtschaft. Band 1 Z 46." Selbstverständlich ist Röscher un¬
schuldig daran, daß der Versasser den bekannten Satz ans dem 14. Kapitel der
Germania des Taeitus für einen mittelalterlichen Spruch hält.
Ein sehr nützliches und dabei anziehendes und geistreiches Buch hat der Ghm-
nasialdirettor Dr. Oskar Altenburg geschrieben: Die Arbeit im Dienste der
Gemeinschaft; Eltern und Erziehern unsrer deutschen Jngend gewidmet. (Berlin,
Renther und Reichard, 1901.) Der Verfasser zeigt, wie dem jungen Menschen dadurch,
daß man ihm die Entstehungsgeschichte jedes der Dinge erzählt, die er täglich gebraucht,
der Sinn der Weltgeschichte erschlossen werden könne, der darin bestehe, daß durch
die vom Bedürfnis erzwungne Arbeit alle Anlagen des Menschen entfaltet, alle
Gemeinschaften gestiftet, alle Tugenden erzeugt und die Individuen zu Persönlich¬
keiten vollendet werden; er zeigt, wie mau für diese Einführung in das Heiligtum
des historischen Verständnisses die Bibel und die alten Klassiker verwenden' soll.
Er fragt z. B. seine Schüler: Wie wohnen Homers Menschen? und führt sie der
Reihe nach in die Höhle des Cyklopen, in die Grotte der Kalypso, in die Hütte
des Sauhirteu, in die Paläste des Odysseus, des Nestor, des Menelaus, des
Phäakenkonigs. Dann: Was essen diese Menschen, wie dischen sie die Speisen auf?
Was ist dabei zu denken, daß die Könige Handwerkerarbeit, die königlichen Frauen
häusliche Arbeiten selbst verrichten? Er macht bet der Lektüre des Livius, des
Cäsar, des Taeitus auf die verschiednen Kulturstufen der Jtaliker, der Germanen
aufmerksam, die da geschildert werden. „Hornzens Gedichte wollen als kultur¬
geschichtlicher Lesestoff ersten Ranges gewürdigt sein." Von der Jugenderziehung
ausgehend zieht er das ganze Kulturleben, dem sie dienen soll, in den Kreis seiner
Betrachtungen. Den Inhalt mögen einige Kapitelüberschriften andeuten: Wie der
Mensch sein Heim gründet; das Doppclgesicht der Kultur; das Arbeitsfeld Jesu;
christlicher Jdealrcalismus; die Deutschen als Träger des Jdealrealismns; ganze
Menschen; die Kindererziehung eine soziale Pflicht. — Georg Liebe nennt seine
hübschen Bilder aus der deutschen Vergangenheit Soziale Sind im (Berlin und
Jena, Hermann Costenoble, 1991); kulturgeschichtliche Studien wäre richtiger, aber
freilich betrifft alles Kulturgeschichtliche die Gesellschaft, und das Wort sozial ist
nun einmal Mode. Liebe verwendet Urkunden, Briefe, Gedichte, namentlich Volks¬
lieder und malt mit diesem Material sechs Bildchen, die er betitelt: Ritter und
Schreiber, die soziale Wertung der Artillerie, die Wallfahrten des Mittelalters und
die öffentliche Meinung, militärisches Landstreichertum, Auslandsreisen und nationale
Opposition, die Nonne im Volkslied.
Religion und Geschäft. In riuz (An-istiau ^Valck ?nlpit, einer eng¬
lischen religiösen Wochenschrift, die unter anderm wöchentlich eine Predigt eines der
hervorragendsten englischen Kanzelredner bringt, sind auch häufig wertvolle
works ot' Ibons'de,, fromme Gedankensplitter, zu lesen. In einer Märznummer aus
diesem Jahre fanden wir sehr schöne religiöse Aussprüche, z. B. Gott kommt oft
zu uns zum Besuche, aber gewöhnlich siud wir nicht zu Hause (Abbe" Roux); Angst
und Sorge treiben zum Gebet, und das Gebet treibt Angst und Sorge fort
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