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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Wandrer hatte in seinem Bureau an seinem Pulte gesessen, als er sich diese
Gedanken durch den Kopf gehn ließ. Man brachte die Post. Gleich oben auf lag
ein Brief, der ein verdächtiges Äußere hatte, halb amtlich halb privat, mit einem
Wappen gesiegelt und dem Poststempel Hamburg. Als er ihn öffnete, fiel ein Brief
und ein Aktenstück heraus. Der Brief war unterschrieben: York von Nienhagen.
Aha! Der Brief lautete:

Verehrter Herr Wandrer. Ich wünschte, ich konnte Ihnen eine Vorstellung
davou geben, wie schwer es mir wird, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Aber es
muß sein. Es sei meine Strafe. Ich habe Ihr Vertrauen getäuscht, ich habe mein
Ehrenwort gebrochen, ich habe Ihre Kuxe verkauft und alles verspielt, ich habe
dazu neue Schulden gemacht -- wieviel, ist nicht nötig zu sagen. Die Pistole gäbe
hier eine leichte Lösung. Aber ich habe nicht vergessen, was ich Ihnen einst im Bohn-
hnrdt versprochen habe. Ich will die Folgen meiner Thaten auf mich nehmen. Ich will
leben, wenn ich auch wenig Hoffnung habe, wieder gut machen zu können, was ich
verfehlte. Ich habe nicht gelernt zu arbeiten. Wird mirs jetzt gelingen? Ich habe
meinen Abschied genommen und werde übers Wasser gehn. Irgendwo in der Welt
wird es wohl Krieg geben, dahin gehe ich, indem ich hoffe, daß eine mitleidige
Kugel ein Ende macht. Das wäre dann wenigstens ein anständiges Ende. Wenn
Sie hören, daß irgendwo, in Zentralamerika oder Südafrika ein preußischer Offizier
gefallen sei, so werden Sie wissen, wer es gewesen ist. Um wenigstens mein Un¬
recht an Ihnen in etwas gut zu machen, habe ich Ihnen mein Erbe notariell ver¬
pfändet. Verfügen Sie darüber wie über Ihr Eigentum. Viel wird freilich nicht
mehr davon übrig sein. Und nehmen Sie sich meiner armen Eltern und Elters
an. Dulden Sie nicht, daß man sie meinetwegen beraubt. Versprechen Sie mir
das. York.

Wieder ein schwerer Schlag. Ihn traf er nicht. Was schadete es ihm, ob er
die Papiere, die doch keinen Wert mehr hatten, verlor. Im Gegenteil. Die Schuld
bei Junker war bezahlt. Sie hatte, wenn die Papiere noch dort gelegen hätten,
neu gedeckt werden müssen. Aber die arme gnädige Frau. Sie verlor an dem¬
selben Tage Gemahl und Sohn. Das freilich war ihm von vornherein klar, daß
er von dem Briefe und von dem Dokumente keinen Gebrauch machen durfte.

Die gnädige Frau hatte den Tod ihres Mannes mit großer Fassung ertragen,
sie ertrug auch den neuen Schlag mit leidendem Heldenmut. Sie hatte von Uork
einen Brief erhalten, worin dieser seine Abreise nach Chile anzeigte. Besondre Um¬
stände nötigten ihn unverzüglich abzureisen, und er bedaure sehr. . und so weiter.
Er ließ durchblicken, daß in Chile preußische Offiziere als Jnstruktore gebraucht
würden, und daß dort mehr Ruhm zu erwerben sei als zu Haus in der Garnison.
Die gnädige Fran, die so wie so schon durch die Vorbereitungen zum Begräbnis
und die laugen und schwierigen Beratungen, die diese forderten, in Anspruch ge¬
nommen war, war zwar über die plötzliche Abreise Aorks etwas betreten, kam aber
bald dazu, die Sache von der günstigsten Seite anzusehen. Sie war geneigt an¬
zunehmen, daß Chile ihrem Uork ganz besondre Chancen bieten, und daß er
ohne Zweifel binnen kurzem als General zurückkehren werde. Fatal war uur, daß
York beim Begräbnis fehlen, und daß jedermann nach ihm fragen werde. Nun,
man that ja der Wahrheit keinen wesentlichen Abbruch, wenn man die Neise als
Dienstreise darstellte. Dies feste die gnädige Fran in wehklagenden Tone ihren
Töchtern auseinander. Alice rang weinend die Hände, und Ellen biß in zornigem
Schmerze die Zähne aufeinander und schwieg. Und Duttmüller war schlechter Lanne,
machte seiner Fran Vorwürfe und fragte jedermann, woher er nun seine dreihundert
Mark wieder kriegen sollte. -- Die kriegst du wieder, sagte Wandrer, wenn York
als General wiederkommt, woran, wie du ja gehört hast, kein Zweifel ist. Darauf
begab sich Duttmüller zu der gnädigen Frau, teils um nach ihrem Befinden zu sehen,
teils um mit ihr zu erwägen, welche Chancen York in Chile habe, und wie lange
es dauern werde, bis er als General zurückkehre.


Wandrer hatte in seinem Bureau an seinem Pulte gesessen, als er sich diese
Gedanken durch den Kopf gehn ließ. Man brachte die Post. Gleich oben auf lag
ein Brief, der ein verdächtiges Äußere hatte, halb amtlich halb privat, mit einem
Wappen gesiegelt und dem Poststempel Hamburg. Als er ihn öffnete, fiel ein Brief
und ein Aktenstück heraus. Der Brief war unterschrieben: York von Nienhagen.
Aha! Der Brief lautete:

Verehrter Herr Wandrer. Ich wünschte, ich konnte Ihnen eine Vorstellung
davou geben, wie schwer es mir wird, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Aber es
muß sein. Es sei meine Strafe. Ich habe Ihr Vertrauen getäuscht, ich habe mein
Ehrenwort gebrochen, ich habe Ihre Kuxe verkauft und alles verspielt, ich habe
dazu neue Schulden gemacht — wieviel, ist nicht nötig zu sagen. Die Pistole gäbe
hier eine leichte Lösung. Aber ich habe nicht vergessen, was ich Ihnen einst im Bohn-
hnrdt versprochen habe. Ich will die Folgen meiner Thaten auf mich nehmen. Ich will
leben, wenn ich auch wenig Hoffnung habe, wieder gut machen zu können, was ich
verfehlte. Ich habe nicht gelernt zu arbeiten. Wird mirs jetzt gelingen? Ich habe
meinen Abschied genommen und werde übers Wasser gehn. Irgendwo in der Welt
wird es wohl Krieg geben, dahin gehe ich, indem ich hoffe, daß eine mitleidige
Kugel ein Ende macht. Das wäre dann wenigstens ein anständiges Ende. Wenn
Sie hören, daß irgendwo, in Zentralamerika oder Südafrika ein preußischer Offizier
gefallen sei, so werden Sie wissen, wer es gewesen ist. Um wenigstens mein Un¬
recht an Ihnen in etwas gut zu machen, habe ich Ihnen mein Erbe notariell ver¬
pfändet. Verfügen Sie darüber wie über Ihr Eigentum. Viel wird freilich nicht
mehr davon übrig sein. Und nehmen Sie sich meiner armen Eltern und Elters
an. Dulden Sie nicht, daß man sie meinetwegen beraubt. Versprechen Sie mir
das. York.

Wieder ein schwerer Schlag. Ihn traf er nicht. Was schadete es ihm, ob er
die Papiere, die doch keinen Wert mehr hatten, verlor. Im Gegenteil. Die Schuld
bei Junker war bezahlt. Sie hatte, wenn die Papiere noch dort gelegen hätten,
neu gedeckt werden müssen. Aber die arme gnädige Frau. Sie verlor an dem¬
selben Tage Gemahl und Sohn. Das freilich war ihm von vornherein klar, daß
er von dem Briefe und von dem Dokumente keinen Gebrauch machen durfte.

Die gnädige Frau hatte den Tod ihres Mannes mit großer Fassung ertragen,
sie ertrug auch den neuen Schlag mit leidendem Heldenmut. Sie hatte von Uork
einen Brief erhalten, worin dieser seine Abreise nach Chile anzeigte. Besondre Um¬
stände nötigten ihn unverzüglich abzureisen, und er bedaure sehr. . und so weiter.
Er ließ durchblicken, daß in Chile preußische Offiziere als Jnstruktore gebraucht
würden, und daß dort mehr Ruhm zu erwerben sei als zu Haus in der Garnison.
Die gnädige Fran, die so wie so schon durch die Vorbereitungen zum Begräbnis
und die laugen und schwierigen Beratungen, die diese forderten, in Anspruch ge¬
nommen war, war zwar über die plötzliche Abreise Aorks etwas betreten, kam aber
bald dazu, die Sache von der günstigsten Seite anzusehen. Sie war geneigt an¬
zunehmen, daß Chile ihrem Uork ganz besondre Chancen bieten, und daß er
ohne Zweifel binnen kurzem als General zurückkehren werde. Fatal war uur, daß
York beim Begräbnis fehlen, und daß jedermann nach ihm fragen werde. Nun,
man that ja der Wahrheit keinen wesentlichen Abbruch, wenn man die Neise als
Dienstreise darstellte. Dies feste die gnädige Fran in wehklagenden Tone ihren
Töchtern auseinander. Alice rang weinend die Hände, und Ellen biß in zornigem
Schmerze die Zähne aufeinander und schwieg. Und Duttmüller war schlechter Lanne,
machte seiner Fran Vorwürfe und fragte jedermann, woher er nun seine dreihundert
Mark wieder kriegen sollte. — Die kriegst du wieder, sagte Wandrer, wenn York
als General wiederkommt, woran, wie du ja gehört hast, kein Zweifel ist. Darauf
begab sich Duttmüller zu der gnädigen Frau, teils um nach ihrem Befinden zu sehen,
teils um mit ihr zu erwägen, welche Chancen York in Chile habe, und wie lange
es dauern werde, bis er als General zurückkehre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/622>, abgerufen am 23.07.2024.