Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Nleltentwicklnng und Weltschöpfmig erregte dieser Widerspruch gegen die Lehren von der gleichzeitigen Schöpfung Nleltentwicklnng und Weltschöpfmig erregte dieser Widerspruch gegen die Lehren von der gleichzeitigen Schöpfung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0592" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237878"/> <fw type="header" place="top"> Nleltentwicklnng und Weltschöpfmig</fw><lb/> <p xml:id="ID_2988" prev="#ID_2987" next="#ID_2989"> erregte dieser Widerspruch gegen die Lehren von der gleichzeitigen Schöpfung<lb/> der gauzen Welt bei weitem nicht mehr so viel Aufsehen wie seine ersten rein<lb/> geologischen Werke. Wer die aufeinanderfolgenden Ausgaben seiner Werke<lb/> kennt, weiß, wie vorsichtig Lyell sich gegenüber der Lamarck-Darwinschen Lehre<lb/> von der allmählichen Entwicklung der Arten verhielt; aus seinen Briefen er¬<lb/> fahren wir, daß der Hauptgrund die Erkenntnis war, daß, was von den Pflanzen<lb/> und Tieren gesagt wurde, endlich notwendig auch auf den Menschen An¬<lb/> wendung finden mußte, für den dann das Wort „Schöpfung" aufhörte, einen<lb/> Sinn zu haben. Als er aber einmal den richtige,, Kern der Darwinschen<lb/> Theorie erfaßt hatte, schwand auch dieses Bedenken, wiewohl er nie ein Freund<lb/> der „Vergötterung der Zuchtwahl" geworden ist, sondern sich sein Urteil über<lb/> Einzelheiten der Darwinschen Lehren vorbehielt. In derselben Zeit, in der er<lb/> mit Darwin und Huxley darüber korrespondierte, las er philosophische Werte,<lb/> um sich über das Verhältnis eines freien Schöpferwillens zu den Gesetzen<lb/> der Entwicklung aufzuklären, und in einem seiner letzten Briefe an Darwin<lb/> (von 1869) spricht er sich entschieden für eine Lenkung der Richtung der<lb/> organischen Entwicklung durch eine höhere Macht ans. Mit Recht konnte<lb/> Stanley, der Dekan von Westminster, um seinem Grabe sagen: Religion und<lb/> Wissenschaft waren in ihm nicht getrennt, sondern unteilbar und eins. — Da<lb/> Darwins Leben und Briefe (1887 von seinem Sohne Francis veröffentlicht)<lb/> in Deutschland viel weniger bekannt geworden sind als andre darwinistische<lb/> Schriften, die es weit weniger verdienen, möchte ich mit ein paar Worten<lb/> auch die Gedanken des großen Naturforschers über Religion und Glauben<lb/> berühren. Darwin war, seinen eignen Angaben nach, ganz orthodox auf seiner<lb/> Reise um die Welt, auf der er den Grund zu allen seinen großen Entdeckungen<lb/> legte; er erreichte damals gerade sein dreißigstes Jahr. Aber das Nachdenken<lb/> über die Religionen, deren Unterschiede und Ähnlichkeiten seine vergleichenden<lb/> Völkerstudien ihn kennen lehrten, machte ihn zum Zweifler an der göttlichen<lb/> Offenbarung des Christentums. Sehr ungern und nur Schritt für Schritt<lb/> gab er diesen Glauben auf, hielt aber an seinem Gottesglauben auch dann<lb/> noch fest, als er selbst durch die mechanische Erklärung der Entwicklung der<lb/> Schöpfung durch die Auswahl des Passendsten im Kampf ums Dasein die<lb/> stärkste der bisherigen Stützen des Gottesbeweises aus der Natur, die kunstvolle<lb/> Zweckmäßigkeit der Lebewelt, so heftig wie keiner erschüttert hatte. Einst hatte<lb/> er, wie so viele andre, für einen vollgiltigen Beweis das tiefere, innere Ge¬<lb/> fühl gehalten, es müsse einen Gott geben, der diese schöne Welt geschaffen hat.<lb/> Er selbst hat diesen, Gefühl in seiner Reisebeschreibung schöne Worte geliehen,<lb/> wo er von der Bewundrung und Ergebung spricht, die den betrachtenden Geist<lb/> erfüllen und erheben; aber 1876 bezeichnet er sich als einen Mann, der dieses<lb/> Gefühl ganz verloren hat, vergleichbar einem, der farbenblind geworden sei, und<lb/> indem er überlegt, daß dieses Gefühl bei weitem nicht in allen Menschen und<lb/> Völkern erwache, glaubte er nicht weiter an seine Beweiskraft. Viel stärker<lb/> war in ihm noch, als er als reifer Mann am „Ursprung der Arten" schrieb,<lb/> die Überzeugung, daß diese Welt mit ihren Bewohnern nicht das Werk eines<lb/> blinden Zufalls sein könne; und diese Überzeugung teilte er mit seinem Freunde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0592]
Nleltentwicklnng und Weltschöpfmig
erregte dieser Widerspruch gegen die Lehren von der gleichzeitigen Schöpfung
der gauzen Welt bei weitem nicht mehr so viel Aufsehen wie seine ersten rein
geologischen Werke. Wer die aufeinanderfolgenden Ausgaben seiner Werke
kennt, weiß, wie vorsichtig Lyell sich gegenüber der Lamarck-Darwinschen Lehre
von der allmählichen Entwicklung der Arten verhielt; aus seinen Briefen er¬
fahren wir, daß der Hauptgrund die Erkenntnis war, daß, was von den Pflanzen
und Tieren gesagt wurde, endlich notwendig auch auf den Menschen An¬
wendung finden mußte, für den dann das Wort „Schöpfung" aufhörte, einen
Sinn zu haben. Als er aber einmal den richtige,, Kern der Darwinschen
Theorie erfaßt hatte, schwand auch dieses Bedenken, wiewohl er nie ein Freund
der „Vergötterung der Zuchtwahl" geworden ist, sondern sich sein Urteil über
Einzelheiten der Darwinschen Lehren vorbehielt. In derselben Zeit, in der er
mit Darwin und Huxley darüber korrespondierte, las er philosophische Werte,
um sich über das Verhältnis eines freien Schöpferwillens zu den Gesetzen
der Entwicklung aufzuklären, und in einem seiner letzten Briefe an Darwin
(von 1869) spricht er sich entschieden für eine Lenkung der Richtung der
organischen Entwicklung durch eine höhere Macht ans. Mit Recht konnte
Stanley, der Dekan von Westminster, um seinem Grabe sagen: Religion und
Wissenschaft waren in ihm nicht getrennt, sondern unteilbar und eins. — Da
Darwins Leben und Briefe (1887 von seinem Sohne Francis veröffentlicht)
in Deutschland viel weniger bekannt geworden sind als andre darwinistische
Schriften, die es weit weniger verdienen, möchte ich mit ein paar Worten
auch die Gedanken des großen Naturforschers über Religion und Glauben
berühren. Darwin war, seinen eignen Angaben nach, ganz orthodox auf seiner
Reise um die Welt, auf der er den Grund zu allen seinen großen Entdeckungen
legte; er erreichte damals gerade sein dreißigstes Jahr. Aber das Nachdenken
über die Religionen, deren Unterschiede und Ähnlichkeiten seine vergleichenden
Völkerstudien ihn kennen lehrten, machte ihn zum Zweifler an der göttlichen
Offenbarung des Christentums. Sehr ungern und nur Schritt für Schritt
gab er diesen Glauben auf, hielt aber an seinem Gottesglauben auch dann
noch fest, als er selbst durch die mechanische Erklärung der Entwicklung der
Schöpfung durch die Auswahl des Passendsten im Kampf ums Dasein die
stärkste der bisherigen Stützen des Gottesbeweises aus der Natur, die kunstvolle
Zweckmäßigkeit der Lebewelt, so heftig wie keiner erschüttert hatte. Einst hatte
er, wie so viele andre, für einen vollgiltigen Beweis das tiefere, innere Ge¬
fühl gehalten, es müsse einen Gott geben, der diese schöne Welt geschaffen hat.
Er selbst hat diesen, Gefühl in seiner Reisebeschreibung schöne Worte geliehen,
wo er von der Bewundrung und Ergebung spricht, die den betrachtenden Geist
erfüllen und erheben; aber 1876 bezeichnet er sich als einen Mann, der dieses
Gefühl ganz verloren hat, vergleichbar einem, der farbenblind geworden sei, und
indem er überlegt, daß dieses Gefühl bei weitem nicht in allen Menschen und
Völkern erwache, glaubte er nicht weiter an seine Beweiskraft. Viel stärker
war in ihm noch, als er als reifer Mann am „Ursprung der Arten" schrieb,
die Überzeugung, daß diese Welt mit ihren Bewohnern nicht das Werk eines
blinden Zufalls sein könne; und diese Überzeugung teilte er mit seinem Freunde
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |