Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Weltentwicklung und ZVeltschöpfung sierungen, worin sich die Materialisten tummelten, die schon vorher das große Dieselben Jahrzehnte, die den Materialismus eine Bedeutung in den Daß die meisten Zweige der Naturforschung zu dieser Zeit eine von Weltentwicklung und ZVeltschöpfung sierungen, worin sich die Materialisten tummelten, die schon vorher das große Dieselben Jahrzehnte, die den Materialismus eine Bedeutung in den Daß die meisten Zweige der Naturforschung zu dieser Zeit eine von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237864"/> <fw type="header" place="top"> Weltentwicklung und ZVeltschöpfung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2950" prev="#ID_2949"> sierungen, worin sich die Materialisten tummelten, die schon vorher das große<lb/> Wort geführt hatten. Darwin hatte für einsichtige Forscher eigentlich erst die<lb/> Aufgabe formuliert, an deren Losung man sich jetzt machen mußte; so ver¬<lb/> standen es ruhige Denker; ihre Stimme übertönte indessen weit der Lärm jener<lb/> Ausleger, die im Darwinismus hauptsächlich den Protest gegen die Schöpfungs¬<lb/> geschichte der Bibel sahen. Von ihnen wurde der vou Darwin mit richtigem<lb/> Gefühl zuerst gar nicht berührte „Affenmensch" mit Jnbel in den Vorder¬<lb/> grund gebracht. Für die andern gestalteten sich die Probleme der Enwicklungs-<lb/> lehre immer verwickelter und tiefer, je näher sie sie studierten, und mehr als<lb/> eine wissenschaftliche Reputation zerschellte an ihrer übereilten Deutung. Der<lb/> .Kampf ums Dasein verlor bald seinen Zauber. Nach einem Menschenalter<lb/> weiß man heute zahllose entwicklungsgeschichtliche Einzelthatsachen, aber von<lb/> dem Gaug der Entwicklung der Schöpfung weiß man nichts Sicherers, als<lb/> Darwin und seine Zeitgenossen gewußt hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2951"> Dieselben Jahrzehnte, die den Materialismus eine Bedeutung in den<lb/> Naturwissenschaften gewinnen sahen, wie ihn die vorangegangnen philosophischen<lb/> nicht für möglich gehalten hätten, erlebten anch das Aufblühn der angewandten<lb/> Naturwissenschaften in der Technik, der Medizin und andern Künsten. Sicher¬<lb/> lich hat gerade dies wesentlich zur Überschätzung einer ganz unphilosophischen,<lb/> die Wissenschaft wie ein Handwerk einseitig und kurzsichtig behandelnden<lb/> Richtung in der Naturforschung beigetragen, und ebendarum hat es auch dein<lb/> Materialismus Gläubige in Menge zugeführt. Große Leistungen in der Chemie<lb/> und der Physik vor allem wurden ja von Naturforschern erzielt, die sich be¬<lb/> wußt ablehnend zu jeder Art von Philosophie verhielten. Es waren nicht<lb/> die Wortführer der materialistischen Richtung, denn diese sind samt und sonders<lb/> in wissenschaftlichen Leistungen unbedeutend oder mindestens unschöpferisch ge¬<lb/> wesen; aber die meisten von ihnen meinten, mit dem Materialismus auskommen<lb/> zu können, und hielten ihn jedenfalls für weniger irreleitend als die spekulative<lb/> Naturphilosophie, die thatsächlich die Naturwissenschaften in Deutschland bis<lb/> in die dreißiger Jahre gelähmt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2952" next="#ID_2953"> Daß die meisten Zweige der Naturforschung zu dieser Zeit eine von<lb/> jenen Entwicklungen durchmachten, die reich an Problemen und verhältnismäßig<lb/> leicht erruugnen Lösungen sind, hatte bei billigen Denkern den Glauben<lb/> hervorgerufen, es werde nun immer so im Triumphe weiter und bestündig<lb/> aufwärts gehn. Zwar begannen schon um die Mitte des neunzehnten Jahr¬<lb/> hunderts einige Größen, zu denen man noch abgöttisch aufschaute, zu wanken.<lb/> Ich will nur die großen deutschen und französischen Geologen nennen, deren<lb/> Autorität für unangreifbar gegolten hatte. Was bleibt heute von den Ideen<lb/> L. von Buchs und Alexander von Humboldts übrig? Die Bedeutung der<lb/> Männer wird immer anerkannt, aber die Größe ihrer Irrtümer wird auch immer<lb/> deutlicher erkannt werden. Die ununterbrochne Fortentwicklung, die im Wesen<lb/> der Wissenschaft liegt, läßt es gar nicht anders zu, als daß die Mehrzahl der<lb/> Ergebnisse der Naturforschung aus provisorischen Bestimmungen besteht. Die<lb/> ganze Descendenztheorie mit dem Kampf ums Dasein und andern Tochter¬<lb/> hypothesen gehört zu den Lehren, die man für eine gewisse Zeit anerkennt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0578]
Weltentwicklung und ZVeltschöpfung
sierungen, worin sich die Materialisten tummelten, die schon vorher das große
Wort geführt hatten. Darwin hatte für einsichtige Forscher eigentlich erst die
Aufgabe formuliert, an deren Losung man sich jetzt machen mußte; so ver¬
standen es ruhige Denker; ihre Stimme übertönte indessen weit der Lärm jener
Ausleger, die im Darwinismus hauptsächlich den Protest gegen die Schöpfungs¬
geschichte der Bibel sahen. Von ihnen wurde der vou Darwin mit richtigem
Gefühl zuerst gar nicht berührte „Affenmensch" mit Jnbel in den Vorder¬
grund gebracht. Für die andern gestalteten sich die Probleme der Enwicklungs-
lehre immer verwickelter und tiefer, je näher sie sie studierten, und mehr als
eine wissenschaftliche Reputation zerschellte an ihrer übereilten Deutung. Der
.Kampf ums Dasein verlor bald seinen Zauber. Nach einem Menschenalter
weiß man heute zahllose entwicklungsgeschichtliche Einzelthatsachen, aber von
dem Gaug der Entwicklung der Schöpfung weiß man nichts Sicherers, als
Darwin und seine Zeitgenossen gewußt hatten.
Dieselben Jahrzehnte, die den Materialismus eine Bedeutung in den
Naturwissenschaften gewinnen sahen, wie ihn die vorangegangnen philosophischen
nicht für möglich gehalten hätten, erlebten anch das Aufblühn der angewandten
Naturwissenschaften in der Technik, der Medizin und andern Künsten. Sicher¬
lich hat gerade dies wesentlich zur Überschätzung einer ganz unphilosophischen,
die Wissenschaft wie ein Handwerk einseitig und kurzsichtig behandelnden
Richtung in der Naturforschung beigetragen, und ebendarum hat es auch dein
Materialismus Gläubige in Menge zugeführt. Große Leistungen in der Chemie
und der Physik vor allem wurden ja von Naturforschern erzielt, die sich be¬
wußt ablehnend zu jeder Art von Philosophie verhielten. Es waren nicht
die Wortführer der materialistischen Richtung, denn diese sind samt und sonders
in wissenschaftlichen Leistungen unbedeutend oder mindestens unschöpferisch ge¬
wesen; aber die meisten von ihnen meinten, mit dem Materialismus auskommen
zu können, und hielten ihn jedenfalls für weniger irreleitend als die spekulative
Naturphilosophie, die thatsächlich die Naturwissenschaften in Deutschland bis
in die dreißiger Jahre gelähmt hatte.
Daß die meisten Zweige der Naturforschung zu dieser Zeit eine von
jenen Entwicklungen durchmachten, die reich an Problemen und verhältnismäßig
leicht erruugnen Lösungen sind, hatte bei billigen Denkern den Glauben
hervorgerufen, es werde nun immer so im Triumphe weiter und bestündig
aufwärts gehn. Zwar begannen schon um die Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts einige Größen, zu denen man noch abgöttisch aufschaute, zu wanken.
Ich will nur die großen deutschen und französischen Geologen nennen, deren
Autorität für unangreifbar gegolten hatte. Was bleibt heute von den Ideen
L. von Buchs und Alexander von Humboldts übrig? Die Bedeutung der
Männer wird immer anerkannt, aber die Größe ihrer Irrtümer wird auch immer
deutlicher erkannt werden. Die ununterbrochne Fortentwicklung, die im Wesen
der Wissenschaft liegt, läßt es gar nicht anders zu, als daß die Mehrzahl der
Ergebnisse der Naturforschung aus provisorischen Bestimmungen besteht. Die
ganze Descendenztheorie mit dem Kampf ums Dasein und andern Tochter¬
hypothesen gehört zu den Lehren, die man für eine gewisse Zeit anerkennt,
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