Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.populäre Musikerbiographien Zeit, toan er nicht "ausschließlich in Arien" komponiert sei. Der Herr hat An denselben Wittmann ist Heinrich Marschner geraten. Hier über¬ Daß ein Komponist, der zwei Dutzend Bühnenwerke nnfznweisen hat, populäre Musikerbiographien Zeit, toan er nicht „ausschließlich in Arien" komponiert sei. Der Herr hat An denselben Wittmann ist Heinrich Marschner geraten. Hier über¬ Daß ein Komponist, der zwei Dutzend Bühnenwerke nnfznweisen hat, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237326"/> <fw type="header" place="top"> populäre Musikerbiographien</fw><lb/> <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> Zeit, toan er nicht „ausschließlich in Arien" komponiert sei. Der Herr hat<lb/> also von der französischen Oper seit Lnlly keine Ahnung. Die Charakteristik<lb/> des Meisters bestreite er mit dein bekannten Nekrolog des Klavierlehrers<lb/> Adams, dessen Unzulänglichkeit schon daraus hervorgeht, daß er Meyerbeer<lb/> als Vertreter der deutschen Schule anführt. Wo Wittmann ein eignes Wort<lb/> versucht, ist es nichtssagend.</p><lb/> <p xml:id="ID_138"> An denselben Wittmann ist Heinrich Marschner geraten. Hier über¬<lb/> rascht er uns durch Fleiß und bietet eine annehmbare Biographie. Mancherlei<lb/> bleibt noch zu beanstanden: die falsche Ableitung der romantischen Oper, das<lb/> Auskramen von Dokumenten und Patennamen in einem Volksbuch, die falsche<lb/> Behauptung, daß C. M. von Weber 1813 bis 181« in Preßburg Kapellmeister,<lb/> daß R. Schumann ein „unerbittlicher Kritiker" gewesen sei u. a. Aber Witt¬<lb/> mann kennt doch Marschuers Opern und bringt über seinen Lebensgnng neue<lb/> Mitteilungen. Ein andrer Wittmann, mit Vornamen Hermann, hat Lortziug<lb/> behandelt. Es ist zwar bedenklich, daß der Verfasser, um auf den Komponisten<lb/> von „Zar und Zimmermnnu" zu kommen, beim heiligen Ambrosius ausholt,<lb/> und daß er in der überlangen Einleitung, in der er die Geschichte der komischen<lb/> Oper zu skizzieren sucht, der Italiener und der Franzosen nicht gedenkt und unter<lb/> den Deutschen einen G. Benda wegläßt, einen Schenk aber bringt. 'Jedoch ist<lb/> die Arbeit im allgemeinen verständig und mit den: innern Anteil geschrieben, den<lb/> das in der That traurige Los Lortzings verdient. Nur die Nutzanwendungen<lb/> Hütten schärfer gezogen werden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_139" next="#ID_140"> Daß ein Komponist, der zwei Dutzend Bühnenwerke nnfznweisen hat,<lb/> fünf davon Hauptstücke des Repertoirs, im Elend verkommt, ist im heutigen<lb/> Deutschland glücklicherweise nicht mehr möglich. In der .Konzert- und Haus¬<lb/> komposition sind dagegen die Zustände noch sehr unerfreulich. Auf Seite 50<lb/> seiner Schubertbivgmphie erzählt A. Niggli, daß Franz Schubert seine ersten<lb/> zwölf Liederhefte ein für allemal nu Diabelli um 800 Gulden verkauft, der<lb/> Verleger aber an einem einzigen Stück aus einem dieser Hefte, an dein<lb/> „Wandrer," in dreißig Jahren 27 000 Gulden verdient hat. Bekannt ist<lb/> diese Thatsache schon lange, es ist aber gut, daß durch die Reclamschen Bio¬<lb/> graphien große Kreise vou solchen Verhältnissen erfahren. Nur sollten sie<lb/> auch zu wissen bekommen, daß das musikalische Verlagsrecht in Deutschland<lb/> alle Tage noch die Wiederkehr derartiger Ungeheuerlichkeiten ermöglicht. Im<lb/> übrigen ist die Arbeit als gutes und elegantes Lesebuch zu empfehlen; als<lb/> Sachverständiger gehört Niggli zur alten Garde. Der erste Satz von Schuberts<lb/> H-moll-Siufouie bleibt ihm ein Produkt der Anmut, in der Geschichte des<lb/> Liedes kennt er weder das siebzehnte noch das achtzehnte Jahrhundert, weiß<lb/> nichts vou Albert, Adam Krieger, nichts von Sperontes und Gefolge, nennt<lb/> nicht einmal I. A. P. Schulz. Die „dem Strophengesang gemäße, symmetrisch<lb/> gegliederte Form" fängt für ihn erst mit I. Fr. Reichardt und mit Zelter an,<lb/> die ihm noch dazu des Bäukelgcsaugs verdächtig siud. Möge der Himmel<lb/> unsrer Zeit recht bald ein Dutzend Bänkelsänger von diesem Schlag bescheren!<lb/> Über den wissenschaftlichen Charakter Nigglis orientiert eine Stelle aus der<lb/> Beschreibung des „Erlkönigs": „Nie — sagt er Seite 23 — hat das Schmerz-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
populäre Musikerbiographien
Zeit, toan er nicht „ausschließlich in Arien" komponiert sei. Der Herr hat
also von der französischen Oper seit Lnlly keine Ahnung. Die Charakteristik
des Meisters bestreite er mit dein bekannten Nekrolog des Klavierlehrers
Adams, dessen Unzulänglichkeit schon daraus hervorgeht, daß er Meyerbeer
als Vertreter der deutschen Schule anführt. Wo Wittmann ein eignes Wort
versucht, ist es nichtssagend.
An denselben Wittmann ist Heinrich Marschner geraten. Hier über¬
rascht er uns durch Fleiß und bietet eine annehmbare Biographie. Mancherlei
bleibt noch zu beanstanden: die falsche Ableitung der romantischen Oper, das
Auskramen von Dokumenten und Patennamen in einem Volksbuch, die falsche
Behauptung, daß C. M. von Weber 1813 bis 181« in Preßburg Kapellmeister,
daß R. Schumann ein „unerbittlicher Kritiker" gewesen sei u. a. Aber Witt¬
mann kennt doch Marschuers Opern und bringt über seinen Lebensgnng neue
Mitteilungen. Ein andrer Wittmann, mit Vornamen Hermann, hat Lortziug
behandelt. Es ist zwar bedenklich, daß der Verfasser, um auf den Komponisten
von „Zar und Zimmermnnu" zu kommen, beim heiligen Ambrosius ausholt,
und daß er in der überlangen Einleitung, in der er die Geschichte der komischen
Oper zu skizzieren sucht, der Italiener und der Franzosen nicht gedenkt und unter
den Deutschen einen G. Benda wegläßt, einen Schenk aber bringt. 'Jedoch ist
die Arbeit im allgemeinen verständig und mit den: innern Anteil geschrieben, den
das in der That traurige Los Lortzings verdient. Nur die Nutzanwendungen
Hütten schärfer gezogen werden können.
Daß ein Komponist, der zwei Dutzend Bühnenwerke nnfznweisen hat,
fünf davon Hauptstücke des Repertoirs, im Elend verkommt, ist im heutigen
Deutschland glücklicherweise nicht mehr möglich. In der .Konzert- und Haus¬
komposition sind dagegen die Zustände noch sehr unerfreulich. Auf Seite 50
seiner Schubertbivgmphie erzählt A. Niggli, daß Franz Schubert seine ersten
zwölf Liederhefte ein für allemal nu Diabelli um 800 Gulden verkauft, der
Verleger aber an einem einzigen Stück aus einem dieser Hefte, an dein
„Wandrer," in dreißig Jahren 27 000 Gulden verdient hat. Bekannt ist
diese Thatsache schon lange, es ist aber gut, daß durch die Reclamschen Bio¬
graphien große Kreise vou solchen Verhältnissen erfahren. Nur sollten sie
auch zu wissen bekommen, daß das musikalische Verlagsrecht in Deutschland
alle Tage noch die Wiederkehr derartiger Ungeheuerlichkeiten ermöglicht. Im
übrigen ist die Arbeit als gutes und elegantes Lesebuch zu empfehlen; als
Sachverständiger gehört Niggli zur alten Garde. Der erste Satz von Schuberts
H-moll-Siufouie bleibt ihm ein Produkt der Anmut, in der Geschichte des
Liedes kennt er weder das siebzehnte noch das achtzehnte Jahrhundert, weiß
nichts vou Albert, Adam Krieger, nichts von Sperontes und Gefolge, nennt
nicht einmal I. A. P. Schulz. Die „dem Strophengesang gemäße, symmetrisch
gegliederte Form" fängt für ihn erst mit I. Fr. Reichardt und mit Zelter an,
die ihm noch dazu des Bäukelgcsaugs verdächtig siud. Möge der Himmel
unsrer Zeit recht bald ein Dutzend Bänkelsänger von diesem Schlag bescheren!
Über den wissenschaftlichen Charakter Nigglis orientiert eine Stelle aus der
Beschreibung des „Erlkönigs": „Nie — sagt er Seite 23 — hat das Schmerz-
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