Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Kursächsische Streifzüge Luther selbst war zwar auch vor dieser Unterredung voll froher Hoffnung; Geliebt von ihrem Manne, dem jähzornigen, aber im Grunde gutmütigen Kur¬ Grenzboten II 1902 34
Kursächsische Streifzüge Luther selbst war zwar auch vor dieser Unterredung voll froher Hoffnung; Geliebt von ihrem Manne, dem jähzornigen, aber im Grunde gutmütigen Kur¬ Grenzboten II 1902 34
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237559"/> <fw type="header" place="top"> Kursächsische Streifzüge</fw><lb/> <p xml:id="ID_1411" prev="#ID_1410"> Luther selbst war zwar auch vor dieser Unterredung voll froher Hoffnung;<lb/> hatte er doch schon in Augsburg einem Italiener, der ihn fragte, wo er zu<lb/> bleiben gedenke, wenn der Kurfürst seine schützende Hand von ihm abziehe,<lb/> geantwortet: „Unter dem Himmel," aber in Wahrheit war gerade damals die<lb/> zarte Pflanze seines Werkes gefährdeter als jemals später. Zwei Jahre darauf,<lb/> am 11. Oktober 1520, fand in demselben Lichtenberg auf Wunsch des Kur¬<lb/> fürsten noch eine Unterredung des damals schon gebannten Luthers mit dem<lb/> päpstlichen Kammerherrn von Miltitz statt: aber auch diesesmcü brachen sich<lb/> alle die feinen Überredungs- und Vermittlungskünste des Höflings an dem<lb/> harten Felsen des Lutherscheu Gewissens. Bei diesen Unterredungen war<lb/> Luther auch dem Prüzeptor (Abt) der Autonier, Wolfgang Rcißcnbusch, näher<lb/> getreten und hatte auf ihn und seine Klostergenossen einen so tiefen Eindruck<lb/> gemacht, daß die „Töuniesherren" von Lichtenberg 1525 ihren Konvent auf¬<lb/> lösten und zur evangelischen Lehre übertraten. Wolfgang Neißenbusch ließ sich<lb/> sogar von Luther überreden, ein Weib zu nehmen. Ehe er sich dazu ent¬<lb/> schloß, äußerte er gegen Luther seine Sorge vor dem Übeln Geschwätz, das<lb/> daraus entsteh» werde. Aber dieser hieß ihn guten Muts sein: „Es ist um<lb/> ein kleines Schandstündlein zu thun, danach werden eitel Ehrenjahre folgen."<lb/> Bei dieser Umwandlung im Kloster Lichtenberg erhielten die fünf Klostervögte<lb/> aus dem reichen Besitze des Ordens jeder ein Hufcngut, die zwölf Arbeiter<lb/> aber je eine Gnrtennahrung. So entstand das Dorf Lichtenberg. Das übrige<lb/> Klostergut wurde zur Dotierung von Pfarrstellen und zur Einrichtung einer<lb/> stattlichen kurfürstlichen Domäne verwandt. Auch später kam der große Refor¬<lb/> mator und mit ihm sein sanfterer humanistischer Freund Melanchthon öfters<lb/> von Wittenberg nach Prettin. Noch verwahrt die Superintendentur das Visi¬<lb/> tationsprotokoll von 1529 mit Luthers eigenhändiger Namensunterschrift und<lb/> eignem Insiegel. Vor allem aber führte ihn der langjährige Aufenthalt der<lb/> brandenburgischen Kurfürstin Elisabeth in Prettin öfters in das stille Städtchen.<lb/> Die Geschichte dieser schwergeprüften Frau gewährt uns einen tiefen Einblick<lb/> in den gewaltigen Gärungsprozeß, dem in diesem Revolutivnszeitalter alle<lb/> Verhältnisse, auch die Baude der Familie unterlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> Geliebt von ihrem Manne, dem jähzornigen, aber im Grunde gutmütigen Kur¬<lb/> fürsten Joachim I., war Elisabeth (geboren 1485 als Prinzessin von Dänemark)<lb/> nach fünfnndzwanzigjähriger glücklicher Ehe, in der sie dem Gatten neun<lb/> Kinder geboren hatte, von der Allgewalt der Lehre Luthers ergriffen worden.<lb/> Ihr Gemahl war, wie Herzog Georg der Bärtige von Sachsen, ein ingrimmiger<lb/> Feind der neuen Ketzerei; deshalb genoß die Kurfürstin nur ganz insgeheim<lb/> das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Aber die Plauderei ihrer Tochter<lb/> Elisabeth verriet dem Vater das Geheimnis. Joachim war außer sich vor<lb/> Wut, verlangte, daß die Gattin dem Luthertum abschwöre, und als sie sich<lb/> dessen weigerte, ließ er sie einsperren und bewachen, ja er soll sogar gedroht<lb/> haben, sie lebendig einmauern zu lassen. Aber die Gefangne gewann ihre<lb/> Wächter, die Herren von Götz und von Bredow, und während sie den Kur¬<lb/> fürsten durch scheinbare Nachgiebigkeit täuschte, bereitete sie sich im Einver¬<lb/> ständnis mit ihrem Oheim, dem Kurfürsten Johann von Sachsen, zur Flucht.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1902 34</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0273]
Kursächsische Streifzüge
Luther selbst war zwar auch vor dieser Unterredung voll froher Hoffnung;
hatte er doch schon in Augsburg einem Italiener, der ihn fragte, wo er zu
bleiben gedenke, wenn der Kurfürst seine schützende Hand von ihm abziehe,
geantwortet: „Unter dem Himmel," aber in Wahrheit war gerade damals die
zarte Pflanze seines Werkes gefährdeter als jemals später. Zwei Jahre darauf,
am 11. Oktober 1520, fand in demselben Lichtenberg auf Wunsch des Kur¬
fürsten noch eine Unterredung des damals schon gebannten Luthers mit dem
päpstlichen Kammerherrn von Miltitz statt: aber auch diesesmcü brachen sich
alle die feinen Überredungs- und Vermittlungskünste des Höflings an dem
harten Felsen des Lutherscheu Gewissens. Bei diesen Unterredungen war
Luther auch dem Prüzeptor (Abt) der Autonier, Wolfgang Rcißcnbusch, näher
getreten und hatte auf ihn und seine Klostergenossen einen so tiefen Eindruck
gemacht, daß die „Töuniesherren" von Lichtenberg 1525 ihren Konvent auf¬
lösten und zur evangelischen Lehre übertraten. Wolfgang Neißenbusch ließ sich
sogar von Luther überreden, ein Weib zu nehmen. Ehe er sich dazu ent¬
schloß, äußerte er gegen Luther seine Sorge vor dem Übeln Geschwätz, das
daraus entsteh» werde. Aber dieser hieß ihn guten Muts sein: „Es ist um
ein kleines Schandstündlein zu thun, danach werden eitel Ehrenjahre folgen."
Bei dieser Umwandlung im Kloster Lichtenberg erhielten die fünf Klostervögte
aus dem reichen Besitze des Ordens jeder ein Hufcngut, die zwölf Arbeiter
aber je eine Gnrtennahrung. So entstand das Dorf Lichtenberg. Das übrige
Klostergut wurde zur Dotierung von Pfarrstellen und zur Einrichtung einer
stattlichen kurfürstlichen Domäne verwandt. Auch später kam der große Refor¬
mator und mit ihm sein sanfterer humanistischer Freund Melanchthon öfters
von Wittenberg nach Prettin. Noch verwahrt die Superintendentur das Visi¬
tationsprotokoll von 1529 mit Luthers eigenhändiger Namensunterschrift und
eignem Insiegel. Vor allem aber führte ihn der langjährige Aufenthalt der
brandenburgischen Kurfürstin Elisabeth in Prettin öfters in das stille Städtchen.
Die Geschichte dieser schwergeprüften Frau gewährt uns einen tiefen Einblick
in den gewaltigen Gärungsprozeß, dem in diesem Revolutivnszeitalter alle
Verhältnisse, auch die Baude der Familie unterlagen.
Geliebt von ihrem Manne, dem jähzornigen, aber im Grunde gutmütigen Kur¬
fürsten Joachim I., war Elisabeth (geboren 1485 als Prinzessin von Dänemark)
nach fünfnndzwanzigjähriger glücklicher Ehe, in der sie dem Gatten neun
Kinder geboren hatte, von der Allgewalt der Lehre Luthers ergriffen worden.
Ihr Gemahl war, wie Herzog Georg der Bärtige von Sachsen, ein ingrimmiger
Feind der neuen Ketzerei; deshalb genoß die Kurfürstin nur ganz insgeheim
das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Aber die Plauderei ihrer Tochter
Elisabeth verriet dem Vater das Geheimnis. Joachim war außer sich vor
Wut, verlangte, daß die Gattin dem Luthertum abschwöre, und als sie sich
dessen weigerte, ließ er sie einsperren und bewachen, ja er soll sogar gedroht
haben, sie lebendig einmauern zu lassen. Aber die Gefangne gewann ihre
Wächter, die Herren von Götz und von Bredow, und während sie den Kur¬
fürsten durch scheinbare Nachgiebigkeit täuschte, bereitete sie sich im Einver¬
ständnis mit ihrem Oheim, dem Kurfürsten Johann von Sachsen, zur Flucht.
Grenzboten II 1902 34
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