Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Geschwollen wenn man von sich spricht. Es ist also unbedenklich, zu sagen: "Ich war natürlich Zu den Obliegenheiten, die sich die Hüter unsers deutschen Sprachschatzes Der Rabe, dem der Fuchs den Käse abschwindelte, fühlte sich geschmeichelt, Aufgeblasen war der Frosch, als er auf den unglücklichen Gedanken gekommen Geschwollen wenn man von sich spricht. Es ist also unbedenklich, zu sagen: „Ich war natürlich Zu den Obliegenheiten, die sich die Hüter unsers deutschen Sprachschatzes Der Rabe, dem der Fuchs den Käse abschwindelte, fühlte sich geschmeichelt, Aufgeblasen war der Frosch, als er auf den unglücklichen Gedanken gekommen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237509"/> <fw type="header" place="top"> Geschwollen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1130" prev="#ID_1129"> wenn man von sich spricht. Es ist also unbedenklich, zu sagen: „Ich war natürlich<lb/> nicht wenig geschwollen," während man, wenn es sich um den Herrn Professor X<lb/> handelt, gutthnn wird, zu sagen: Der Herr Professor X scheint mir ein wenig<lb/> geschwollen. Über sich selbst kann man urteilen; einem Professor sieht man nicht<lb/> in den Magen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Zu den Obliegenheiten, die sich die Hüter unsers deutschen Sprachschatzes<lb/> zurechtgelegt haben, gehört auch die, daß sie Vorkommendenfalls dem einen oder<lb/> dem untern Worte, wie dies ja auch die Apotheker in ähnlicher Weise mit ihren<lb/> Tränkchen, Pulvern und Salben thun, ein Zettelchen aufkleben, woraus der Gläubige<lb/> ersieht, daß es ihrer Überzeugung nach familiär, trivial, volkstümlich, veraltet,<lb/> preziös, burschikos, vulgär, gemein oder schlimmeres ist. In Wörterbüchern er¬<lb/> warten uns in dieser Beziehung die seltsamsten Überraschungen. So ist man bis¬<lb/> weilen bei englisch-deutschen Interpreten dieser Art überrascht, englische Worte als<lb/> „gemein" oder „burschikos" gekennzeichnet zu finden, die man den Lippen authen-<lb/> tischer englischer Herzoginnen hat entschweben sehen, und die sich dabei — wir<lb/> meinen, wie sich das ohnehin aus der syntaktischen Fügung des Satzes ergiebt, die<lb/> Worte und nicht die Herzoginnen — weder schüchtern noch verlegen gebärdeten.<lb/> Dos kann nnr darin seinen Grund haben, daß entweder der Verkehr englischer<lb/> Herzoginnen mit englisch-deutschen Wörterbüchern und der der Verfasser englisch-<lb/> deutscher Wörterbücher mit englischen Herzoginnen kein besonders lebhafter ist, oder<lb/> daß das Avancement des einen oder des andern Slnngwortes zu einer der „Gesell¬<lb/> schaft" ohne jeden Anstoß geläufigen Vokabel der Redaktion nicht rechtzeitig gemeldet<lb/> Wird. Wir wissen nicht, wie unsre Autoritäten über das Wort „geschwollen" in der<lb/> von uns hier zu Gründe gelegten Bedeutung denken; es ist uus auch um deswillen<lb/> gleichgiltig, weil die Sache besteht, und sie deshalb auch, wie jedes anständige Kind,<lb/> einen Namen haben muß. Ein sonstiges, sich mit der Sache wirklich denkendes<lb/> Äquivalent ist uns aber im Deutschen nicht bekannt. Die Worte eitel, eingebildet,<lb/> hochnäsig, auf dem Kamele, bedeuten alle etwas andres, auch ist man bekanntlich<lb/> in vielen Fällen geschwollen, ohne deshalb notwendigerweise zugleich „gehoben,"<lb/> „gekitzelt," „gekratzt" oder „aufgeblasen" zu sei«.</p><lb/> <p xml:id="ID_1132"> Der Rabe, dem der Fuchs den Käse abschwindelte, fühlte sich geschmeichelt,<lb/> „burschikos" ausgedrückt, er fühlte sich gekratzt, und man muß billigerweise ein¬<lb/> räumen, daß man sich an seiner Stelle ebenfalls gekratzt gefühlt hätte, da Herr<lb/> Reineke seine Sache sehr geschickt angefangen hatte. Aber „geschwollen" war der<lb/> Rabe nicht: das geht ans mehr als einem Umstände hervor. Einmal sind dem<lb/> Geschwollensein zwar Gimpel, Papageien, Täubriche, alte Truthähne und sogar<lb/> minderbefähigte Eulen ausgesetzt, aber nicht Raben; dann erfahren wir, daß der<lb/> Umschmeichelte einen ganzen Käse, un kromlixo im Schnabel hatte, und es liegt auf<lb/> der Hand, daß er ihn, wenn es sich um Gcschwollensein hätte handeln sollen, bei<lb/> der ersten Anwandlung davon vornehm in Papier gewickelt und in die Tasche ge¬<lb/> steckt hätte; endlich wurde die Katastrophe dadurch herbeigeführt, daß der Rabe<lb/> etwas that, was man im geschwollnen Zustande nnr unter Sangcsbrüdern thut: er<lb/> schickte sich an, zu singen. Es singt oder schlägt das Rad mit dem Pfau um die<lb/> Wette, wer sich „gehoben" oder „gekratzt" fühlt; wer geschwollen ist, schweigt,<lb/> schließt oder rollt die Augen, verliert die frühere Leichtigkeit und Lebhaftigkeit der<lb/> Bewegungen, fäugt an zu posieren, verfällt in Starrkrampf; man könnte ihn für<lb/> hypnotisiert halten oder mit der Verdauung von Aalpastete beschäftigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1133" next="#ID_1134"> Aufgeblasen war der Frosch, als er auf den unglücklichen Gedanken gekommen<lb/> war, es im Wege künstlichen Sichaufblähens dem Ochsen an körperlichem Volumen<lb/> gleichzuthun. Der Titel der Fabel bezeichnet ihn ausdrücklich als In, Arsnonillo qu<lb/> voulait Kg lAiro -uissi xrosso guo lo twät. Ein solches Unterfangen bewies leider<lb/> zu deutlich, daß es dem als tragischer Held auftretenden Frosch an Bescheiden¬<lb/> heit und an Einsicht, also überhaupt an Sophrvshue fehlte. Er hätte im Vollgefühl<lb/> seiner Schönheit und Wichtigkeit geschwollen sein können, das hätte nur die Elasti-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0223]
Geschwollen
wenn man von sich spricht. Es ist also unbedenklich, zu sagen: „Ich war natürlich
nicht wenig geschwollen," während man, wenn es sich um den Herrn Professor X
handelt, gutthnn wird, zu sagen: Der Herr Professor X scheint mir ein wenig
geschwollen. Über sich selbst kann man urteilen; einem Professor sieht man nicht
in den Magen.
Zu den Obliegenheiten, die sich die Hüter unsers deutschen Sprachschatzes
zurechtgelegt haben, gehört auch die, daß sie Vorkommendenfalls dem einen oder
dem untern Worte, wie dies ja auch die Apotheker in ähnlicher Weise mit ihren
Tränkchen, Pulvern und Salben thun, ein Zettelchen aufkleben, woraus der Gläubige
ersieht, daß es ihrer Überzeugung nach familiär, trivial, volkstümlich, veraltet,
preziös, burschikos, vulgär, gemein oder schlimmeres ist. In Wörterbüchern er¬
warten uns in dieser Beziehung die seltsamsten Überraschungen. So ist man bis¬
weilen bei englisch-deutschen Interpreten dieser Art überrascht, englische Worte als
„gemein" oder „burschikos" gekennzeichnet zu finden, die man den Lippen authen-
tischer englischer Herzoginnen hat entschweben sehen, und die sich dabei — wir
meinen, wie sich das ohnehin aus der syntaktischen Fügung des Satzes ergiebt, die
Worte und nicht die Herzoginnen — weder schüchtern noch verlegen gebärdeten.
Dos kann nnr darin seinen Grund haben, daß entweder der Verkehr englischer
Herzoginnen mit englisch-deutschen Wörterbüchern und der der Verfasser englisch-
deutscher Wörterbücher mit englischen Herzoginnen kein besonders lebhafter ist, oder
daß das Avancement des einen oder des andern Slnngwortes zu einer der „Gesell¬
schaft" ohne jeden Anstoß geläufigen Vokabel der Redaktion nicht rechtzeitig gemeldet
Wird. Wir wissen nicht, wie unsre Autoritäten über das Wort „geschwollen" in der
von uns hier zu Gründe gelegten Bedeutung denken; es ist uus auch um deswillen
gleichgiltig, weil die Sache besteht, und sie deshalb auch, wie jedes anständige Kind,
einen Namen haben muß. Ein sonstiges, sich mit der Sache wirklich denkendes
Äquivalent ist uns aber im Deutschen nicht bekannt. Die Worte eitel, eingebildet,
hochnäsig, auf dem Kamele, bedeuten alle etwas andres, auch ist man bekanntlich
in vielen Fällen geschwollen, ohne deshalb notwendigerweise zugleich „gehoben,"
„gekitzelt," „gekratzt" oder „aufgeblasen" zu sei«.
Der Rabe, dem der Fuchs den Käse abschwindelte, fühlte sich geschmeichelt,
„burschikos" ausgedrückt, er fühlte sich gekratzt, und man muß billigerweise ein¬
räumen, daß man sich an seiner Stelle ebenfalls gekratzt gefühlt hätte, da Herr
Reineke seine Sache sehr geschickt angefangen hatte. Aber „geschwollen" war der
Rabe nicht: das geht ans mehr als einem Umstände hervor. Einmal sind dem
Geschwollensein zwar Gimpel, Papageien, Täubriche, alte Truthähne und sogar
minderbefähigte Eulen ausgesetzt, aber nicht Raben; dann erfahren wir, daß der
Umschmeichelte einen ganzen Käse, un kromlixo im Schnabel hatte, und es liegt auf
der Hand, daß er ihn, wenn es sich um Gcschwollensein hätte handeln sollen, bei
der ersten Anwandlung davon vornehm in Papier gewickelt und in die Tasche ge¬
steckt hätte; endlich wurde die Katastrophe dadurch herbeigeführt, daß der Rabe
etwas that, was man im geschwollnen Zustande nnr unter Sangcsbrüdern thut: er
schickte sich an, zu singen. Es singt oder schlägt das Rad mit dem Pfau um die
Wette, wer sich „gehoben" oder „gekratzt" fühlt; wer geschwollen ist, schweigt,
schließt oder rollt die Augen, verliert die frühere Leichtigkeit und Lebhaftigkeit der
Bewegungen, fäugt an zu posieren, verfällt in Starrkrampf; man könnte ihn für
hypnotisiert halten oder mit der Verdauung von Aalpastete beschäftigt.
Aufgeblasen war der Frosch, als er auf den unglücklichen Gedanken gekommen
war, es im Wege künstlichen Sichaufblähens dem Ochsen an körperlichem Volumen
gleichzuthun. Der Titel der Fabel bezeichnet ihn ausdrücklich als In, Arsnonillo qu
voulait Kg lAiro -uissi xrosso guo lo twät. Ein solches Unterfangen bewies leider
zu deutlich, daß es dem als tragischer Held auftretenden Frosch an Bescheiden¬
heit und an Einsicht, also überhaupt an Sophrvshue fehlte. Er hätte im Vollgefühl
seiner Schönheit und Wichtigkeit geschwollen sein können, das hätte nur die Elasti-
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