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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Hermann Allmers

dankbarste Gesellschaft. Er war in stetiger Verbindung mit seinem Freunde
Ernst Haeckel, dein Maler Willers und dem Bildhauer Kropp, dem Philo¬
logen Detlefsen und viele" andern. Er war auch selbst Mitbegründer der
berühmten Colonnagcsellschaft.

Nach seiner Heimkehr verfaßte er nach Erinnerungen und Aufzeichnungen
das Buch, das ihn am meisten bekannt gemacht hat: Römische Schlender¬
tage, das 1890 schon die neunte Auflage erlebt hat, was bei der Breite der
deutschen Litteratur über Italien viel sagen will. Es ist so recht ein Buch
für den behaglich genießenden Romfahrer, der gern allerlei lesen will, was
auf gründlicher Kenntnis beruht, ihn selber aber uicht mit Lebhaftigkeit und
Systematik heimsucht. Allmers schlendert in Rom umher, und bei seiner
staunenswerten Empfänglichkeit sieht er viel mehr als andre Menschen. Und
er sieht das, was jeden interessiert, keine trocknen fachmännischer Dinge. Ohne
gesuchte Witzcreißerei weiß er mit äußerster Behaglichkeit über das alte Rom,
das Rom des Mittelalters und der Renaissance, sowie das zeitgenössische zu
plaudern. Er geht mit uns durch Natur und Kunst, durch die Ruinen der
Cäsarcnpaläste, die Katakomben, das Ghetto, die Paläste und Villen, die
großen und die kleinen Kirchen, die Volksbelustigungen und Friedhöfe. Und
manches Thema gestaltet sich ihm dabei zu einem prächtigen, stimmungsvollen
Gedicht. Der Marschendichter sang nicht bloß von Deichen und Strohdächern,
von der Stcdinger Kampf und der Freiheit des Denkens, auch die klassische
Kunst, die Romantik der Landschaft, das italienische Volksleben hatten es ihm
angethan.

Ja er wagte einen noch viel kühnem Sprung. Goethe hat in seiner
Italienischen Reise die Skizze zu einem Drama "Elektra" hinterlassen. Orestes
und Iphigenia kommen aus Tauris heim und erliegen beinahe dem fürchter¬
lichen Mordbeil des Atridenhanses, das die leidenschaftliche Elektra, die die
Geschwister uicht erkennt, gegen sie schwingt. Im Augenblick der höchsten
Katastrophe löst sich der Knoten. Es ist Allmers vollkommen gelungen, sich
in den Geist der Goethischen Auffassung von der Antike hineinzufinden. Aber
weiter kommt er nicht, und damit ist ihm das Urteil gesprochen. Man setze
dieses nachempfnndnc Werk der Ursprünglichkeit der Iphigenia an die Seite,
und die Unermeßlichkeit des Abstands ist dargethan. Es ist einigemale dem
Dichter zu Ehren aufgeführt worden, ein weiteres Leben führt es nicht.

Damit ist der nicht große Kreis der wichtigen Allmersschen Schriften um¬
schrieben. Denn was draußen liegt ("Harro Harresen, eine Alpen- und
Mnrscheugeschichte," ferner "Hauptmann Böse, ein Buch für das deutsche Volk"
und einige Kleinigkeiten) bedarf keiner eingehenden Würdigung. Man wird
vielleicht staunen, daß damit ein Mann dieses Maß von Popularität errungen
hat, das ihm zuletzt eigen war.

Es war der Mensch Hermann Allmers, der aus seinen Werken heraus
lebte und leuchtete. Darin liegt das ganze Geheimnis. Einen Punkt haben
Wir schon im Eingang berührt: er war der Priester des Heimatkultus, eine
Art Patriarch der ganzen Gegend. Aber das wurde er erst sehr spät, eigene-
^es erst auf Grund seines Ruhmes. Die Anfänge seiner Popularität wurzeln


Hermann Allmers

dankbarste Gesellschaft. Er war in stetiger Verbindung mit seinem Freunde
Ernst Haeckel, dein Maler Willers und dem Bildhauer Kropp, dem Philo¬
logen Detlefsen und viele« andern. Er war auch selbst Mitbegründer der
berühmten Colonnagcsellschaft.

Nach seiner Heimkehr verfaßte er nach Erinnerungen und Aufzeichnungen
das Buch, das ihn am meisten bekannt gemacht hat: Römische Schlender¬
tage, das 1890 schon die neunte Auflage erlebt hat, was bei der Breite der
deutschen Litteratur über Italien viel sagen will. Es ist so recht ein Buch
für den behaglich genießenden Romfahrer, der gern allerlei lesen will, was
auf gründlicher Kenntnis beruht, ihn selber aber uicht mit Lebhaftigkeit und
Systematik heimsucht. Allmers schlendert in Rom umher, und bei seiner
staunenswerten Empfänglichkeit sieht er viel mehr als andre Menschen. Und
er sieht das, was jeden interessiert, keine trocknen fachmännischer Dinge. Ohne
gesuchte Witzcreißerei weiß er mit äußerster Behaglichkeit über das alte Rom,
das Rom des Mittelalters und der Renaissance, sowie das zeitgenössische zu
plaudern. Er geht mit uns durch Natur und Kunst, durch die Ruinen der
Cäsarcnpaläste, die Katakomben, das Ghetto, die Paläste und Villen, die
großen und die kleinen Kirchen, die Volksbelustigungen und Friedhöfe. Und
manches Thema gestaltet sich ihm dabei zu einem prächtigen, stimmungsvollen
Gedicht. Der Marschendichter sang nicht bloß von Deichen und Strohdächern,
von der Stcdinger Kampf und der Freiheit des Denkens, auch die klassische
Kunst, die Romantik der Landschaft, das italienische Volksleben hatten es ihm
angethan.

Ja er wagte einen noch viel kühnem Sprung. Goethe hat in seiner
Italienischen Reise die Skizze zu einem Drama „Elektra" hinterlassen. Orestes
und Iphigenia kommen aus Tauris heim und erliegen beinahe dem fürchter¬
lichen Mordbeil des Atridenhanses, das die leidenschaftliche Elektra, die die
Geschwister uicht erkennt, gegen sie schwingt. Im Augenblick der höchsten
Katastrophe löst sich der Knoten. Es ist Allmers vollkommen gelungen, sich
in den Geist der Goethischen Auffassung von der Antike hineinzufinden. Aber
weiter kommt er nicht, und damit ist ihm das Urteil gesprochen. Man setze
dieses nachempfnndnc Werk der Ursprünglichkeit der Iphigenia an die Seite,
und die Unermeßlichkeit des Abstands ist dargethan. Es ist einigemale dem
Dichter zu Ehren aufgeführt worden, ein weiteres Leben führt es nicht.

Damit ist der nicht große Kreis der wichtigen Allmersschen Schriften um¬
schrieben. Denn was draußen liegt („Harro Harresen, eine Alpen- und
Mnrscheugeschichte," ferner „Hauptmann Böse, ein Buch für das deutsche Volk"
und einige Kleinigkeiten) bedarf keiner eingehenden Würdigung. Man wird
vielleicht staunen, daß damit ein Mann dieses Maß von Popularität errungen
hat, das ihm zuletzt eigen war.

Es war der Mensch Hermann Allmers, der aus seinen Werken heraus
lebte und leuchtete. Darin liegt das ganze Geheimnis. Einen Punkt haben
Wir schon im Eingang berührt: er war der Priester des Heimatkultus, eine
Art Patriarch der ganzen Gegend. Aber das wurde er erst sehr spät, eigene-
^es erst auf Grund seines Ruhmes. Die Anfänge seiner Popularität wurzeln


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[0219] Hermann Allmers dankbarste Gesellschaft. Er war in stetiger Verbindung mit seinem Freunde Ernst Haeckel, dein Maler Willers und dem Bildhauer Kropp, dem Philo¬ logen Detlefsen und viele« andern. Er war auch selbst Mitbegründer der berühmten Colonnagcsellschaft. Nach seiner Heimkehr verfaßte er nach Erinnerungen und Aufzeichnungen das Buch, das ihn am meisten bekannt gemacht hat: Römische Schlender¬ tage, das 1890 schon die neunte Auflage erlebt hat, was bei der Breite der deutschen Litteratur über Italien viel sagen will. Es ist so recht ein Buch für den behaglich genießenden Romfahrer, der gern allerlei lesen will, was auf gründlicher Kenntnis beruht, ihn selber aber uicht mit Lebhaftigkeit und Systematik heimsucht. Allmers schlendert in Rom umher, und bei seiner staunenswerten Empfänglichkeit sieht er viel mehr als andre Menschen. Und er sieht das, was jeden interessiert, keine trocknen fachmännischer Dinge. Ohne gesuchte Witzcreißerei weiß er mit äußerster Behaglichkeit über das alte Rom, das Rom des Mittelalters und der Renaissance, sowie das zeitgenössische zu plaudern. Er geht mit uns durch Natur und Kunst, durch die Ruinen der Cäsarcnpaläste, die Katakomben, das Ghetto, die Paläste und Villen, die großen und die kleinen Kirchen, die Volksbelustigungen und Friedhöfe. Und manches Thema gestaltet sich ihm dabei zu einem prächtigen, stimmungsvollen Gedicht. Der Marschendichter sang nicht bloß von Deichen und Strohdächern, von der Stcdinger Kampf und der Freiheit des Denkens, auch die klassische Kunst, die Romantik der Landschaft, das italienische Volksleben hatten es ihm angethan. Ja er wagte einen noch viel kühnem Sprung. Goethe hat in seiner Italienischen Reise die Skizze zu einem Drama „Elektra" hinterlassen. Orestes und Iphigenia kommen aus Tauris heim und erliegen beinahe dem fürchter¬ lichen Mordbeil des Atridenhanses, das die leidenschaftliche Elektra, die die Geschwister uicht erkennt, gegen sie schwingt. Im Augenblick der höchsten Katastrophe löst sich der Knoten. Es ist Allmers vollkommen gelungen, sich in den Geist der Goethischen Auffassung von der Antike hineinzufinden. Aber weiter kommt er nicht, und damit ist ihm das Urteil gesprochen. Man setze dieses nachempfnndnc Werk der Ursprünglichkeit der Iphigenia an die Seite, und die Unermeßlichkeit des Abstands ist dargethan. Es ist einigemale dem Dichter zu Ehren aufgeführt worden, ein weiteres Leben führt es nicht. Damit ist der nicht große Kreis der wichtigen Allmersschen Schriften um¬ schrieben. Denn was draußen liegt („Harro Harresen, eine Alpen- und Mnrscheugeschichte," ferner „Hauptmann Böse, ein Buch für das deutsche Volk" und einige Kleinigkeiten) bedarf keiner eingehenden Würdigung. Man wird vielleicht staunen, daß damit ein Mann dieses Maß von Popularität errungen hat, das ihm zuletzt eigen war. Es war der Mensch Hermann Allmers, der aus seinen Werken heraus lebte und leuchtete. Darin liegt das ganze Geheimnis. Einen Punkt haben Wir schon im Eingang berührt: er war der Priester des Heimatkultus, eine Art Patriarch der ganzen Gegend. Aber das wurde er erst sehr spät, eigene- ^es erst auf Grund seines Ruhmes. Die Anfänge seiner Popularität wurzeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/219>, abgerufen am 23.07.2024.