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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung

mit etwas Zurückhaltung, die an den Diplomaten erinnert, zu dem er übrigens
auch alle Fähigkeiten hat. Er spricht vorzüglich französisch und weiß wie sein
Herr viel Reiz in seine Unterhaltung zu legen, sodaß er selbst rein technischen
Dingen jede Nüchternheit zu nehmen versteht. Ich werde mich jederzeit mit
Vergnügen der Unterhaltungen erinnern, die ich mit ihm führte. Unter See¬
leuten ist man weit vom Feinde, weit vom Protokoll, da kann man leichter
sein Herz ausschütten. Der Admiral schien sehr froh zu sein, daß ich über
die Fortschritte im Marinewescn in Deutschland erstaunt war. In der That
ist es zum Teil sein eigen Werk. Der Admiral bewunderte die französische
Flotte, und während wir von Fachsachen sprechen, wird das Gespräch all¬
mählich allgemeiner:

"Ja, sagt mir der Admiral, es ist bedauerlich, daß unsre beiden Flotten
uicht zuweilen zusammen arbeiten. In Deutschland wie in Frankreich wünschen
das viele. In der jetzigen Stärke der Flotten gäbe es eine ansehnliche Macht,
die für uns, wie auch für Ihr Land, trotz Ihrer Überlegenheit zur See, nützlich
wäre."

"Ein Diplomat hat geschrieben, warf ich hier ein, daß Frankreich und
Deutschland im Bunde der Welt Gesetze geben könnten; das ist vielleicht ein
Traum, aber was halten Sie von dieser Behauptung?"

"Das ist ganz meine Ansicht, erwiderte der Admiral lebhaft, und gerade
deshalb, glauben Sie mir, bemüht sich Europa immer, solches Einvernehmen
zu hintertreiben. Die Zeit ist noch nicht gekommen, die Geister sind noch
nicht reif. Freilich Hütte schon einiges geschehn können; bei der ersten An¬
näherung, als die "Iphigenie" (das französische Seekadettenschulschisf) nach
Bergen kam, da hat man nichts erreicht, weil man nicht wollte."

"Das "man", das sind wir. Was der Admiral aber nicht sagte, ist, daß
Herr Delcasse sich dem schlank widersetzte. Unser Minister war von seinen
britannischen Gedanken beeinflußt. Auch wenn wir an unsern legitimen und
patriotischen Hoffnungen festhalten, ist es doch nicht nötig, aus der Grenz-
frnge ein Ultimatum zu machen (!), um über China, den Orient und die armen
Buren zu sprechen!"

Als dann von technischen Einzelheiten gesprochen wird, kommt die Rede
bald auf die Unterseeboote. "Ah, er scheint sie uicht hoch zu schätzen. Das
erinnert mich an Lafontaines Fabel: Die Trauben sind noch zu grün! Er
erkennt ihren Nutzen nur für die Verteidigung an, will von ihrem Wert für
den Angriff und namentlich von ihrer Steuerfähigkeit nichts wissen und beruft
sich auf die geringe Brauchbarkeit ihrer Einrichtungen zum Beobachten. Er
führt als Beweis die Ergebnisse mit dem amerikanischen Hollandboot an. Auf
die Gefahr hin, seine seemännische Eigenliebe zu verletzen, erwidre ich ihm, daß
unsre Boote vortrefflich sind, daß sie sich gut bewähren und sehr gut zu steuern
sind und der französischen Marine einen Vorsprung von mindestens zehn Jahren
über alle Seemächte der Erde geben. Und innerlich glaube ich, ist der Admiral
meiner Ansicht." Cnverville giebt sich da wieder einer Selbsttäuschung hin,
allerdings einer in Frankreich weit verbreiteten. Diese viel besprochnen Unter¬
seeboote haben genau alle die Eigenschaften, die nach der französischen Auf-


Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung

mit etwas Zurückhaltung, die an den Diplomaten erinnert, zu dem er übrigens
auch alle Fähigkeiten hat. Er spricht vorzüglich französisch und weiß wie sein
Herr viel Reiz in seine Unterhaltung zu legen, sodaß er selbst rein technischen
Dingen jede Nüchternheit zu nehmen versteht. Ich werde mich jederzeit mit
Vergnügen der Unterhaltungen erinnern, die ich mit ihm führte. Unter See¬
leuten ist man weit vom Feinde, weit vom Protokoll, da kann man leichter
sein Herz ausschütten. Der Admiral schien sehr froh zu sein, daß ich über
die Fortschritte im Marinewescn in Deutschland erstaunt war. In der That
ist es zum Teil sein eigen Werk. Der Admiral bewunderte die französische
Flotte, und während wir von Fachsachen sprechen, wird das Gespräch all¬
mählich allgemeiner:

»Ja, sagt mir der Admiral, es ist bedauerlich, daß unsre beiden Flotten
uicht zuweilen zusammen arbeiten. In Deutschland wie in Frankreich wünschen
das viele. In der jetzigen Stärke der Flotten gäbe es eine ansehnliche Macht,
die für uns, wie auch für Ihr Land, trotz Ihrer Überlegenheit zur See, nützlich
wäre.«

»Ein Diplomat hat geschrieben, warf ich hier ein, daß Frankreich und
Deutschland im Bunde der Welt Gesetze geben könnten; das ist vielleicht ein
Traum, aber was halten Sie von dieser Behauptung?«

»Das ist ganz meine Ansicht, erwiderte der Admiral lebhaft, und gerade
deshalb, glauben Sie mir, bemüht sich Europa immer, solches Einvernehmen
zu hintertreiben. Die Zeit ist noch nicht gekommen, die Geister sind noch
nicht reif. Freilich Hütte schon einiges geschehn können; bei der ersten An¬
näherung, als die »Iphigenie« (das französische Seekadettenschulschisf) nach
Bergen kam, da hat man nichts erreicht, weil man nicht wollte.«

„Das »man«, das sind wir. Was der Admiral aber nicht sagte, ist, daß
Herr Delcasse sich dem schlank widersetzte. Unser Minister war von seinen
britannischen Gedanken beeinflußt. Auch wenn wir an unsern legitimen und
patriotischen Hoffnungen festhalten, ist es doch nicht nötig, aus der Grenz-
frnge ein Ultimatum zu machen (!), um über China, den Orient und die armen
Buren zu sprechen!"

Als dann von technischen Einzelheiten gesprochen wird, kommt die Rede
bald auf die Unterseeboote. „Ah, er scheint sie uicht hoch zu schätzen. Das
erinnert mich an Lafontaines Fabel: Die Trauben sind noch zu grün! Er
erkennt ihren Nutzen nur für die Verteidigung an, will von ihrem Wert für
den Angriff und namentlich von ihrer Steuerfähigkeit nichts wissen und beruft
sich auf die geringe Brauchbarkeit ihrer Einrichtungen zum Beobachten. Er
führt als Beweis die Ergebnisse mit dem amerikanischen Hollandboot an. Auf
die Gefahr hin, seine seemännische Eigenliebe zu verletzen, erwidre ich ihm, daß
unsre Boote vortrefflich sind, daß sie sich gut bewähren und sehr gut zu steuern
sind und der französischen Marine einen Vorsprung von mindestens zehn Jahren
über alle Seemächte der Erde geben. Und innerlich glaube ich, ist der Admiral
meiner Ansicht." Cnverville giebt sich da wieder einer Selbsttäuschung hin,
allerdings einer in Frankreich weit verbreiteten. Diese viel besprochnen Unter¬
seeboote haben genau alle die Eigenschaften, die nach der französischen Auf-


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[0147] Zwei französische Urteile über Deutschlands Seegeltung mit etwas Zurückhaltung, die an den Diplomaten erinnert, zu dem er übrigens auch alle Fähigkeiten hat. Er spricht vorzüglich französisch und weiß wie sein Herr viel Reiz in seine Unterhaltung zu legen, sodaß er selbst rein technischen Dingen jede Nüchternheit zu nehmen versteht. Ich werde mich jederzeit mit Vergnügen der Unterhaltungen erinnern, die ich mit ihm führte. Unter See¬ leuten ist man weit vom Feinde, weit vom Protokoll, da kann man leichter sein Herz ausschütten. Der Admiral schien sehr froh zu sein, daß ich über die Fortschritte im Marinewescn in Deutschland erstaunt war. In der That ist es zum Teil sein eigen Werk. Der Admiral bewunderte die französische Flotte, und während wir von Fachsachen sprechen, wird das Gespräch all¬ mählich allgemeiner: »Ja, sagt mir der Admiral, es ist bedauerlich, daß unsre beiden Flotten uicht zuweilen zusammen arbeiten. In Deutschland wie in Frankreich wünschen das viele. In der jetzigen Stärke der Flotten gäbe es eine ansehnliche Macht, die für uns, wie auch für Ihr Land, trotz Ihrer Überlegenheit zur See, nützlich wäre.« »Ein Diplomat hat geschrieben, warf ich hier ein, daß Frankreich und Deutschland im Bunde der Welt Gesetze geben könnten; das ist vielleicht ein Traum, aber was halten Sie von dieser Behauptung?« »Das ist ganz meine Ansicht, erwiderte der Admiral lebhaft, und gerade deshalb, glauben Sie mir, bemüht sich Europa immer, solches Einvernehmen zu hintertreiben. Die Zeit ist noch nicht gekommen, die Geister sind noch nicht reif. Freilich Hütte schon einiges geschehn können; bei der ersten An¬ näherung, als die »Iphigenie« (das französische Seekadettenschulschisf) nach Bergen kam, da hat man nichts erreicht, weil man nicht wollte.« „Das »man«, das sind wir. Was der Admiral aber nicht sagte, ist, daß Herr Delcasse sich dem schlank widersetzte. Unser Minister war von seinen britannischen Gedanken beeinflußt. Auch wenn wir an unsern legitimen und patriotischen Hoffnungen festhalten, ist es doch nicht nötig, aus der Grenz- frnge ein Ultimatum zu machen (!), um über China, den Orient und die armen Buren zu sprechen!" Als dann von technischen Einzelheiten gesprochen wird, kommt die Rede bald auf die Unterseeboote. „Ah, er scheint sie uicht hoch zu schätzen. Das erinnert mich an Lafontaines Fabel: Die Trauben sind noch zu grün! Er erkennt ihren Nutzen nur für die Verteidigung an, will von ihrem Wert für den Angriff und namentlich von ihrer Steuerfähigkeit nichts wissen und beruft sich auf die geringe Brauchbarkeit ihrer Einrichtungen zum Beobachten. Er führt als Beweis die Ergebnisse mit dem amerikanischen Hollandboot an. Auf die Gefahr hin, seine seemännische Eigenliebe zu verletzen, erwidre ich ihm, daß unsre Boote vortrefflich sind, daß sie sich gut bewähren und sehr gut zu steuern sind und der französischen Marine einen Vorsprung von mindestens zehn Jahren über alle Seemächte der Erde geben. Und innerlich glaube ich, ist der Admiral meiner Ansicht." Cnverville giebt sich da wieder einer Selbsttäuschung hin, allerdings einer in Frankreich weit verbreiteten. Diese viel besprochnen Unter¬ seeboote haben genau alle die Eigenschaften, die nach der französischen Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/147>, abgerufen am 23.07.2024.