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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Geistige Strömungen im Katholizismus

des Ausdrucks allerdings auf feiten der Presse ist. Die Angriffe des Bischofs
von Nancy werden wohl zu weitem litterarischen Erörterungen führen, die
unzweifelhaft den theologischen Unterricht, die Abfallsbewegung im Priester-
und Laienstande, die Beteiligung der Laien an den sozialen und kirchlichen
Angelegenheiten, die Teilnahme des Klerus an der sozialen Bewegung unsrer
Tage und manche andre Dinge einer eingehenden Prüfung unterziehn werden.
Der Bischof von Ncincy hat sich und seiner Sache einen schlechten Dienst er¬
wiesen, daß er die Erzbischöfe von Bourges und Albi in seinen verschiednen
Schriften und Briefen direkt angegriffen hat. Aus dem übrigen Episkopate
Frankreichs hat sich noch niemand in diesem Streite zum Worte gemeldet.




Der deutsche Klerus wurde vou der modernen theologischen und kanv-
nistischen Forscherarbeit nicht überrascht. Seit langer Zeit gewohnt, solchen
Ansichten zu begegnen, hat er in der Weise darauf geantwortet, daß er an
eine Nachprüfung der vorgelegten Ergebnisse herantrat und bemerkenswerte
Erfolge dabei erzielte. Die Führer dieser wissenschaftlichen Berteidiguugs-
bewegnug siud in der Hauptsache unsre Theologen an den Universitäten, einzelne
Seminarprvfessoren und Privatgelehrte gewesen. Die Folgen dieser kritischen
Sichtung machten sich im allgemeinen in der günstigsten Weise bemerkbar, wie
von den Gegnern selbst anerkannt werden mußte.

Ju Osterreich war seit langer Zeit keinerlei frisches Leben im dortigen
Katholizismus bemerkbar. Der theologische Unterricht im allgemeinen, sowohl
der systematische wie der historische, lag sehr im argen. Das Vascottische
Handbuch beherrschte das Termin in vielen Seminarien. Der erste Anstoß
zu eiuer Anbahnung lebhaftern Strebens war gegeben, als am 9. Juni 1901
die Leogesellschaft zur Pflege von Kunst und Wissenschaft in Österreich die
Genehmigung der Staatsbehörde erhielt. An sie schlössen sich alle die Elemente
an, deuen ein Aufschwung des katholischen wissenschaftlichen Lebens am Herzen
lag. In den abgelaufnen zehn Jahren ihres Bestehens hat diese Gesellschaft
großes geleistet, und sie hat sich durch ihre Veröffentlichungen einen hoch¬
geachteten Namen erworben.

In den theologischen Fakultäten Österreichs hatte man es schon lange
als ein sehr großes Hindernis für den bessern Betrieb der Studien empfunden,
daß man erstens keine wissenschaftlichen Seminarien für Kirchengeschichte,
Exegese, kanonisches Recht usw. in den Fakultäten hatte, und zweitens sich
mit einer veralteten, wertlosen Nigorosenordnung herumschleppeu mußte. Nach
beideu Richtungen hin haben die im besten Sinne fortschrittlichen Fakultäten,
wenn auch erst nach Überwindung der größten Hindernisse, den vollen Sieg
davongetragen, sodaß in Zukunft auf beiden Gebieten mit modernen Mitteln
gearbeitet werden kann. Der deutlichste Ausdruck des energischen Willens der
Wiener Fakultät, mit dem überlieferten Schlendrian aufzuräumen, war die Be¬
rufung des Professors Ehrhard aus Würzburg. Kaum war er in Wien, so
erfolgte eine gewissermaßen programmatische Kundgebung von ihm, als er in
einer laugen Rezension und Kritik im Litteraturblatt der Leogesellschaft das


Geistige Strömungen im Katholizismus

des Ausdrucks allerdings auf feiten der Presse ist. Die Angriffe des Bischofs
von Nancy werden wohl zu weitem litterarischen Erörterungen führen, die
unzweifelhaft den theologischen Unterricht, die Abfallsbewegung im Priester-
und Laienstande, die Beteiligung der Laien an den sozialen und kirchlichen
Angelegenheiten, die Teilnahme des Klerus an der sozialen Bewegung unsrer
Tage und manche andre Dinge einer eingehenden Prüfung unterziehn werden.
Der Bischof von Ncincy hat sich und seiner Sache einen schlechten Dienst er¬
wiesen, daß er die Erzbischöfe von Bourges und Albi in seinen verschiednen
Schriften und Briefen direkt angegriffen hat. Aus dem übrigen Episkopate
Frankreichs hat sich noch niemand in diesem Streite zum Worte gemeldet.




Der deutsche Klerus wurde vou der modernen theologischen und kanv-
nistischen Forscherarbeit nicht überrascht. Seit langer Zeit gewohnt, solchen
Ansichten zu begegnen, hat er in der Weise darauf geantwortet, daß er an
eine Nachprüfung der vorgelegten Ergebnisse herantrat und bemerkenswerte
Erfolge dabei erzielte. Die Führer dieser wissenschaftlichen Berteidiguugs-
bewegnug siud in der Hauptsache unsre Theologen an den Universitäten, einzelne
Seminarprvfessoren und Privatgelehrte gewesen. Die Folgen dieser kritischen
Sichtung machten sich im allgemeinen in der günstigsten Weise bemerkbar, wie
von den Gegnern selbst anerkannt werden mußte.

Ju Osterreich war seit langer Zeit keinerlei frisches Leben im dortigen
Katholizismus bemerkbar. Der theologische Unterricht im allgemeinen, sowohl
der systematische wie der historische, lag sehr im argen. Das Vascottische
Handbuch beherrschte das Termin in vielen Seminarien. Der erste Anstoß
zu eiuer Anbahnung lebhaftern Strebens war gegeben, als am 9. Juni 1901
die Leogesellschaft zur Pflege von Kunst und Wissenschaft in Österreich die
Genehmigung der Staatsbehörde erhielt. An sie schlössen sich alle die Elemente
an, deuen ein Aufschwung des katholischen wissenschaftlichen Lebens am Herzen
lag. In den abgelaufnen zehn Jahren ihres Bestehens hat diese Gesellschaft
großes geleistet, und sie hat sich durch ihre Veröffentlichungen einen hoch¬
geachteten Namen erworben.

In den theologischen Fakultäten Österreichs hatte man es schon lange
als ein sehr großes Hindernis für den bessern Betrieb der Studien empfunden,
daß man erstens keine wissenschaftlichen Seminarien für Kirchengeschichte,
Exegese, kanonisches Recht usw. in den Fakultäten hatte, und zweitens sich
mit einer veralteten, wertlosen Nigorosenordnung herumschleppeu mußte. Nach
beideu Richtungen hin haben die im besten Sinne fortschrittlichen Fakultäten,
wenn auch erst nach Überwindung der größten Hindernisse, den vollen Sieg
davongetragen, sodaß in Zukunft auf beiden Gebieten mit modernen Mitteln
gearbeitet werden kann. Der deutlichste Ausdruck des energischen Willens der
Wiener Fakultät, mit dem überlieferten Schlendrian aufzuräumen, war die Be¬
rufung des Professors Ehrhard aus Würzburg. Kaum war er in Wien, so
erfolgte eine gewissermaßen programmatische Kundgebung von ihm, als er in
einer laugen Rezension und Kritik im Litteraturblatt der Leogesellschaft das


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[0139] Geistige Strömungen im Katholizismus des Ausdrucks allerdings auf feiten der Presse ist. Die Angriffe des Bischofs von Nancy werden wohl zu weitem litterarischen Erörterungen führen, die unzweifelhaft den theologischen Unterricht, die Abfallsbewegung im Priester- und Laienstande, die Beteiligung der Laien an den sozialen und kirchlichen Angelegenheiten, die Teilnahme des Klerus an der sozialen Bewegung unsrer Tage und manche andre Dinge einer eingehenden Prüfung unterziehn werden. Der Bischof von Ncincy hat sich und seiner Sache einen schlechten Dienst er¬ wiesen, daß er die Erzbischöfe von Bourges und Albi in seinen verschiednen Schriften und Briefen direkt angegriffen hat. Aus dem übrigen Episkopate Frankreichs hat sich noch niemand in diesem Streite zum Worte gemeldet. Der deutsche Klerus wurde vou der modernen theologischen und kanv- nistischen Forscherarbeit nicht überrascht. Seit langer Zeit gewohnt, solchen Ansichten zu begegnen, hat er in der Weise darauf geantwortet, daß er an eine Nachprüfung der vorgelegten Ergebnisse herantrat und bemerkenswerte Erfolge dabei erzielte. Die Führer dieser wissenschaftlichen Berteidiguugs- bewegnug siud in der Hauptsache unsre Theologen an den Universitäten, einzelne Seminarprvfessoren und Privatgelehrte gewesen. Die Folgen dieser kritischen Sichtung machten sich im allgemeinen in der günstigsten Weise bemerkbar, wie von den Gegnern selbst anerkannt werden mußte. Ju Osterreich war seit langer Zeit keinerlei frisches Leben im dortigen Katholizismus bemerkbar. Der theologische Unterricht im allgemeinen, sowohl der systematische wie der historische, lag sehr im argen. Das Vascottische Handbuch beherrschte das Termin in vielen Seminarien. Der erste Anstoß zu eiuer Anbahnung lebhaftern Strebens war gegeben, als am 9. Juni 1901 die Leogesellschaft zur Pflege von Kunst und Wissenschaft in Österreich die Genehmigung der Staatsbehörde erhielt. An sie schlössen sich alle die Elemente an, deuen ein Aufschwung des katholischen wissenschaftlichen Lebens am Herzen lag. In den abgelaufnen zehn Jahren ihres Bestehens hat diese Gesellschaft großes geleistet, und sie hat sich durch ihre Veröffentlichungen einen hoch¬ geachteten Namen erworben. In den theologischen Fakultäten Österreichs hatte man es schon lange als ein sehr großes Hindernis für den bessern Betrieb der Studien empfunden, daß man erstens keine wissenschaftlichen Seminarien für Kirchengeschichte, Exegese, kanonisches Recht usw. in den Fakultäten hatte, und zweitens sich mit einer veralteten, wertlosen Nigorosenordnung herumschleppeu mußte. Nach beideu Richtungen hin haben die im besten Sinne fortschrittlichen Fakultäten, wenn auch erst nach Überwindung der größten Hindernisse, den vollen Sieg davongetragen, sodaß in Zukunft auf beiden Gebieten mit modernen Mitteln gearbeitet werden kann. Der deutlichste Ausdruck des energischen Willens der Wiener Fakultät, mit dem überlieferten Schlendrian aufzuräumen, war die Be¬ rufung des Professors Ehrhard aus Würzburg. Kaum war er in Wien, so erfolgte eine gewissermaßen programmatische Kundgebung von ihm, als er in einer laugen Rezension und Kritik im Litteraturblatt der Leogesellschaft das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/139>, abgerufen am 23.07.2024.