Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Die britische Regierung Mann an die richtige Stelle zu setzen. Der Geschichtsschreiber I. R. Green Bei der Schaffung des neuen Beamteustcmtes lehnten sich die Tudors Die britische Regierung Mann an die richtige Stelle zu setzen. Der Geschichtsschreiber I. R. Green Bei der Schaffung des neuen Beamteustcmtes lehnten sich die Tudors <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237413"/> <fw type="header" place="top"> Die britische Regierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669"> Mann an die richtige Stelle zu setzen. Der Geschichtsschreiber I. R. Green<lb/> sieht in dein Zeitalter der Tudors einen Rückschritt in der Entwicklung der<lb/> englischen Verfassung. Von seinem Standpunkte, dem des Geschichtsschreibers<lb/> des Volkes, hat Green Recht. Aber kein Rückschritt hat England als Ganzes<lb/> so gefördert wie gerade dieser, und unter den Verhältnissen war er eine Not¬<lb/> wendigkeit. Der Niedergang der Feudalwelt mußte eine Stärkung der Königs¬<lb/> gewalt nach sich ziehn, und England ist dabei besser gefahren als Deutschland,<lb/> wo die Übermacht der Fürsten dem Ganzen nicht gerade zum Heile gereicht<lb/> hat. Für Deutschland war die Schaffung des Beamtenstaates, die sich ans<lb/> dem Übergang von der feudalen Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft der<lb/> Neuzeit als notwendig ergab, eine Aufgabe, die wohl von den Fürsten gelöst<lb/> worden ist, an der das Reich aber scheiterte. In England gelang die Lösung<lb/> ohne große Schwierigkeit, weil kein Widerstand zu überwinden war. Wenn<lb/> deshalb auf zwei Jahrhunderte der Einfluß des Parlaments auf die Ver¬<lb/> waltung in den Hintergrund trat, so wurde der Schade, vorausgesetzt, daß es<lb/> überhaupt einer war, mehr als aufgewogen durch die innere Festigkeit und Ge¬<lb/> schlossenheit des Staatsgebäudes, die England ermöglichte, seine Kräfte zu¬<lb/> sammenzufassen, das deutsche Volk, das ihm im sechzehnten Jahrhundert noch<lb/> an Kapitalkraft weit überlegen war, zu überflügeln und ein Weltreich zu<lb/> gründen.</p><lb/> <p xml:id="ID_671" next="#ID_672"> Bei der Schaffung des neuen Beamteustcmtes lehnten sich die Tudors<lb/> an das Hergebrachte an, ganz gemäß dem konservativen Charakter ihres Volkes,<lb/> das auch tief einschneidende Verändrungen äußerlich zu verdecken und zu<lb/> übertünchen liebt; und wo Änderungen nicht unumgänglich nötig waren, ließen<lb/> sie das Alte ruhig weiter bestehn. Im Geheimen Rate treffen wir dieselben<lb/> großen Würdenträger wieder an wie vordem, nnr daß sie ihre Bedeutung nicht<lb/> mehr in sich selbst und ihrer Hausmacht haben, sondern vom König erhalten,<lb/> der, wie er sie berufen hat, sie auch wieder beiseite schieben und, Wenns ihm<lb/> beliebt, mit allen gebührenden richterlichen Formen aufs Blutgerüst schicken<lb/> kann. Als Vermittler des persönlichen Willens des Königs tritt ferner zu<lb/> ihnen dessen Sekretär, der sich aus der untergeordneten Stellung, die er ur¬<lb/> sprünglich einnahm, schnell zum wichtigsten Mitgliede des ganzen Geheimen<lb/> Rates auswächst. Viele der alten Ämter, z. B. das des Lordkämmerers,<lb/> waren für die Staatsverwaltung nur noch von geringer Bedeutung; andre<lb/> wurden zu bloßen Hofstantpvsten, wie das des Haushofmeisters oder Scneschalls<lb/> (Steward). Wirkliche Wichtigkeit behielten nur noch zwei, die des Lordkanzlcrs<lb/> und des Lordschatzmeistcrs. An Ansehen und Rang stand am höchsten der<lb/> Lordkanzler, Großsiegelbewahrer, oberster Richter und Vorsitzender des Ober¬<lb/> hauses. An praktischer Bedeutung jedoch überragte ihn der Lordschatzmeister,<lb/> der, schon unter den normannischen Königen der wichtigste Beamte, unter den<lb/> Tudors zum Haupte und zur Seele der gesamten Verwaltung wurde. Die<lb/> Sorge für das Ganze machte natürlich eine Entlastung von den eigentlichen<lb/> Arbeiten des Schatzamtes nötig, und die Leitung des Finanzwesens ging an<lb/> den Schatzkauzler (vluwvsllor ok tluz Dxvüöcinsr) über. An diese drei schloß<lb/> sich noch der Geheimsiegelbewahrer, der in früherer Zeit als der besondre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0127]
Die britische Regierung
Mann an die richtige Stelle zu setzen. Der Geschichtsschreiber I. R. Green
sieht in dein Zeitalter der Tudors einen Rückschritt in der Entwicklung der
englischen Verfassung. Von seinem Standpunkte, dem des Geschichtsschreibers
des Volkes, hat Green Recht. Aber kein Rückschritt hat England als Ganzes
so gefördert wie gerade dieser, und unter den Verhältnissen war er eine Not¬
wendigkeit. Der Niedergang der Feudalwelt mußte eine Stärkung der Königs¬
gewalt nach sich ziehn, und England ist dabei besser gefahren als Deutschland,
wo die Übermacht der Fürsten dem Ganzen nicht gerade zum Heile gereicht
hat. Für Deutschland war die Schaffung des Beamtenstaates, die sich ans
dem Übergang von der feudalen Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft der
Neuzeit als notwendig ergab, eine Aufgabe, die wohl von den Fürsten gelöst
worden ist, an der das Reich aber scheiterte. In England gelang die Lösung
ohne große Schwierigkeit, weil kein Widerstand zu überwinden war. Wenn
deshalb auf zwei Jahrhunderte der Einfluß des Parlaments auf die Ver¬
waltung in den Hintergrund trat, so wurde der Schade, vorausgesetzt, daß es
überhaupt einer war, mehr als aufgewogen durch die innere Festigkeit und Ge¬
schlossenheit des Staatsgebäudes, die England ermöglichte, seine Kräfte zu¬
sammenzufassen, das deutsche Volk, das ihm im sechzehnten Jahrhundert noch
an Kapitalkraft weit überlegen war, zu überflügeln und ein Weltreich zu
gründen.
Bei der Schaffung des neuen Beamteustcmtes lehnten sich die Tudors
an das Hergebrachte an, ganz gemäß dem konservativen Charakter ihres Volkes,
das auch tief einschneidende Verändrungen äußerlich zu verdecken und zu
übertünchen liebt; und wo Änderungen nicht unumgänglich nötig waren, ließen
sie das Alte ruhig weiter bestehn. Im Geheimen Rate treffen wir dieselben
großen Würdenträger wieder an wie vordem, nnr daß sie ihre Bedeutung nicht
mehr in sich selbst und ihrer Hausmacht haben, sondern vom König erhalten,
der, wie er sie berufen hat, sie auch wieder beiseite schieben und, Wenns ihm
beliebt, mit allen gebührenden richterlichen Formen aufs Blutgerüst schicken
kann. Als Vermittler des persönlichen Willens des Königs tritt ferner zu
ihnen dessen Sekretär, der sich aus der untergeordneten Stellung, die er ur¬
sprünglich einnahm, schnell zum wichtigsten Mitgliede des ganzen Geheimen
Rates auswächst. Viele der alten Ämter, z. B. das des Lordkämmerers,
waren für die Staatsverwaltung nur noch von geringer Bedeutung; andre
wurden zu bloßen Hofstantpvsten, wie das des Haushofmeisters oder Scneschalls
(Steward). Wirkliche Wichtigkeit behielten nur noch zwei, die des Lordkanzlcrs
und des Lordschatzmeistcrs. An Ansehen und Rang stand am höchsten der
Lordkanzler, Großsiegelbewahrer, oberster Richter und Vorsitzender des Ober¬
hauses. An praktischer Bedeutung jedoch überragte ihn der Lordschatzmeister,
der, schon unter den normannischen Königen der wichtigste Beamte, unter den
Tudors zum Haupte und zur Seele der gesamten Verwaltung wurde. Die
Sorge für das Ganze machte natürlich eine Entlastung von den eigentlichen
Arbeiten des Schatzamtes nötig, und die Leitung des Finanzwesens ging an
den Schatzkauzler (vluwvsllor ok tluz Dxvüöcinsr) über. An diese drei schloß
sich noch der Geheimsiegelbewahrer, der in früherer Zeit als der besondre
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