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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttniüller und sei" Freund

Festtafel in der wohlerwognen Reihe Platz. Neben dem Bräutigam auf dein Ehren¬
plätze, der eigentlich der gnädigen Freir zukam, heiß Exzellenz, womit markiert wurde,
daß sie das Oberhaupt der Familie darstelle. Neben ihr Egon. Neben der Braut
saß der Herr Pastor, und dann kamen die gnädige Frau und Onkel Alfons. Die
Jugend war auf beiden Flügel" der Tafel untergebracht. Ulrike hatte mit dem
kleinen Kadetten fürlieb nehmen müssen.

Das Diner begann steif und feierlich. Jeder machte mit verbindlicher Miene
seiner Nachbarin einige selbstverständliche Bemerkungen. Die Damen nickten der
Braut innig lächelnd zu, und der Bräutigam sagte Hat ja, nahm abwechselnd
die Gabel und das Messer in die Hand und legte sie wieder nieder. Darauf
ergriff der Oberstleutnant das Wort und hielt schneidig und zündend, wie es sich
für einen alten Militär schickte, seine Rede. Er begrüßte seine Gäste, die von
Osten, Westen, Norden und Süden herbeigeeilt waren und sich um das heutige
Fest wohlverdient gemacht hatten, und wünschte, was man bei solcher Gelegenheit
zu wünschen' pflegt. Dann redete der Herr Pastor auf das Brautpaar eine Reka¬
pitulation seiner Predigt, die freilich zu lang ausfiel und in ein Zwiegespräch mit
der Braut auslief. Darauf gab es einen großen Aufstand. Schon fielen die ersten
Rotweinflecke.

Nunmehr fingen das vortreffliche Erzeugnis der perfekten Köchin und die
guten Weine des Hochzeitsvaters an zu wirken. Man wird lebhafter, man stößt
an, man redet im Chor. Onkel Alfons nimmt sich heraus, Witze zu machen und sie
selbst zu belachen. Fräulein Ulrike sitzt einem Spiegel gegenüber und kann nicht
umhin, sich mit ihrem Bilde im Spiegel zu unterhalten, legt ihr Gesicht in malerische
Züge und prüft, wie sie sich ausnimmt, wenn sie sich nach links lächelnd ihrem
Kadetten zuneigt oder nach rechts gewandt den Herrn Direktor ausfragt. Es ist
eine schlimme Sache, wem: einer bei Tisch sich einen Spiegel gegenüber hat. Sogar
Doktor Duttmüller wunderte sich über die Gesichter, die er von seinem Visavis
zu sehen kriegte. Auf dem linken Flügel, wo Dorr und Lydia saßen, ging es lebhaft
zu, und man hörte die bekannten Leutnnntstönc; auf dem rechten Flügel, wo Ellen
und Felix Wandrer saßen, herrschte ziemliche Einsilbigkeit. Ellen war ihrem Braut¬
führer gegenüber von großer Zurückhaltung und sprach mit ihm nur die nötigsten
Worte. Was hatte sie denn? Sie stand unter dem Zwange, gerade wie als kleines
Mädchen bewußt ungezogen sein zu müssen. Niemand hatte ihr etwas gethan,
aber das gerade ärgerte sie am meisten. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie
Grund gehabt hätte, Böses mit Bösem zu vergelte". Sie begnadete also mehr,
als nötig gewesen wäre, ihren Herrn mit dem Anblick ihres Zopfes und unter¬
hielt sich lebhaft mit Vetter Fritz, dem Kadetten, der wie ein junger Hahn krähte
und ihr Schülerwitze aus dem Korps erzählte. Während dessen betrachtete Fräulein
Ulrike ihr Bild im Spiegel, und Wandrer sprach mit Tante Lilli, die zu seiner
Linken saß, oder beobachtete die Gesellschaft mit stillem Humor.

Nein, es geht doch nicht, sagte Ellen zu sich selbst. Was kauu Herr Wandrer
dafür, daß mein Leutnant ausgeblieben ist. Sie wandte sich ihm also zu und fragte
in etwas überlegnem Tone: Sie sind also Kaufmann, Herr Wandrer?

Ja, gnädiges Fräulein, mit Haut und Haaren, erwiderte Felix Wandrer.

Was ist das eigentlich, ein Kaufmann?

Ein Kaufmann, gnädiges Fräulein, sagte Wandrer, indem er vergnüglich
lächelte, ist ein Jüngling. Ein Jüngling, der hinter dem Ladentische steht, daher
der Name "Ladenjüngling." Er ist ein Herr über alle Heringe und sauern Gurken
und waltet weise über Petroleum, Zichorien und Rosinen. Am Tage zieht er im
Keller Spiritus ab, und abends klebt er Düten. Im Winter erfrieren ihm die Hände,
und im Sommer geht er mit einem Weißen Strohhute und einer großen Busen-
nadel im Schlips Sonntags nachmittags spazieren. Und wenn er sich sehr gehoben
fühlt, das heißt am Sonntage nach dem Ersten, spielt er Billard.

So? sagte Ellen und sah ihren Nachbar einigermaßen mißtranisch an.


Doktor Duttniüller und sei» Freund

Festtafel in der wohlerwognen Reihe Platz. Neben dem Bräutigam auf dein Ehren¬
plätze, der eigentlich der gnädigen Freir zukam, heiß Exzellenz, womit markiert wurde,
daß sie das Oberhaupt der Familie darstelle. Neben ihr Egon. Neben der Braut
saß der Herr Pastor, und dann kamen die gnädige Frau und Onkel Alfons. Die
Jugend war auf beiden Flügel» der Tafel untergebracht. Ulrike hatte mit dem
kleinen Kadetten fürlieb nehmen müssen.

Das Diner begann steif und feierlich. Jeder machte mit verbindlicher Miene
seiner Nachbarin einige selbstverständliche Bemerkungen. Die Damen nickten der
Braut innig lächelnd zu, und der Bräutigam sagte Hat ja, nahm abwechselnd
die Gabel und das Messer in die Hand und legte sie wieder nieder. Darauf
ergriff der Oberstleutnant das Wort und hielt schneidig und zündend, wie es sich
für einen alten Militär schickte, seine Rede. Er begrüßte seine Gäste, die von
Osten, Westen, Norden und Süden herbeigeeilt waren und sich um das heutige
Fest wohlverdient gemacht hatten, und wünschte, was man bei solcher Gelegenheit
zu wünschen' pflegt. Dann redete der Herr Pastor auf das Brautpaar eine Reka¬
pitulation seiner Predigt, die freilich zu lang ausfiel und in ein Zwiegespräch mit
der Braut auslief. Darauf gab es einen großen Aufstand. Schon fielen die ersten
Rotweinflecke.

Nunmehr fingen das vortreffliche Erzeugnis der perfekten Köchin und die
guten Weine des Hochzeitsvaters an zu wirken. Man wird lebhafter, man stößt
an, man redet im Chor. Onkel Alfons nimmt sich heraus, Witze zu machen und sie
selbst zu belachen. Fräulein Ulrike sitzt einem Spiegel gegenüber und kann nicht
umhin, sich mit ihrem Bilde im Spiegel zu unterhalten, legt ihr Gesicht in malerische
Züge und prüft, wie sie sich ausnimmt, wenn sie sich nach links lächelnd ihrem
Kadetten zuneigt oder nach rechts gewandt den Herrn Direktor ausfragt. Es ist
eine schlimme Sache, wem: einer bei Tisch sich einen Spiegel gegenüber hat. Sogar
Doktor Duttmüller wunderte sich über die Gesichter, die er von seinem Visavis
zu sehen kriegte. Auf dem linken Flügel, wo Dorr und Lydia saßen, ging es lebhaft
zu, und man hörte die bekannten Leutnnntstönc; auf dem rechten Flügel, wo Ellen
und Felix Wandrer saßen, herrschte ziemliche Einsilbigkeit. Ellen war ihrem Braut¬
führer gegenüber von großer Zurückhaltung und sprach mit ihm nur die nötigsten
Worte. Was hatte sie denn? Sie stand unter dem Zwange, gerade wie als kleines
Mädchen bewußt ungezogen sein zu müssen. Niemand hatte ihr etwas gethan,
aber das gerade ärgerte sie am meisten. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie
Grund gehabt hätte, Böses mit Bösem zu vergelte». Sie begnadete also mehr,
als nötig gewesen wäre, ihren Herrn mit dem Anblick ihres Zopfes und unter¬
hielt sich lebhaft mit Vetter Fritz, dem Kadetten, der wie ein junger Hahn krähte
und ihr Schülerwitze aus dem Korps erzählte. Während dessen betrachtete Fräulein
Ulrike ihr Bild im Spiegel, und Wandrer sprach mit Tante Lilli, die zu seiner
Linken saß, oder beobachtete die Gesellschaft mit stillem Humor.

Nein, es geht doch nicht, sagte Ellen zu sich selbst. Was kauu Herr Wandrer
dafür, daß mein Leutnant ausgeblieben ist. Sie wandte sich ihm also zu und fragte
in etwas überlegnem Tone: Sie sind also Kaufmann, Herr Wandrer?

Ja, gnädiges Fräulein, mit Haut und Haaren, erwiderte Felix Wandrer.

Was ist das eigentlich, ein Kaufmann?

Ein Kaufmann, gnädiges Fräulein, sagte Wandrer, indem er vergnüglich
lächelte, ist ein Jüngling. Ein Jüngling, der hinter dem Ladentische steht, daher
der Name „Ladenjüngling." Er ist ein Herr über alle Heringe und sauern Gurken
und waltet weise über Petroleum, Zichorien und Rosinen. Am Tage zieht er im
Keller Spiritus ab, und abends klebt er Düten. Im Winter erfrieren ihm die Hände,
und im Sommer geht er mit einem Weißen Strohhute und einer großen Busen-
nadel im Schlips Sonntags nachmittags spazieren. Und wenn er sich sehr gehoben
fühlt, das heißt am Sonntage nach dem Ersten, spielt er Billard.

So? sagte Ellen und sah ihren Nachbar einigermaßen mißtranisch an.


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[0744] Doktor Duttniüller und sei» Freund Festtafel in der wohlerwognen Reihe Platz. Neben dem Bräutigam auf dein Ehren¬ plätze, der eigentlich der gnädigen Freir zukam, heiß Exzellenz, womit markiert wurde, daß sie das Oberhaupt der Familie darstelle. Neben ihr Egon. Neben der Braut saß der Herr Pastor, und dann kamen die gnädige Frau und Onkel Alfons. Die Jugend war auf beiden Flügel» der Tafel untergebracht. Ulrike hatte mit dem kleinen Kadetten fürlieb nehmen müssen. Das Diner begann steif und feierlich. Jeder machte mit verbindlicher Miene seiner Nachbarin einige selbstverständliche Bemerkungen. Die Damen nickten der Braut innig lächelnd zu, und der Bräutigam sagte Hat ja, nahm abwechselnd die Gabel und das Messer in die Hand und legte sie wieder nieder. Darauf ergriff der Oberstleutnant das Wort und hielt schneidig und zündend, wie es sich für einen alten Militär schickte, seine Rede. Er begrüßte seine Gäste, die von Osten, Westen, Norden und Süden herbeigeeilt waren und sich um das heutige Fest wohlverdient gemacht hatten, und wünschte, was man bei solcher Gelegenheit zu wünschen' pflegt. Dann redete der Herr Pastor auf das Brautpaar eine Reka¬ pitulation seiner Predigt, die freilich zu lang ausfiel und in ein Zwiegespräch mit der Braut auslief. Darauf gab es einen großen Aufstand. Schon fielen die ersten Rotweinflecke. Nunmehr fingen das vortreffliche Erzeugnis der perfekten Köchin und die guten Weine des Hochzeitsvaters an zu wirken. Man wird lebhafter, man stößt an, man redet im Chor. Onkel Alfons nimmt sich heraus, Witze zu machen und sie selbst zu belachen. Fräulein Ulrike sitzt einem Spiegel gegenüber und kann nicht umhin, sich mit ihrem Bilde im Spiegel zu unterhalten, legt ihr Gesicht in malerische Züge und prüft, wie sie sich ausnimmt, wenn sie sich nach links lächelnd ihrem Kadetten zuneigt oder nach rechts gewandt den Herrn Direktor ausfragt. Es ist eine schlimme Sache, wem: einer bei Tisch sich einen Spiegel gegenüber hat. Sogar Doktor Duttmüller wunderte sich über die Gesichter, die er von seinem Visavis zu sehen kriegte. Auf dem linken Flügel, wo Dorr und Lydia saßen, ging es lebhaft zu, und man hörte die bekannten Leutnnntstönc; auf dem rechten Flügel, wo Ellen und Felix Wandrer saßen, herrschte ziemliche Einsilbigkeit. Ellen war ihrem Braut¬ führer gegenüber von großer Zurückhaltung und sprach mit ihm nur die nötigsten Worte. Was hatte sie denn? Sie stand unter dem Zwange, gerade wie als kleines Mädchen bewußt ungezogen sein zu müssen. Niemand hatte ihr etwas gethan, aber das gerade ärgerte sie am meisten. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie Grund gehabt hätte, Böses mit Bösem zu vergelte». Sie begnadete also mehr, als nötig gewesen wäre, ihren Herrn mit dem Anblick ihres Zopfes und unter¬ hielt sich lebhaft mit Vetter Fritz, dem Kadetten, der wie ein junger Hahn krähte und ihr Schülerwitze aus dem Korps erzählte. Während dessen betrachtete Fräulein Ulrike ihr Bild im Spiegel, und Wandrer sprach mit Tante Lilli, die zu seiner Linken saß, oder beobachtete die Gesellschaft mit stillem Humor. Nein, es geht doch nicht, sagte Ellen zu sich selbst. Was kauu Herr Wandrer dafür, daß mein Leutnant ausgeblieben ist. Sie wandte sich ihm also zu und fragte in etwas überlegnem Tone: Sie sind also Kaufmann, Herr Wandrer? Ja, gnädiges Fräulein, mit Haut und Haaren, erwiderte Felix Wandrer. Was ist das eigentlich, ein Kaufmann? Ein Kaufmann, gnädiges Fräulein, sagte Wandrer, indem er vergnüglich lächelte, ist ein Jüngling. Ein Jüngling, der hinter dem Ladentische steht, daher der Name „Ladenjüngling." Er ist ein Herr über alle Heringe und sauern Gurken und waltet weise über Petroleum, Zichorien und Rosinen. Am Tage zieht er im Keller Spiritus ab, und abends klebt er Düten. Im Winter erfrieren ihm die Hände, und im Sommer geht er mit einem Weißen Strohhute und einer großen Busen- nadel im Schlips Sonntags nachmittags spazieren. Und wenn er sich sehr gehoben fühlt, das heißt am Sonntage nach dem Ersten, spielt er Billard. So? sagte Ellen und sah ihren Nachbar einigermaßen mißtranisch an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/744>, abgerufen am 27.09.2024.