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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Mas wird aus dem Zolltarif?

zwingen, die Zolltariffrage einem neu zu wählenden Reichstage vorzulegen, so
würde der deutsche Liberalisinus wahrscheinlich mit den schlechtesten Chnneen in
die Wahlkampagne eintreten. Man warte doch ab, was für Verträge mit
dem neuen Tarif zustande kommen, und wie die Stimmenverhältnisse im Reichs¬
tag sein werden, wenn über sie zu beschließen sein wird.

Den Tarifgegnern links steht in der Kommission eine Mehrheit gegen¬
über, die sich tariffreundlich nennt, in der aber in Wirklichkeit dem Regierungs¬
entwurf, wie wir schon gesagt haben, die gefährlichste Opposition gemacht
wird. Trotz der wiederholten unzweideutigen, in der bestimmtesten Form durch
ihre Vertreter abgegebnen Erklärung der verbündeten Regierungen, daß das
Vestehn auf einer Vermehrung und Erhöhung der Minimalzölle die Verab¬
schiedung der Tarifvorlage vereiteln werde, da sie in jedem Stadium der Ver¬
handlungen unannehmbar sei, ist in der Kommission ein Antrag zum Beschluß
erhoben worden, der die Minimalzölle ans die vier Hauptgetreidearten für den
Doppelzentner folgendermaßen erhöht:

Regierungsentwurf Kommissionsbeschluß
Roggen . . . . S Mark 5 Mark 50 Pfennige
Weizen .... 5 Mark 50 Pfennige 6 Mark
Gerste .... 3 Mark 5 Mark 50 Pfennige
Hafer.....5 Mark -> Mark 50 Pfennige.

Für den Antrag haben die von den beiden konservativen Parteien in die
Kommission entsandten Mitglieder mit Ausnahme des Freiherrn v. Wangenheim,
des Vorsitzenden des Bundes der Landwirte, gestimmt, ferner die dem Zentrum
angehörenden Mitglieder und ein Nationalliberalcr. Die Mehrheit der national¬
liberalen Reichstagsfraktion hat sich dagegen für den Regierungsentwurf fest¬
gemacht. Ob und wie weit sich die andern "tariffreuudlichen" Fraktionen
durch das Votum ihrer Delegierten für gebunden erklärt haben, ist uns nicht
bekannt, doch kann man annehmen, daß ein Teil ihrer Mitglieder im Reichs¬
tag auch die von der Kommissionsmehrheit beschlossenen Erhöhungen als nicht
ausreichend ablehnen würden, anch wenn die ganze Vorlage dadurch zu Falle
käme. Freiherr v. Wangenheim hat schon diesen Weg betreten. So weit der
Einfluß des Bundes der Landwirte reicht, würde also die Annahme des Tarif¬
entwurfs wahrscheinlich auch dann nicht gesichert werden, wenn sich die ver¬
bündeten Regierungen den Komnüssionsbeschlüssen unterwürfen. Einigkeit oder
anch nur Klarheit über das, was die engere konservative Mehrheit der soge¬
nannten Tariffrennde als letztes Wort ihrer Hauptforderung ansieht, ist durch
den Kommissionsbeschluß nicht geschaffen worden. Noch unklarer vollends ist
es, ob und wie weit die Regierung dem Tarifentwurf eine Mehrheit im
Reichstag verschaffen könnte, wenn sie die übrigen von ihr für unannehmbar
erklärten Kommissionsbeschlüsse schließlich doch annähme, ganz abgesehen von
den Abündrungen, die die Kommission wahrscheinlich noch beschließen wird.
Wir meinen, schon damit ist die von der Mehrheit der sogenannten Tarif-
freuude geschaffne trostlose Lage hinreichend charakterisiert. Wahrhaftig die
Negierung lernt jetzt in harter Schule das Wort würdigen: Gott bewahre mich
vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich selbst bewahren.


Mas wird aus dem Zolltarif?

zwingen, die Zolltariffrage einem neu zu wählenden Reichstage vorzulegen, so
würde der deutsche Liberalisinus wahrscheinlich mit den schlechtesten Chnneen in
die Wahlkampagne eintreten. Man warte doch ab, was für Verträge mit
dem neuen Tarif zustande kommen, und wie die Stimmenverhältnisse im Reichs¬
tag sein werden, wenn über sie zu beschließen sein wird.

Den Tarifgegnern links steht in der Kommission eine Mehrheit gegen¬
über, die sich tariffreundlich nennt, in der aber in Wirklichkeit dem Regierungs¬
entwurf, wie wir schon gesagt haben, die gefährlichste Opposition gemacht
wird. Trotz der wiederholten unzweideutigen, in der bestimmtesten Form durch
ihre Vertreter abgegebnen Erklärung der verbündeten Regierungen, daß das
Vestehn auf einer Vermehrung und Erhöhung der Minimalzölle die Verab¬
schiedung der Tarifvorlage vereiteln werde, da sie in jedem Stadium der Ver¬
handlungen unannehmbar sei, ist in der Kommission ein Antrag zum Beschluß
erhoben worden, der die Minimalzölle ans die vier Hauptgetreidearten für den
Doppelzentner folgendermaßen erhöht:

Regierungsentwurf Kommissionsbeschluß
Roggen . . . . S Mark 5 Mark 50 Pfennige
Weizen .... 5 Mark 50 Pfennige 6 Mark
Gerste .... 3 Mark 5 Mark 50 Pfennige
Hafer.....5 Mark -> Mark 50 Pfennige.

Für den Antrag haben die von den beiden konservativen Parteien in die
Kommission entsandten Mitglieder mit Ausnahme des Freiherrn v. Wangenheim,
des Vorsitzenden des Bundes der Landwirte, gestimmt, ferner die dem Zentrum
angehörenden Mitglieder und ein Nationalliberalcr. Die Mehrheit der national¬
liberalen Reichstagsfraktion hat sich dagegen für den Regierungsentwurf fest¬
gemacht. Ob und wie weit sich die andern „tariffreuudlichen" Fraktionen
durch das Votum ihrer Delegierten für gebunden erklärt haben, ist uns nicht
bekannt, doch kann man annehmen, daß ein Teil ihrer Mitglieder im Reichs¬
tag auch die von der Kommissionsmehrheit beschlossenen Erhöhungen als nicht
ausreichend ablehnen würden, anch wenn die ganze Vorlage dadurch zu Falle
käme. Freiherr v. Wangenheim hat schon diesen Weg betreten. So weit der
Einfluß des Bundes der Landwirte reicht, würde also die Annahme des Tarif¬
entwurfs wahrscheinlich auch dann nicht gesichert werden, wenn sich die ver¬
bündeten Regierungen den Komnüssionsbeschlüssen unterwürfen. Einigkeit oder
anch nur Klarheit über das, was die engere konservative Mehrheit der soge¬
nannten Tariffrennde als letztes Wort ihrer Hauptforderung ansieht, ist durch
den Kommissionsbeschluß nicht geschaffen worden. Noch unklarer vollends ist
es, ob und wie weit die Regierung dem Tarifentwurf eine Mehrheit im
Reichstag verschaffen könnte, wenn sie die übrigen von ihr für unannehmbar
erklärten Kommissionsbeschlüsse schließlich doch annähme, ganz abgesehen von
den Abündrungen, die die Kommission wahrscheinlich noch beschließen wird.
Wir meinen, schon damit ist die von der Mehrheit der sogenannten Tarif-
freuude geschaffne trostlose Lage hinreichend charakterisiert. Wahrhaftig die
Negierung lernt jetzt in harter Schule das Wort würdigen: Gott bewahre mich
vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich selbst bewahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/703>, abgerufen am 20.10.2024.