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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

Daß im Gegensatz hierzu die unter uns lebenden Juden trotz der An¬
nahme unsrer Sprache von unsrer Nation immer noch durch eine tiefe Kluft
getrennt sind, liegt nicht an dem Zwiespalt der Herkunft allein. Denn wenn
auch der deutsch sprechende Jude der Herkunft nach uns ferner steht als etwa
ein Pole oder ein Franzose, so ist uns sein Ursprung doch auch nicht fremder
als der eines Finnen oder eines Magyaren. Was seinen gänzlichen Über¬
gang in unsre Nation verhindert hat, ist in viel höherm Maße die Verschieden¬
heit der Religion: durch sie vor allem ist das Konnubium und damit die Blut-
mischung verhindert worden. Ohne den religiösen Zwiespalt hätte der Rassen¬
gegensatz bei aller seiner Größe und Schärfe nichts daran ändern können, daß
eine sich allmählich steigernde Blutmischung die zerstreuten Bestandteile des
Judentums völlig mit deu umwohnenden Nationen verschmolzen hätte.

So sehen Nur auch die Religion in den Nationalitätsverhältnisscn eine
sehr bedeutende Rolle spielen, dergestalt, daß das sonst mögliche Zusammen¬
wachsen von Elementen verschiedener Herkunft zu einer Nation bei religiösem
Gegensatz unter allen Umständen erschwert wird, ja sogar überhaupt verhindert
werden kann. Besondre Religion trägt überall mächtig zur Erhaltung der
nationalen Art bei. Auch wenn unter dein Zwange der äußern Verhältnisse
die nationale Sprache verstummt ist, bleibt doch, gestützt von der besondern
Religion, das geistige Gepräge in seiner nationalen Gestalt bestehn und ver¬
hindert das völlige Zusammenwachsen und Sichdnrchdringen der beiden ver-
schiednen Elemente, die sich durch das Fallen der Sprachschranke doch schon
so nahe gekommen zu sein scheinen.

Im kleinen äußert die Konfession eine ähnliche Wirkung wie die Religion:
Gleichheit der Konfession erleichtert in jedem Falle den Übergang von einer
Nation zur andern. Damit erklärt sich zum Teil die schon oft bemerkte Er¬
scheinung, daß die katholischen Deutschen eine geringere nationale Dauer und
Widerstandskraft zeigen als ihre evangelischen Volksgenossen. Da die deutsche
Nation fast an allen Seiten von katholischen Nationen umgeben ist, wird der
an der Grenze oder im fremden Nachbnrgebiet lebende evangelische Deutsche
von seiner Umgebung außer durch die Nationalität noch dnrch die Konfession
getrennt. Wo aber nationaler und konfessioneller Gegensatz sich vereinigt, ist
die Trennung doppelt scharf, und der Übergang von einer Seite auf die andre
wesentlich erschwert. Damit sind wir bei dem großen Gebiete geistiger Be¬
thätigung angelangt, die bei dem Übergang von einer Nation zur andern und
beim Erhalten der Nationalität eine nur zu oft unterschätzte Rolle spielt. Ans
sie kann in diesem Rahmen nur andeuteudcrweise hingewiesen werden. Es ist
bekannt, daß wie dem einzelnen menschlichen Wesen, so auch dein Volksstamm
"ut weiter der Nation eine dnrch bestimmte Charakterzüge dargestellte In¬
dividualität eigen ist. Mit wie großer Zähigkeit sich diese geistige Individualität
einer Nation behaupten kann, dafür ist schon oft als Beweis die Beschreibung
herangezogen worden, die Cäsar vou dem Charakter der alten Gallier gemacht
hat. Seitdem ist die Sprache der Gallier in unglaublich kurzer Zeit bis auf
Miz geringe Reste verschwunden; Römer haben sich im Lande der Gallier
niedergelassen nud dem Volke neben den Errungenschaften einer vorgeschritten


Nationalitätskämpfe

Daß im Gegensatz hierzu die unter uns lebenden Juden trotz der An¬
nahme unsrer Sprache von unsrer Nation immer noch durch eine tiefe Kluft
getrennt sind, liegt nicht an dem Zwiespalt der Herkunft allein. Denn wenn
auch der deutsch sprechende Jude der Herkunft nach uns ferner steht als etwa
ein Pole oder ein Franzose, so ist uns sein Ursprung doch auch nicht fremder
als der eines Finnen oder eines Magyaren. Was seinen gänzlichen Über¬
gang in unsre Nation verhindert hat, ist in viel höherm Maße die Verschieden¬
heit der Religion: durch sie vor allem ist das Konnubium und damit die Blut-
mischung verhindert worden. Ohne den religiösen Zwiespalt hätte der Rassen¬
gegensatz bei aller seiner Größe und Schärfe nichts daran ändern können, daß
eine sich allmählich steigernde Blutmischung die zerstreuten Bestandteile des
Judentums völlig mit deu umwohnenden Nationen verschmolzen hätte.

So sehen Nur auch die Religion in den Nationalitätsverhältnisscn eine
sehr bedeutende Rolle spielen, dergestalt, daß das sonst mögliche Zusammen¬
wachsen von Elementen verschiedener Herkunft zu einer Nation bei religiösem
Gegensatz unter allen Umständen erschwert wird, ja sogar überhaupt verhindert
werden kann. Besondre Religion trägt überall mächtig zur Erhaltung der
nationalen Art bei. Auch wenn unter dein Zwange der äußern Verhältnisse
die nationale Sprache verstummt ist, bleibt doch, gestützt von der besondern
Religion, das geistige Gepräge in seiner nationalen Gestalt bestehn und ver¬
hindert das völlige Zusammenwachsen und Sichdnrchdringen der beiden ver-
schiednen Elemente, die sich durch das Fallen der Sprachschranke doch schon
so nahe gekommen zu sein scheinen.

Im kleinen äußert die Konfession eine ähnliche Wirkung wie die Religion:
Gleichheit der Konfession erleichtert in jedem Falle den Übergang von einer
Nation zur andern. Damit erklärt sich zum Teil die schon oft bemerkte Er¬
scheinung, daß die katholischen Deutschen eine geringere nationale Dauer und
Widerstandskraft zeigen als ihre evangelischen Volksgenossen. Da die deutsche
Nation fast an allen Seiten von katholischen Nationen umgeben ist, wird der
an der Grenze oder im fremden Nachbnrgebiet lebende evangelische Deutsche
von seiner Umgebung außer durch die Nationalität noch dnrch die Konfession
getrennt. Wo aber nationaler und konfessioneller Gegensatz sich vereinigt, ist
die Trennung doppelt scharf, und der Übergang von einer Seite auf die andre
wesentlich erschwert. Damit sind wir bei dem großen Gebiete geistiger Be¬
thätigung angelangt, die bei dem Übergang von einer Nation zur andern und
beim Erhalten der Nationalität eine nur zu oft unterschätzte Rolle spielt. Ans
sie kann in diesem Rahmen nur andeuteudcrweise hingewiesen werden. Es ist
bekannt, daß wie dem einzelnen menschlichen Wesen, so auch dein Volksstamm
»ut weiter der Nation eine dnrch bestimmte Charakterzüge dargestellte In¬
dividualität eigen ist. Mit wie großer Zähigkeit sich diese geistige Individualität
einer Nation behaupten kann, dafür ist schon oft als Beweis die Beschreibung
herangezogen worden, die Cäsar vou dem Charakter der alten Gallier gemacht
hat. Seitdem ist die Sprache der Gallier in unglaublich kurzer Zeit bis auf
Miz geringe Reste verschwunden; Römer haben sich im Lande der Gallier
niedergelassen nud dem Volke neben den Errungenschaften einer vorgeschritten


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[0069] Nationalitätskämpfe Daß im Gegensatz hierzu die unter uns lebenden Juden trotz der An¬ nahme unsrer Sprache von unsrer Nation immer noch durch eine tiefe Kluft getrennt sind, liegt nicht an dem Zwiespalt der Herkunft allein. Denn wenn auch der deutsch sprechende Jude der Herkunft nach uns ferner steht als etwa ein Pole oder ein Franzose, so ist uns sein Ursprung doch auch nicht fremder als der eines Finnen oder eines Magyaren. Was seinen gänzlichen Über¬ gang in unsre Nation verhindert hat, ist in viel höherm Maße die Verschieden¬ heit der Religion: durch sie vor allem ist das Konnubium und damit die Blut- mischung verhindert worden. Ohne den religiösen Zwiespalt hätte der Rassen¬ gegensatz bei aller seiner Größe und Schärfe nichts daran ändern können, daß eine sich allmählich steigernde Blutmischung die zerstreuten Bestandteile des Judentums völlig mit deu umwohnenden Nationen verschmolzen hätte. So sehen Nur auch die Religion in den Nationalitätsverhältnisscn eine sehr bedeutende Rolle spielen, dergestalt, daß das sonst mögliche Zusammen¬ wachsen von Elementen verschiedener Herkunft zu einer Nation bei religiösem Gegensatz unter allen Umständen erschwert wird, ja sogar überhaupt verhindert werden kann. Besondre Religion trägt überall mächtig zur Erhaltung der nationalen Art bei. Auch wenn unter dein Zwange der äußern Verhältnisse die nationale Sprache verstummt ist, bleibt doch, gestützt von der besondern Religion, das geistige Gepräge in seiner nationalen Gestalt bestehn und ver¬ hindert das völlige Zusammenwachsen und Sichdnrchdringen der beiden ver- schiednen Elemente, die sich durch das Fallen der Sprachschranke doch schon so nahe gekommen zu sein scheinen. Im kleinen äußert die Konfession eine ähnliche Wirkung wie die Religion: Gleichheit der Konfession erleichtert in jedem Falle den Übergang von einer Nation zur andern. Damit erklärt sich zum Teil die schon oft bemerkte Er¬ scheinung, daß die katholischen Deutschen eine geringere nationale Dauer und Widerstandskraft zeigen als ihre evangelischen Volksgenossen. Da die deutsche Nation fast an allen Seiten von katholischen Nationen umgeben ist, wird der an der Grenze oder im fremden Nachbnrgebiet lebende evangelische Deutsche von seiner Umgebung außer durch die Nationalität noch dnrch die Konfession getrennt. Wo aber nationaler und konfessioneller Gegensatz sich vereinigt, ist die Trennung doppelt scharf, und der Übergang von einer Seite auf die andre wesentlich erschwert. Damit sind wir bei dem großen Gebiete geistiger Be¬ thätigung angelangt, die bei dem Übergang von einer Nation zur andern und beim Erhalten der Nationalität eine nur zu oft unterschätzte Rolle spielt. Ans sie kann in diesem Rahmen nur andeuteudcrweise hingewiesen werden. Es ist bekannt, daß wie dem einzelnen menschlichen Wesen, so auch dein Volksstamm »ut weiter der Nation eine dnrch bestimmte Charakterzüge dargestellte In¬ dividualität eigen ist. Mit wie großer Zähigkeit sich diese geistige Individualität einer Nation behaupten kann, dafür ist schon oft als Beweis die Beschreibung herangezogen worden, die Cäsar vou dem Charakter der alten Gallier gemacht hat. Seitdem ist die Sprache der Gallier in unglaublich kurzer Zeit bis auf Miz geringe Reste verschwunden; Römer haben sich im Lande der Gallier niedergelassen nud dem Volke neben den Errungenschaften einer vorgeschritten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/69>, abgerufen am 28.09.2024.