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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor ZZuttmüller und sein Freund

Unbeteiligten keineswegs ist. Und warum sollen wir uns langweilen? Und zweitens
steht es auch keineswegs fest, daß der Brautstand die schönste Zeit ist. Mir wenig¬
stens thun die Leute leid, die schon von der Hochzeit um auf den absteigenden Ast
kommen. Was aber Louis Duttmüller anbetrifft, so bin ich daraus nicht recht klug
geworden, ob er sich als Bräutigam wirklich wohl gefühlt hat. Man fragt erstaunt:
Wieso denn? Hätte er denn eine bessere Braut kriegen können als Alice? -- Das
ist sicher wahr. Aber mancher Mann fühlt sich, wenn er den Sonntagsstaat anhat,
nicht recht behaglich. Nun wir werden es ja sehen.

Wir müssen Doktor Duttmüller Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihm das
Zeugnis ausstellen, daß er sich höchst korrekt benahm. Er kleidete sich mit großer
Sorgfalt, sprach gewählt, machte elegante Verbeugungen, aß mit spitzen Fingern
und trug nachts Bartbinde. Wo er etwas uoch nicht recht konnte, da bemühte er
sich, es zu lernen. Und die gnädige Frau wurde nicht müde, sich seiner mit
mütterlicher Fürsorge anzunehmen, die tadellosesten Vorbilder aufzustellen und in
ausführlicher Begründung darzulegen, warum dies so und dies so sein müsse.

Auch bei der Einrichtung der Wohnung stand sie ihm mit ausführlichen Be¬
sprechungen und durch Anführung der berühmtesten Namen und glänzendsten Exempel
zur Seite. Natürlich wäre ihr ein Neubau in Villenform, etwa wie die Villa
Ihrer Durchlaucht der Fürstin Pembrook oder Ihrer Hoheit der Prinzessin Johann
Albrecht am liebsten gewesen. Da sich dies nun in der Eile nicht machen ließ,
war sie mich mit dem Umbau eines vorhandnen Hanfes zufrieden, und zuletzt hatte
sie auch nichts dagegen, daß Poplitzens Altenteil bezogen wurde. Vorausgesetzt,
daß dieses Haus angekauft und zu einer herrschaftlichen Wohnung umgebaut wurde.
Welche Änderung der Dinge! Noch vor nicht ganz zwei Jahren mußte Duttmüller
von seiner Mutter Geld erbitten und konnte nicht einmal soviel los bekommen, daß
er ein Zweirad hätte kaufen können, und heute wurde er Hausbesitzer. Damals
hatte er Herzklopfen, als er vom Braumeister einen Einspänner auf Abzahlung
übernehmen sollte, und heute verhandelte er mit dem Maurermeister, als wenn Geld
überhaupt keine Rolle spielte. Er konnte es aber anch. Er verdiente mit seiner
Praxis Summen Geldes, die er früher für chimärisch gehalten hatte. Er konnte
damit allerdings noch keine Häuser bezahlen, das war aber auch nicht nötig, mau
konnte ja die Kaufgelder auf dem Hause stehn lassen, wie damals das Kaufgeld
auf dem Doktorwageu. Die Einrichtung wurde unter der vortrefflichen Beratung
der gnädigen Frau zwar etwas teuer, aber sehr schön und vornehm. Als zuletzt
die ganz modernen Möbel aufgestellt waren, die ihm nach Form und Namen keines¬
wegs alle geläufig waren, fühlte er sich sehr gehoben und dachte nur noch mit Ver¬
achtung an die Einrichtung mit den Plüschmöbeln, die er sich im ersten Stolze seines
neuen Berufs hatte anschaffen wollen, und die er schließlich nicht einmal gekriegt hatte.

Nun muß uns aber auch interessieren, zu erfahren, wie Doktor Duttmüller mit
feiner Braut stand. Äußerlich sehr gut, innerlich eigentlich gar nicht. Sie waren
sich in den vergangnen Wochen und Monaten innerlich fremd geblieben. Alice
war wie ein verschlossenes Buch. Was sie in ihr Tagebuch schrieb, war sehr edel
und gut, aber niemand erfuhr es. Und im übrigen ging sie wenig aus sich
heraus. Und Doktor Duttmüller redete zwar viel und entwickelte menschenbeglückende
Ideen; aber es kam ihm doch nicht recht von Herzen. Der Zwang, der auf ihm
lag, störte ihn; die Notwendigkeit, immer auf sich zu achten und jedes Wort zu
erwägen, daß es auch vornehm genug sei, machte thu unfrei und ließ es uicht zu
einer natürlichen Aussprache kommen. Nur wenn Alice den Doktor am Kranken¬
bett traf, oder wenn sie ihn begleiten durfte, um eine Narkose zu überwachen oder
beim Verbinden zu helfen, gaben sie sich natürlich, er als Mann der Wissenschaft,
und sie als eine Samariterseele, deren größte Freude es war, zu helfen. Dabei
kamen sich auch ihre Herzen näher. Er sprach Worte der Anerkennung, und sie
sah ihn mit leuchtenden, dankbaren Augen an. Nach einer solchen Begegnung war
Alice den ganzen Tag froh, ja heiter.


Doktor ZZuttmüller und sein Freund

Unbeteiligten keineswegs ist. Und warum sollen wir uns langweilen? Und zweitens
steht es auch keineswegs fest, daß der Brautstand die schönste Zeit ist. Mir wenig¬
stens thun die Leute leid, die schon von der Hochzeit um auf den absteigenden Ast
kommen. Was aber Louis Duttmüller anbetrifft, so bin ich daraus nicht recht klug
geworden, ob er sich als Bräutigam wirklich wohl gefühlt hat. Man fragt erstaunt:
Wieso denn? Hätte er denn eine bessere Braut kriegen können als Alice? — Das
ist sicher wahr. Aber mancher Mann fühlt sich, wenn er den Sonntagsstaat anhat,
nicht recht behaglich. Nun wir werden es ja sehen.

Wir müssen Doktor Duttmüller Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihm das
Zeugnis ausstellen, daß er sich höchst korrekt benahm. Er kleidete sich mit großer
Sorgfalt, sprach gewählt, machte elegante Verbeugungen, aß mit spitzen Fingern
und trug nachts Bartbinde. Wo er etwas uoch nicht recht konnte, da bemühte er
sich, es zu lernen. Und die gnädige Frau wurde nicht müde, sich seiner mit
mütterlicher Fürsorge anzunehmen, die tadellosesten Vorbilder aufzustellen und in
ausführlicher Begründung darzulegen, warum dies so und dies so sein müsse.

Auch bei der Einrichtung der Wohnung stand sie ihm mit ausführlichen Be¬
sprechungen und durch Anführung der berühmtesten Namen und glänzendsten Exempel
zur Seite. Natürlich wäre ihr ein Neubau in Villenform, etwa wie die Villa
Ihrer Durchlaucht der Fürstin Pembrook oder Ihrer Hoheit der Prinzessin Johann
Albrecht am liebsten gewesen. Da sich dies nun in der Eile nicht machen ließ,
war sie mich mit dem Umbau eines vorhandnen Hanfes zufrieden, und zuletzt hatte
sie auch nichts dagegen, daß Poplitzens Altenteil bezogen wurde. Vorausgesetzt,
daß dieses Haus angekauft und zu einer herrschaftlichen Wohnung umgebaut wurde.
Welche Änderung der Dinge! Noch vor nicht ganz zwei Jahren mußte Duttmüller
von seiner Mutter Geld erbitten und konnte nicht einmal soviel los bekommen, daß
er ein Zweirad hätte kaufen können, und heute wurde er Hausbesitzer. Damals
hatte er Herzklopfen, als er vom Braumeister einen Einspänner auf Abzahlung
übernehmen sollte, und heute verhandelte er mit dem Maurermeister, als wenn Geld
überhaupt keine Rolle spielte. Er konnte es aber anch. Er verdiente mit seiner
Praxis Summen Geldes, die er früher für chimärisch gehalten hatte. Er konnte
damit allerdings noch keine Häuser bezahlen, das war aber auch nicht nötig, mau
konnte ja die Kaufgelder auf dem Hause stehn lassen, wie damals das Kaufgeld
auf dem Doktorwageu. Die Einrichtung wurde unter der vortrefflichen Beratung
der gnädigen Frau zwar etwas teuer, aber sehr schön und vornehm. Als zuletzt
die ganz modernen Möbel aufgestellt waren, die ihm nach Form und Namen keines¬
wegs alle geläufig waren, fühlte er sich sehr gehoben und dachte nur noch mit Ver¬
achtung an die Einrichtung mit den Plüschmöbeln, die er sich im ersten Stolze seines
neuen Berufs hatte anschaffen wollen, und die er schließlich nicht einmal gekriegt hatte.

Nun muß uns aber auch interessieren, zu erfahren, wie Doktor Duttmüller mit
feiner Braut stand. Äußerlich sehr gut, innerlich eigentlich gar nicht. Sie waren
sich in den vergangnen Wochen und Monaten innerlich fremd geblieben. Alice
war wie ein verschlossenes Buch. Was sie in ihr Tagebuch schrieb, war sehr edel
und gut, aber niemand erfuhr es. Und im übrigen ging sie wenig aus sich
heraus. Und Doktor Duttmüller redete zwar viel und entwickelte menschenbeglückende
Ideen; aber es kam ihm doch nicht recht von Herzen. Der Zwang, der auf ihm
lag, störte ihn; die Notwendigkeit, immer auf sich zu achten und jedes Wort zu
erwägen, daß es auch vornehm genug sei, machte thu unfrei und ließ es uicht zu
einer natürlichen Aussprache kommen. Nur wenn Alice den Doktor am Kranken¬
bett traf, oder wenn sie ihn begleiten durfte, um eine Narkose zu überwachen oder
beim Verbinden zu helfen, gaben sie sich natürlich, er als Mann der Wissenschaft,
und sie als eine Samariterseele, deren größte Freude es war, zu helfen. Dabei
kamen sich auch ihre Herzen näher. Er sprach Worte der Anerkennung, und sie
sah ihn mit leuchtenden, dankbaren Augen an. Nach einer solchen Begegnung war
Alice den ganzen Tag froh, ja heiter.


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[0626] Doktor ZZuttmüller und sein Freund Unbeteiligten keineswegs ist. Und warum sollen wir uns langweilen? Und zweitens steht es auch keineswegs fest, daß der Brautstand die schönste Zeit ist. Mir wenig¬ stens thun die Leute leid, die schon von der Hochzeit um auf den absteigenden Ast kommen. Was aber Louis Duttmüller anbetrifft, so bin ich daraus nicht recht klug geworden, ob er sich als Bräutigam wirklich wohl gefühlt hat. Man fragt erstaunt: Wieso denn? Hätte er denn eine bessere Braut kriegen können als Alice? — Das ist sicher wahr. Aber mancher Mann fühlt sich, wenn er den Sonntagsstaat anhat, nicht recht behaglich. Nun wir werden es ja sehen. Wir müssen Doktor Duttmüller Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihm das Zeugnis ausstellen, daß er sich höchst korrekt benahm. Er kleidete sich mit großer Sorgfalt, sprach gewählt, machte elegante Verbeugungen, aß mit spitzen Fingern und trug nachts Bartbinde. Wo er etwas uoch nicht recht konnte, da bemühte er sich, es zu lernen. Und die gnädige Frau wurde nicht müde, sich seiner mit mütterlicher Fürsorge anzunehmen, die tadellosesten Vorbilder aufzustellen und in ausführlicher Begründung darzulegen, warum dies so und dies so sein müsse. Auch bei der Einrichtung der Wohnung stand sie ihm mit ausführlichen Be¬ sprechungen und durch Anführung der berühmtesten Namen und glänzendsten Exempel zur Seite. Natürlich wäre ihr ein Neubau in Villenform, etwa wie die Villa Ihrer Durchlaucht der Fürstin Pembrook oder Ihrer Hoheit der Prinzessin Johann Albrecht am liebsten gewesen. Da sich dies nun in der Eile nicht machen ließ, war sie mich mit dem Umbau eines vorhandnen Hanfes zufrieden, und zuletzt hatte sie auch nichts dagegen, daß Poplitzens Altenteil bezogen wurde. Vorausgesetzt, daß dieses Haus angekauft und zu einer herrschaftlichen Wohnung umgebaut wurde. Welche Änderung der Dinge! Noch vor nicht ganz zwei Jahren mußte Duttmüller von seiner Mutter Geld erbitten und konnte nicht einmal soviel los bekommen, daß er ein Zweirad hätte kaufen können, und heute wurde er Hausbesitzer. Damals hatte er Herzklopfen, als er vom Braumeister einen Einspänner auf Abzahlung übernehmen sollte, und heute verhandelte er mit dem Maurermeister, als wenn Geld überhaupt keine Rolle spielte. Er konnte es aber anch. Er verdiente mit seiner Praxis Summen Geldes, die er früher für chimärisch gehalten hatte. Er konnte damit allerdings noch keine Häuser bezahlen, das war aber auch nicht nötig, mau konnte ja die Kaufgelder auf dem Hause stehn lassen, wie damals das Kaufgeld auf dem Doktorwageu. Die Einrichtung wurde unter der vortrefflichen Beratung der gnädigen Frau zwar etwas teuer, aber sehr schön und vornehm. Als zuletzt die ganz modernen Möbel aufgestellt waren, die ihm nach Form und Namen keines¬ wegs alle geläufig waren, fühlte er sich sehr gehoben und dachte nur noch mit Ver¬ achtung an die Einrichtung mit den Plüschmöbeln, die er sich im ersten Stolze seines neuen Berufs hatte anschaffen wollen, und die er schließlich nicht einmal gekriegt hatte. Nun muß uns aber auch interessieren, zu erfahren, wie Doktor Duttmüller mit feiner Braut stand. Äußerlich sehr gut, innerlich eigentlich gar nicht. Sie waren sich in den vergangnen Wochen und Monaten innerlich fremd geblieben. Alice war wie ein verschlossenes Buch. Was sie in ihr Tagebuch schrieb, war sehr edel und gut, aber niemand erfuhr es. Und im übrigen ging sie wenig aus sich heraus. Und Doktor Duttmüller redete zwar viel und entwickelte menschenbeglückende Ideen; aber es kam ihm doch nicht recht von Herzen. Der Zwang, der auf ihm lag, störte ihn; die Notwendigkeit, immer auf sich zu achten und jedes Wort zu erwägen, daß es auch vornehm genug sei, machte thu unfrei und ließ es uicht zu einer natürlichen Aussprache kommen. Nur wenn Alice den Doktor am Kranken¬ bett traf, oder wenn sie ihn begleiten durfte, um eine Narkose zu überwachen oder beim Verbinden zu helfen, gaben sie sich natürlich, er als Mann der Wissenschaft, und sie als eine Samariterseele, deren größte Freude es war, zu helfen. Dabei kamen sich auch ihre Herzen näher. Er sprach Worte der Anerkennung, und sie sah ihn mit leuchtenden, dankbaren Augen an. Nach einer solchen Begegnung war Alice den ganzen Tag froh, ja heiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/626>, abgerufen am 27.09.2024.