Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Hellenentum und Christentum -- immer mir bei Einzelnen -- nicht nur durch persönliche äußere sondern Dagegen muß es offen herausgesagt werden, daß, wer Jesum für einen Hellenentum und Christentum — immer mir bei Einzelnen — nicht nur durch persönliche äußere sondern Dagegen muß es offen herausgesagt werden, daß, wer Jesum für einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237129"/> <fw type="header" place="top"> Hellenentum und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_2495" prev="#ID_2494"> — immer mir bei Einzelnen — nicht nur durch persönliche äußere sondern<lb/> mich durch die innere Erfahrung bestärkt, indem einer, der „die Wahrheit thut,"<lb/> inne wird, daß Jesu Lehre aus Gott ist. Das „Wie" des göttlichen Wesens,<lb/> also auch des Verhältnisses des Sohnes und des Geistes zum Vater, bleibt<lb/> der menschlichen Erkenntnis verschlossen, und da wir heut immer deutlicher<lb/> einsehen, daß wir nicht einmal wissen und auf Erden niemals wissen werden,<lb/> was Materie und was Geist ist, so hat das Geheimnis des Fleisch gewordnen<lb/> Wortes nichts Anstößiges für uns. Aber so lange der spekulative Trieb in<lb/> den Menschen lebendig bleibt, so lange werden sie auch über das Unsagbare<lb/> etwas aussagen und vom Unvorstellbaren eine Vorstellung haben wollen; haben<lb/> doch auch nach Kant und trotz Kant die Philosophen aller Schulen diesen Trieb<lb/> nicht zu bündigen vermocht, sodaß sie bis auf den heutigen Tag fortfahren,<lb/> gleich den Gnostikern, sei es die unerkennbaren Elemente der materiellen Welt,<lb/> sei es das göttliche UrWesen und seiue Emanationen oder Äußerungen uns zu<lb/> beschreiben, als wenn sie das alles gesehen hätten, oder wenigstens Worte<lb/> darüber zu macheu, die gelehrt und großartig und mnuchmal sogar schön klingen,<lb/> wenn sich auch kein Mensch etwas dabei denken kann. Hat sich erst einmal<lb/> die ganze gelehrte Welt zu dem I^nor-unus bekannt, von dem zur Zeit noch<lb/> niemand weiter entfernt ist als die atheistischen und kirchenfeindlichen Philo¬<lb/> sophen, so wird es auch die Kirche anerkennen müssen. Sie wird dann nichts<lb/> weiter fordern, als das Bekenntnis zu dem, was der wirklich Unbefangne der<lb/> weltgeschichtlichen und seiner persönlichen Erfahrung entnimmt, daß es einen Gott<lb/> im Sinne des Alten und des Neuen Testaments giebt, der sich einerseits in<lb/> der Verminst der Heiden, andrerseits im Wort der Propheten und in Jesus,<lb/> in der Führung des auserwählten Volkes und in der Wirksamkeit der Kirche<lb/> geoffenbart hat und noch offenbart, und sie wird die uicht von sich ausschließen,<lb/> die alle Spekulation ablehnen, oder die sich, selbst spekulierend, das Verhältnis<lb/> von Vater, Sohn und Geist, von Gott und Mensch anders denken, als der<lb/> Verfasser des sogenannten Athanasianischen Symbolums. Ju dem Glauben<lb/> an diese Grundwahrheiten können sich das Volk und die Gebildeten zusammen¬<lb/> finden und können sich bei einem Gottesdienst, der das Göttliche in sinnreichen<lb/> Symbolen und in Werken der Kunst ahnen und empfinden läßt, wobei das<lb/> Denken der Fassungskraft eines jeden überlassen bleibt, als eine durch den<lb/> Glauben geeinte Gemeinschaft fühlen. Vor allem wird die Kirche oder werden<lb/> die Kirchen darauf verzichten müssen, jeden ihrer Angehörigen auf sogenannte<lb/> Glaubenssätze zu verpflichte!,, die entweder Produkte der geschichtlichen Ent¬<lb/> wicklung oder der Nachgiebigkeit gegen den Volksaberglauben und gegen na¬<lb/> tionale Besonderheiten oder spitzfindige und das Heil des Menschen gar nicht<lb/> berührende Folgerungen aus den Grundwahrheiten sind. Andrerseits dürfen<lb/> aber anch die Aufgeklärten denen den Christennnmen nicht verweigern, die an<lb/> nationalen Besonderheiten und abergläubischen Gebräuchen Hunger oder ihre<lb/> Phantasie über das Jenseits für Erkenntnisse halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2496" next="#ID_2497"> Dagegen muß es offen herausgesagt werden, daß, wer Jesum für einen<lb/> bloßen Menschen hält, oder wer gar die Persönlichkeit Gottes leugnet, kein<lb/> Christ mehr ist. Wenn Paulus und die Evangelisten Schwärmer und Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0605]
Hellenentum und Christentum
— immer mir bei Einzelnen — nicht nur durch persönliche äußere sondern
mich durch die innere Erfahrung bestärkt, indem einer, der „die Wahrheit thut,"
inne wird, daß Jesu Lehre aus Gott ist. Das „Wie" des göttlichen Wesens,
also auch des Verhältnisses des Sohnes und des Geistes zum Vater, bleibt
der menschlichen Erkenntnis verschlossen, und da wir heut immer deutlicher
einsehen, daß wir nicht einmal wissen und auf Erden niemals wissen werden,
was Materie und was Geist ist, so hat das Geheimnis des Fleisch gewordnen
Wortes nichts Anstößiges für uns. Aber so lange der spekulative Trieb in
den Menschen lebendig bleibt, so lange werden sie auch über das Unsagbare
etwas aussagen und vom Unvorstellbaren eine Vorstellung haben wollen; haben
doch auch nach Kant und trotz Kant die Philosophen aller Schulen diesen Trieb
nicht zu bündigen vermocht, sodaß sie bis auf den heutigen Tag fortfahren,
gleich den Gnostikern, sei es die unerkennbaren Elemente der materiellen Welt,
sei es das göttliche UrWesen und seiue Emanationen oder Äußerungen uns zu
beschreiben, als wenn sie das alles gesehen hätten, oder wenigstens Worte
darüber zu macheu, die gelehrt und großartig und mnuchmal sogar schön klingen,
wenn sich auch kein Mensch etwas dabei denken kann. Hat sich erst einmal
die ganze gelehrte Welt zu dem I^nor-unus bekannt, von dem zur Zeit noch
niemand weiter entfernt ist als die atheistischen und kirchenfeindlichen Philo¬
sophen, so wird es auch die Kirche anerkennen müssen. Sie wird dann nichts
weiter fordern, als das Bekenntnis zu dem, was der wirklich Unbefangne der
weltgeschichtlichen und seiner persönlichen Erfahrung entnimmt, daß es einen Gott
im Sinne des Alten und des Neuen Testaments giebt, der sich einerseits in
der Verminst der Heiden, andrerseits im Wort der Propheten und in Jesus,
in der Führung des auserwählten Volkes und in der Wirksamkeit der Kirche
geoffenbart hat und noch offenbart, und sie wird die uicht von sich ausschließen,
die alle Spekulation ablehnen, oder die sich, selbst spekulierend, das Verhältnis
von Vater, Sohn und Geist, von Gott und Mensch anders denken, als der
Verfasser des sogenannten Athanasianischen Symbolums. Ju dem Glauben
an diese Grundwahrheiten können sich das Volk und die Gebildeten zusammen¬
finden und können sich bei einem Gottesdienst, der das Göttliche in sinnreichen
Symbolen und in Werken der Kunst ahnen und empfinden läßt, wobei das
Denken der Fassungskraft eines jeden überlassen bleibt, als eine durch den
Glauben geeinte Gemeinschaft fühlen. Vor allem wird die Kirche oder werden
die Kirchen darauf verzichten müssen, jeden ihrer Angehörigen auf sogenannte
Glaubenssätze zu verpflichte!,, die entweder Produkte der geschichtlichen Ent¬
wicklung oder der Nachgiebigkeit gegen den Volksaberglauben und gegen na¬
tionale Besonderheiten oder spitzfindige und das Heil des Menschen gar nicht
berührende Folgerungen aus den Grundwahrheiten sind. Andrerseits dürfen
aber anch die Aufgeklärten denen den Christennnmen nicht verweigern, die an
nationalen Besonderheiten und abergläubischen Gebräuchen Hunger oder ihre
Phantasie über das Jenseits für Erkenntnisse halten.
Dagegen muß es offen herausgesagt werden, daß, wer Jesum für einen
bloßen Menschen hält, oder wer gar die Persönlichkeit Gottes leugnet, kein
Christ mehr ist. Wenn Paulus und die Evangelisten Schwärmer und Be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |