Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Hellenentum und Christentum nur vorbereiten, und sie konnte es nicht sein wegen der UnVollkommenheit des Wenn man ferner die jüdische Religion eine Gesetzcsreligion schilt, so Diese zweite noch größere Verheißung, deren Erfüllung durch die Er¬ Hellenentum und Christentum nur vorbereiten, und sie konnte es nicht sein wegen der UnVollkommenheit des Wenn man ferner die jüdische Religion eine Gesetzcsreligion schilt, so Diese zweite noch größere Verheißung, deren Erfüllung durch die Er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237126"/> <fw type="header" place="top"> Hellenentum und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_2488" prev="#ID_2487"> nur vorbereiten, und sie konnte es nicht sein wegen der UnVollkommenheit des<lb/> nationalen Materials, dessen sich Gott bediente. Nur muß man gegen diese<lb/> Religion nicht unbegründete Vorwürfe erheben. Zum Beispiel, daß sie nur<lb/> eine Vorsehung fürs Volk, keine für den Einzelnen gekannt und die einzelne<lb/> Persönlichkeit gering geachtet habe. Es finden sich genug Stellen bei den<lb/> Propheten, in den Psalmen und in den historischen Büchern, die jeden einzelnen<lb/> der helfenden, rettenden, leitenden, strafenden Fürsorge des Gottes versichern,<lb/> vor dessen Auge jedes einzelne Gemüt und jeder Lebensweg aufgedeckt daliege,<lb/> und der in seiner alldurchdringenden und allumfassenden Thätigkeit die Er¬<lb/> müdung nicht kenne. Gerade hier steckt für den Menschengeist ein unlösbarer<lb/> Widerspruch im göttlichen Wesen, der die Griechen abschreckte, es so aufzu¬<lb/> fassen, wie es sich durch den Prophetenmund den Juden kund gab. Sie fragten:<lb/> Wie kann Gott bei nimmer rastender Thätigkeit in seliger Ruhe verharren?<lb/> Und die menschliche Persönlichkeit stellt das Prophetentum als voll verant¬<lb/> wortlich für ihre Handlungen und sogar als unabhängig vom Schicksal nicht<lb/> allein des Volkes, sondern sogar der eignen leiblichen Väter dar. Durch<lb/> Jeremias und Hesekiel spricht Gott: Was ist das für eine Redensart: Die<lb/> Väter haben saure Trauben gegessen, davon sind den Söhnen die Zähne stumpf<lb/> geworden! So wahr ich lebe, diese Redensart dulde ich nicht! Alle Seelen<lb/> sind gleicherweise mein, die der Väter wie die der Söhne, und erleidet einer<lb/> zur Strafe den Tod, so soll es nur für seine eigne Ungerechtigkeit geschehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2489"> Wenn man ferner die jüdische Religion eine Gesetzcsreligion schilt, so<lb/> spricht man freilich eine Wahrheit aus, die aber nicht einen Tadel, sondern<lb/> ein Lob enthält. Denn darin lag eben der Mangel der griechischen Religion,<lb/> daß sie, wie keinen unbedingt sichern Glauben, so auch kein unbedingt ver¬<lb/> pflichtendes Gesetz hatte, sodaß die Volkssittlichkeit zwar in der natürlichen<lb/> edeln Anlage des Volks eine nie versiegende Quelle, aber gegen die auflösende<lb/> Sophistik keine andre Schutzwehr hatte, als das von der Selbstsucht der Par¬<lb/> teien abhängige Staatsgesetz. Daß dem jüdischen Gesetz nach dem Exil der<lb/> Geist entschwand, mit dem es die Propheten erfüllt hatten, ist eine Sache für<lb/> sich: das Gesetz selbst war wert, in einem Psalm (dem 119.) gepriesen zu<lb/> werden, von dessen 176 Versen jeder es in einer andern Beziehung darstellt.<lb/> Endlich ist es nicht wahr, daß diese Religion von den Juden als ihr aus¬<lb/> schließliches Eigentum betrachtet worden wäre, wenn man nnter den Juden<lb/> die Propheten versteht. Gerade umgekehrt bildet ja den Kern der Prophetie<lb/> die Offenbarung des göttlichen Planes, wonach die Juden das Werkzeug sein<lb/> sollen, allen Völkern der Erde die wahre Gotteserkenntnis zu vermitteln: Ein<lb/> Freudenmahl für alle Völker wird auf dem Berge Sion gerüstet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2490" next="#ID_2491"> Diese zweite noch größere Verheißung, deren Erfüllung durch die Er¬<lb/> füllung der ersten verbürgt worden war, wird dann, nachdem alle Zurüstungen<lb/> vollendet sind, durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes erfüllt. In den<lb/> Betrachtungen über die Bibel im ersten Bande des Jahrgangs 1898 der Grenz¬<lb/> boten habe ich gezeigt, daß die Erfüllung der Weissagungen der einzige<lb/> objektiv giltige, aber auch der hinreichende Beweis für die Wahrheit und<lb/> Göttlichkeit des Christentums ist. Wenn er heute auf wenige wirkt, so kommt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Hellenentum und Christentum
nur vorbereiten, und sie konnte es nicht sein wegen der UnVollkommenheit des
nationalen Materials, dessen sich Gott bediente. Nur muß man gegen diese
Religion nicht unbegründete Vorwürfe erheben. Zum Beispiel, daß sie nur
eine Vorsehung fürs Volk, keine für den Einzelnen gekannt und die einzelne
Persönlichkeit gering geachtet habe. Es finden sich genug Stellen bei den
Propheten, in den Psalmen und in den historischen Büchern, die jeden einzelnen
der helfenden, rettenden, leitenden, strafenden Fürsorge des Gottes versichern,
vor dessen Auge jedes einzelne Gemüt und jeder Lebensweg aufgedeckt daliege,
und der in seiner alldurchdringenden und allumfassenden Thätigkeit die Er¬
müdung nicht kenne. Gerade hier steckt für den Menschengeist ein unlösbarer
Widerspruch im göttlichen Wesen, der die Griechen abschreckte, es so aufzu¬
fassen, wie es sich durch den Prophetenmund den Juden kund gab. Sie fragten:
Wie kann Gott bei nimmer rastender Thätigkeit in seliger Ruhe verharren?
Und die menschliche Persönlichkeit stellt das Prophetentum als voll verant¬
wortlich für ihre Handlungen und sogar als unabhängig vom Schicksal nicht
allein des Volkes, sondern sogar der eignen leiblichen Väter dar. Durch
Jeremias und Hesekiel spricht Gott: Was ist das für eine Redensart: Die
Väter haben saure Trauben gegessen, davon sind den Söhnen die Zähne stumpf
geworden! So wahr ich lebe, diese Redensart dulde ich nicht! Alle Seelen
sind gleicherweise mein, die der Väter wie die der Söhne, und erleidet einer
zur Strafe den Tod, so soll es nur für seine eigne Ungerechtigkeit geschehn.
Wenn man ferner die jüdische Religion eine Gesetzcsreligion schilt, so
spricht man freilich eine Wahrheit aus, die aber nicht einen Tadel, sondern
ein Lob enthält. Denn darin lag eben der Mangel der griechischen Religion,
daß sie, wie keinen unbedingt sichern Glauben, so auch kein unbedingt ver¬
pflichtendes Gesetz hatte, sodaß die Volkssittlichkeit zwar in der natürlichen
edeln Anlage des Volks eine nie versiegende Quelle, aber gegen die auflösende
Sophistik keine andre Schutzwehr hatte, als das von der Selbstsucht der Par¬
teien abhängige Staatsgesetz. Daß dem jüdischen Gesetz nach dem Exil der
Geist entschwand, mit dem es die Propheten erfüllt hatten, ist eine Sache für
sich: das Gesetz selbst war wert, in einem Psalm (dem 119.) gepriesen zu
werden, von dessen 176 Versen jeder es in einer andern Beziehung darstellt.
Endlich ist es nicht wahr, daß diese Religion von den Juden als ihr aus¬
schließliches Eigentum betrachtet worden wäre, wenn man nnter den Juden
die Propheten versteht. Gerade umgekehrt bildet ja den Kern der Prophetie
die Offenbarung des göttlichen Planes, wonach die Juden das Werkzeug sein
sollen, allen Völkern der Erde die wahre Gotteserkenntnis zu vermitteln: Ein
Freudenmahl für alle Völker wird auf dem Berge Sion gerüstet.
Diese zweite noch größere Verheißung, deren Erfüllung durch die Er¬
füllung der ersten verbürgt worden war, wird dann, nachdem alle Zurüstungen
vollendet sind, durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes erfüllt. In den
Betrachtungen über die Bibel im ersten Bande des Jahrgangs 1898 der Grenz¬
boten habe ich gezeigt, daß die Erfüllung der Weissagungen der einzige
objektiv giltige, aber auch der hinreichende Beweis für die Wahrheit und
Göttlichkeit des Christentums ist. Wenn er heute auf wenige wirkt, so kommt
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