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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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nicht blind war. Immer wieder wandte er sich gegen seinen Hauptgegner,
Georg von Vincke, von den Gothaern und der preußischen Spitze mit Aus¬
schluß Österreichs wollte er nichts wissen. Als guter Katholik beklagte er den
Fall der weltlichen Herrschaft des Papsttums, sprach im Juli 1862 gegen die
Anerkennung des Königreichs Italien durch Preußen und ließ sich darüber
von seinem Freunde Montalembert Anerkennungszeugnisse ausstellen. Gleich
darauf erklärte er sich nur mit einer Minderheit von zehn Stimmen gegen
den preußisch-französischen Handelsvertrag, dem doch sein Bruder Peter und
Mallinckrodt zustimmten, weil es sich dabei, wie er sagte, um die Isolierung
und Aushungerung Österreichs und die demnächstige Teilung Deutschlands
handle. Alles das zeugt nicht von großer Erleuchtung oder Voraussicht, und
seine vielen Betrachtungen über diesen Teil der preußischen Politik stechen
stark ab gegen die weitherzige und praktisch kluge Art, wie er sich um dieselbe
Zeit zu dem Konflikt in der Militürfrage stellte. Aber sieben Jahre später
(er war im Mai 1863 von der parlamentarischen Thätigkeit vorläufig zurück¬
getreten) hat er sich über die Aufrichtung des Deutschen Reichs herzlich ge¬
freut, und schon am 8. August 1870 schreibt er: "Der letzte Akt dieses Stückes
Weltgeschichte wird wohl mit der Krönung des preußischen Kaisers schließen,"
und klug setzt er hinzu: "Gut ist, daß Napoleon den Papst im Stiche ge¬
lassen hat, bevor er geschlagen war."

Die Vorzeichen des Kulturkampfes führten Reichensperger Ende 1870
aufs neue in das Abgeordnetenhaus (und im nächsten Jahre auch in den
Reichstag), wir haben jedoch keine Neigung, näher auf diese seine zweite
parlamentarische Periode einzugehn, und heben statt dessen zunächst kurz
hervor, was in diesem Buche zum Teil neu über die Konstituierung seiner
Partei in ihrer zweiten Gestalt mitgeteilt wird. Früher hatte sich die "Fraktion
Reichensperger" des Abgeordnetenhauses offiziell "Zentrum, katholische Fraktion"
genannt. Der Zusatz mußte jetzt wegfallen, da man konfessionelle Empfindlich¬
keiten vermeiden wollte und sich außerdem auch die religiösen Rechte der Nicht-
katholiken zu verteidigen vorgesetzt hatte. Mallinckrodt schlug nacheinander die
Bezeichnungen "katholische Volkspartei" und "konservative Volkspartei" vor,
aber Savigny und Reichensperger, die mit der Aufgabe, Vorschläge zur Be¬
nennung zu machen, betraut worden waren, setzten am 13. Dezember, dem
Gründungstage des Landtagszentrums, den Namen: "Zentrum, Verfafsungs-
partei" durch. Sie waren die eigentlichen Gründer, nicht Peter Reichen¬
sperger, der damals krank war, und erst recht nicht Windthorst, der sich über¬
haupt anfangs, wie Pastor bemerkt, sehr zurückgehalten habe, und von dem
viele Mitglieder in wesentlichen Punkten abgewichen wären. Im Laufe der
siebziger Jahre ging aber die Führung der Partei an Windthorst über, und
die beiden Reichensperger ordneten sich ihm namentlich in politischen Dingen
durchaus unter, auch Mallinckrodt stand nun nicht mehr in der vordersten
Reihe. Wir geben nun noch im Auszug eine vorzügliche Charakteristik der
kleinen Exzellenz, die um so interessanter ist, als sie aus August Reichen-
spergers Munde kommt; er hat sie Pastor in einer mündlichen Unterhaltung
gleich nach Windthorsts Tode mitgeteilt.


nicht blind war. Immer wieder wandte er sich gegen seinen Hauptgegner,
Georg von Vincke, von den Gothaern und der preußischen Spitze mit Aus¬
schluß Österreichs wollte er nichts wissen. Als guter Katholik beklagte er den
Fall der weltlichen Herrschaft des Papsttums, sprach im Juli 1862 gegen die
Anerkennung des Königreichs Italien durch Preußen und ließ sich darüber
von seinem Freunde Montalembert Anerkennungszeugnisse ausstellen. Gleich
darauf erklärte er sich nur mit einer Minderheit von zehn Stimmen gegen
den preußisch-französischen Handelsvertrag, dem doch sein Bruder Peter und
Mallinckrodt zustimmten, weil es sich dabei, wie er sagte, um die Isolierung
und Aushungerung Österreichs und die demnächstige Teilung Deutschlands
handle. Alles das zeugt nicht von großer Erleuchtung oder Voraussicht, und
seine vielen Betrachtungen über diesen Teil der preußischen Politik stechen
stark ab gegen die weitherzige und praktisch kluge Art, wie er sich um dieselbe
Zeit zu dem Konflikt in der Militürfrage stellte. Aber sieben Jahre später
(er war im Mai 1863 von der parlamentarischen Thätigkeit vorläufig zurück¬
getreten) hat er sich über die Aufrichtung des Deutschen Reichs herzlich ge¬
freut, und schon am 8. August 1870 schreibt er: „Der letzte Akt dieses Stückes
Weltgeschichte wird wohl mit der Krönung des preußischen Kaisers schließen,"
und klug setzt er hinzu: „Gut ist, daß Napoleon den Papst im Stiche ge¬
lassen hat, bevor er geschlagen war."

Die Vorzeichen des Kulturkampfes führten Reichensperger Ende 1870
aufs neue in das Abgeordnetenhaus (und im nächsten Jahre auch in den
Reichstag), wir haben jedoch keine Neigung, näher auf diese seine zweite
parlamentarische Periode einzugehn, und heben statt dessen zunächst kurz
hervor, was in diesem Buche zum Teil neu über die Konstituierung seiner
Partei in ihrer zweiten Gestalt mitgeteilt wird. Früher hatte sich die „Fraktion
Reichensperger" des Abgeordnetenhauses offiziell „Zentrum, katholische Fraktion"
genannt. Der Zusatz mußte jetzt wegfallen, da man konfessionelle Empfindlich¬
keiten vermeiden wollte und sich außerdem auch die religiösen Rechte der Nicht-
katholiken zu verteidigen vorgesetzt hatte. Mallinckrodt schlug nacheinander die
Bezeichnungen „katholische Volkspartei" und „konservative Volkspartei" vor,
aber Savigny und Reichensperger, die mit der Aufgabe, Vorschläge zur Be¬
nennung zu machen, betraut worden waren, setzten am 13. Dezember, dem
Gründungstage des Landtagszentrums, den Namen: „Zentrum, Verfafsungs-
partei" durch. Sie waren die eigentlichen Gründer, nicht Peter Reichen¬
sperger, der damals krank war, und erst recht nicht Windthorst, der sich über¬
haupt anfangs, wie Pastor bemerkt, sehr zurückgehalten habe, und von dem
viele Mitglieder in wesentlichen Punkten abgewichen wären. Im Laufe der
siebziger Jahre ging aber die Führung der Partei an Windthorst über, und
die beiden Reichensperger ordneten sich ihm namentlich in politischen Dingen
durchaus unter, auch Mallinckrodt stand nun nicht mehr in der vordersten
Reihe. Wir geben nun noch im Auszug eine vorzügliche Charakteristik der
kleinen Exzellenz, die um so interessanter ist, als sie aus August Reichen-
spergers Munde kommt; er hat sie Pastor in einer mündlichen Unterhaltung
gleich nach Windthorsts Tode mitgeteilt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/598>, abgerufen am 06.02.2025.