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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Lhilo und Argentinien

Diese Erscheinung ist sicherlich auf die außerordentliche Feuchtigkeit des pazi¬
fischen Küstenstrichs zurückzuführen, wo an den drei vorhandnen Beobachtungs-
stationen mittlere Niederschlagsmengen von weit über 2000 Millimetern
(Deutschland hat einen mittlern Regenfall in den verschiednen Gegenden von
450 bis 1050 Millimetern) nachgewiesen wurden. Das Plateau im Osten der
Anden hat weit geringere Niederschlüge; Buenos Ayres giebt ein Mittel von
860 Millimetern an. Je weiter man an dem Westhang der Kordillere nach
Süden vordringt, desto intensiver macht sich die Feuchtigkeit des Klimas be¬
merkbar. Sogar während der schönen Jahreszeit, im australischen Sommer,
vom Oktober bis April sind lange Regenperiodcn nichts seltnes. Man muß
die Leidensgeschichten der geographischen Forscher, die in diese Gebiete vor¬
drangen, lesen, wenn man sich eine Vorstellung von der Furchtbarkeit der
Regengüsse machen will, die die vom Meere kommenden, an der steilen Kor¬
dillere sich brechenden Westwinde hier niederfallen lassen.

So erzählt Steffens, als er im Jahre 1898 seine Expedition nach dem
im Süden durch die Kordillere zum Ozean stürzenden Rio Cisnes ausführen
wollte, daß im Januar und Februar fünfzig volle Tage hintereinander, ohne
irgend eine Unterbrechung, Sturzregen niedergingen, die seinen Marsch voll-
stündig hemmten. Wie die Feuchtigkeit die Gletscherbildung der höhern
Regionen beeinflußt, so begünstigt sie in den niedriger liegenden Strichen eine
außerordentlich üppige Vegetation. Der ganze Hang des Gebirges ist fast
völlig mit einem immergrünen Buchenwald, außerdem mit Koniferen und in
weiteren Abstande vom Meere mit der kostbaren chilenischen Bergceder be¬
standen. Unter den Laubdecken aber wuchert ein mächtiges Unterholz, ein
förmlich ineinander geflochtnes Dickicht, durch das man sich, wie Steffens an¬
schaulich erzählt, uur mit dem Waldmesser einen Weg bahnen kann. Bambus¬
arten, rotblühende Fuchsien und Kletterpflanzen, die an einen Tropenwald
erinnern, herrschen hier vor.

Außer in den Umgebungen des Golfs von Reloncani (41° 30') und an
der Mündung des Palma (43° 50'), wo die chilenische Regierung kleine Sied¬
lungen ins Leben gerufen hat, giebt es auf dem ganzen Küstenstrich am Stillen
^zecm keine andern menschlichen Wesen als Hirten, die während der schönen
Saison von der Insel Chiloe herüberkommen, um hier die Tannen oder vor
allem die Cedern zu holen, die sie, vierkantig beHauen, an die Küste hinab¬
führen.

Schließlich sind als Charakteristikum dieses chilenischen Abfalls der Kor¬
dillere die zahlreichen, nordwest-südöstlich einschneidenden Fjorde hervorzuheben,
die zu den bisher erwähnten Merkmalen dieses Gebiets in enger Abhängigkeit
siehn. Die noch nicht erloschene vulkanische Thätigkeit des Gebirges einerseits,
die Erosionsarbcit der Gletscher andrerseits und schließlich die durch den außer¬
ordentlich steilen Abfall der Kordillere uach Westen, der dem abfließenden
Wasser eine ungeheure lebendige Energie verleiht, und durch die übermäßige
Niederschlagsträchtigkeit des Abhangs begünstigte Nagearbeit der Flüsse haben
zusammengewirkt, das Gebirge an einzelnen Stellen in tiefen Querschluchten
M durchbrechen.


Lhilo und Argentinien

Diese Erscheinung ist sicherlich auf die außerordentliche Feuchtigkeit des pazi¬
fischen Küstenstrichs zurückzuführen, wo an den drei vorhandnen Beobachtungs-
stationen mittlere Niederschlagsmengen von weit über 2000 Millimetern
(Deutschland hat einen mittlern Regenfall in den verschiednen Gegenden von
450 bis 1050 Millimetern) nachgewiesen wurden. Das Plateau im Osten der
Anden hat weit geringere Niederschlüge; Buenos Ayres giebt ein Mittel von
860 Millimetern an. Je weiter man an dem Westhang der Kordillere nach
Süden vordringt, desto intensiver macht sich die Feuchtigkeit des Klimas be¬
merkbar. Sogar während der schönen Jahreszeit, im australischen Sommer,
vom Oktober bis April sind lange Regenperiodcn nichts seltnes. Man muß
die Leidensgeschichten der geographischen Forscher, die in diese Gebiete vor¬
drangen, lesen, wenn man sich eine Vorstellung von der Furchtbarkeit der
Regengüsse machen will, die die vom Meere kommenden, an der steilen Kor¬
dillere sich brechenden Westwinde hier niederfallen lassen.

So erzählt Steffens, als er im Jahre 1898 seine Expedition nach dem
im Süden durch die Kordillere zum Ozean stürzenden Rio Cisnes ausführen
wollte, daß im Januar und Februar fünfzig volle Tage hintereinander, ohne
irgend eine Unterbrechung, Sturzregen niedergingen, die seinen Marsch voll-
stündig hemmten. Wie die Feuchtigkeit die Gletscherbildung der höhern
Regionen beeinflußt, so begünstigt sie in den niedriger liegenden Strichen eine
außerordentlich üppige Vegetation. Der ganze Hang des Gebirges ist fast
völlig mit einem immergrünen Buchenwald, außerdem mit Koniferen und in
weiteren Abstande vom Meere mit der kostbaren chilenischen Bergceder be¬
standen. Unter den Laubdecken aber wuchert ein mächtiges Unterholz, ein
förmlich ineinander geflochtnes Dickicht, durch das man sich, wie Steffens an¬
schaulich erzählt, uur mit dem Waldmesser einen Weg bahnen kann. Bambus¬
arten, rotblühende Fuchsien und Kletterpflanzen, die an einen Tropenwald
erinnern, herrschen hier vor.

Außer in den Umgebungen des Golfs von Reloncani (41° 30') und an
der Mündung des Palma (43° 50'), wo die chilenische Regierung kleine Sied¬
lungen ins Leben gerufen hat, giebt es auf dem ganzen Küstenstrich am Stillen
^zecm keine andern menschlichen Wesen als Hirten, die während der schönen
Saison von der Insel Chiloe herüberkommen, um hier die Tannen oder vor
allem die Cedern zu holen, die sie, vierkantig beHauen, an die Küste hinab¬
führen.

Schließlich sind als Charakteristikum dieses chilenischen Abfalls der Kor¬
dillere die zahlreichen, nordwest-südöstlich einschneidenden Fjorde hervorzuheben,
die zu den bisher erwähnten Merkmalen dieses Gebiets in enger Abhängigkeit
siehn. Die noch nicht erloschene vulkanische Thätigkeit des Gebirges einerseits,
die Erosionsarbcit der Gletscher andrerseits und schließlich die durch den außer¬
ordentlich steilen Abfall der Kordillere uach Westen, der dem abfließenden
Wasser eine ungeheure lebendige Energie verleiht, und durch die übermäßige
Niederschlagsträchtigkeit des Abhangs begünstigte Nagearbeit der Flüsse haben
zusammengewirkt, das Gebirge an einzelnen Stellen in tiefen Querschluchten
M durchbrechen.


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[0591] Lhilo und Argentinien Diese Erscheinung ist sicherlich auf die außerordentliche Feuchtigkeit des pazi¬ fischen Küstenstrichs zurückzuführen, wo an den drei vorhandnen Beobachtungs- stationen mittlere Niederschlagsmengen von weit über 2000 Millimetern (Deutschland hat einen mittlern Regenfall in den verschiednen Gegenden von 450 bis 1050 Millimetern) nachgewiesen wurden. Das Plateau im Osten der Anden hat weit geringere Niederschlüge; Buenos Ayres giebt ein Mittel von 860 Millimetern an. Je weiter man an dem Westhang der Kordillere nach Süden vordringt, desto intensiver macht sich die Feuchtigkeit des Klimas be¬ merkbar. Sogar während der schönen Jahreszeit, im australischen Sommer, vom Oktober bis April sind lange Regenperiodcn nichts seltnes. Man muß die Leidensgeschichten der geographischen Forscher, die in diese Gebiete vor¬ drangen, lesen, wenn man sich eine Vorstellung von der Furchtbarkeit der Regengüsse machen will, die die vom Meere kommenden, an der steilen Kor¬ dillere sich brechenden Westwinde hier niederfallen lassen. So erzählt Steffens, als er im Jahre 1898 seine Expedition nach dem im Süden durch die Kordillere zum Ozean stürzenden Rio Cisnes ausführen wollte, daß im Januar und Februar fünfzig volle Tage hintereinander, ohne irgend eine Unterbrechung, Sturzregen niedergingen, die seinen Marsch voll- stündig hemmten. Wie die Feuchtigkeit die Gletscherbildung der höhern Regionen beeinflußt, so begünstigt sie in den niedriger liegenden Strichen eine außerordentlich üppige Vegetation. Der ganze Hang des Gebirges ist fast völlig mit einem immergrünen Buchenwald, außerdem mit Koniferen und in weiteren Abstande vom Meere mit der kostbaren chilenischen Bergceder be¬ standen. Unter den Laubdecken aber wuchert ein mächtiges Unterholz, ein förmlich ineinander geflochtnes Dickicht, durch das man sich, wie Steffens an¬ schaulich erzählt, uur mit dem Waldmesser einen Weg bahnen kann. Bambus¬ arten, rotblühende Fuchsien und Kletterpflanzen, die an einen Tropenwald erinnern, herrschen hier vor. Außer in den Umgebungen des Golfs von Reloncani (41° 30') und an der Mündung des Palma (43° 50'), wo die chilenische Regierung kleine Sied¬ lungen ins Leben gerufen hat, giebt es auf dem ganzen Küstenstrich am Stillen ^zecm keine andern menschlichen Wesen als Hirten, die während der schönen Saison von der Insel Chiloe herüberkommen, um hier die Tannen oder vor allem die Cedern zu holen, die sie, vierkantig beHauen, an die Küste hinab¬ führen. Schließlich sind als Charakteristikum dieses chilenischen Abfalls der Kor¬ dillere die zahlreichen, nordwest-südöstlich einschneidenden Fjorde hervorzuheben, die zu den bisher erwähnten Merkmalen dieses Gebiets in enger Abhängigkeit siehn. Die noch nicht erloschene vulkanische Thätigkeit des Gebirges einerseits, die Erosionsarbcit der Gletscher andrerseits und schließlich die durch den außer¬ ordentlich steilen Abfall der Kordillere uach Westen, der dem abfließenden Wasser eine ungeheure lebendige Energie verleiht, und durch die übermäßige Niederschlagsträchtigkeit des Abhangs begünstigte Nagearbeit der Flüsse haben zusammengewirkt, das Gebirge an einzelnen Stellen in tiefen Querschluchten M durchbrechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/591>, abgerufen am 20.10.2024.