Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Die Toten von i^SZY vorgesetzten Bildnis der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen ein, er war mit Der nächst berühmte wird Graf Caprivi sein, der zweite Kanzler des Grenzboten 1 1902 71
Die Toten von i^SZY vorgesetzten Bildnis der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen ein, er war mit Der nächst berühmte wird Graf Caprivi sein, der zweite Kanzler des Grenzboten 1 1902 71
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237093"/> <fw type="header" place="top"> Die Toten von i^SZY</fw><lb/> <p xml:id="ID_2319" prev="#ID_2318"> vorgesetzten Bildnis der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen ein, er war mit<lb/> dem Ritter Josias von Bunsen verwandt und starb in Heidelberg, achtund¬<lb/> achtzig Jahre alt; seine berühmtesten Entdeckungen betreffen die chemischen<lb/> Wirkungen der Lichtstrahlen und die Spektralanalyse, diese hatte er 1860<lb/> veröffentlicht, gemeinsam mit Kirchhofs.</p><lb/> <p xml:id="ID_2320" next="#ID_2321"> Der nächst berühmte wird Graf Caprivi sein, der zweite Kanzler des<lb/> Deutschen Reichs, er ist neunundsechzig Jahre alt geworden. Ihn behandelt<lb/> Alexander Meyer in einem so ausgezeichneten Artikel, daß wir es uns nicht<lb/> versagen mögen, im Anschluß daran einiges zum Gedächtnis des verdienten<lb/> und vielverkannten Mannes mitzuteilen. Sein erstes Verdienst erwarb er sich<lb/> am 16. August 1870, dem Tag von Vionville, als Generalstabschef des<lb/> zehnten Armeekorps (Voigts-Nhetz), indem er trotz gegebnen Befehls das Korps<lb/> nicht nach Verdun abmarschieren ließ, souderu es so zusammenhielt, daß es<lb/> dem von der feindlichen Übermacht bedrängten drittel, (Alvensleben) Hilfe<lb/> leisten konnte. Die Stellung des Chefs der Admiralität und Nachfolgers<lb/> von Stosch 1883 bis 1888 übernahm er gegen seinen Wunsch und füllte sie<lb/> zur vollen Zufriedenheit des Kaisers aus. Danach wurde er kommandierender<lb/> General des zehnten Armeekorps und 1890 Bismcircks Nachfolger, was nie<lb/> das Ziel seines Ehrgeizes gewesen war; er folgte als Soldat dem Befehl<lb/> seines neuen Kriegsherrn und wußte, welche Schwierigkeiten seiner warteten:<lb/> „uuter mir wird die Politik langweilig werden." Alsbald trat er mit einem<lb/> Bündel neuer Gesetze vor den Landtag. Die in die Hände des Ministers des<lb/> Innern Herrfurth gelegte neue Landgemeindevrdnung und die Finanz- und<lb/> Steuerreform des ueueruanuten Finanzministers Miguel kamen 1891 und 1893<lb/> zustande, das Gesetz über die öffentliche Volksschule, wie allbekannt ist, nicht;<lb/> Goßler war vom Amt zurückgetreten, sein Nachfolger Zedlitz-Trützschler würde<lb/> es mit einer Mehrheit aus Zentrum und Konservativen durchgebracht haben,<lb/> da trat das Unerwartete ein. Der Kaiser gab dem Ansturm der übrigen<lb/> Parteien nach und befahl die Zurückziehung, und der Kultusminister nahm<lb/> seine Entlassung. Caprivi mußte bleiben, aber nur als Reichskanzler, denn<lb/> Ministerpräsident wurde Botho Eulenburg (1892 bis 1894). Als Reichs¬<lb/> kanzler hatte Caprivi zunächst die Absichten des Kaisers, die diesen zum Bruche<lb/> wie Bismarck geführt hatten, durchzuführen; das Sozialistengesetz ließ man<lb/> füllen, ein Arbeiterschutzgesetz trat ins Leben. Dann kamen die neuen Handels¬<lb/> verträge (da die alten längstens bis Ende 1893 liefen), zuerst der mit Öster¬<lb/> reich-Ungarn vom 6. Dezember 1891 und die mit Italien, der Schweiz und<lb/> Belgien, denen der größte Teil der Konservativen wegen der Herabsetzung der<lb/> Zölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse opponiert hatte. Caprivi trugen sie<lb/> den Grafentitel ein. Endlich kamen die viel schwierigern Verhandlungen mit<lb/> Rußland, die nach einem kurzen Zollkriege zum Abschluß eines Vertrags (1894),<lb/> ebenfalls mit einer Erniedrigung der deutschen Getreidezölle, führten. Der<lb/> russische Handelsvertrag kam nur durch das Zentrum und die liberalen Par¬<lb/> teien zustande, die Konservativen wurden um des Kanzlers entschiedne Gegner.<lb/> 6^ur die Industrie folgte bald ein großer wirtschaftlicher Aufschwung, und daß<lb/> die Politik der Handelsverträge schweren Verwirrungen vorgebeugt hat, ist.<lb/> zweifellos; hier liegen also bedeutende Verdienste Caprivis. In der Kolonial¬<lb/> politik dagegen, wo er besonders schwierige Verhältnisse fand, hatte er jeden¬<lb/> falls auch keine glückliche Hand („Je weniger Afrika, desto besser"), aber über<lb/> den vielberufnen Sansibarvcrtrag mit England vom 1. Juli 1890, der uns<lb/> Helgoland einbrachte und Wien nahm, können wir kein abschließendes Urteil<lb/> haben, solange seine Vorgeschichte im Dunkel der Akten liegt. Nach dem Fall<lb/> des Schulgesetzes 1892 hätte der Reichskanzler keinen festen Boden mehr unter<lb/> den Füßen. „Ein Mann, der andre Ziele verfolgte, hatte eine ebenso große<lb/> Macht in Händen wie er." Als er demnächst, vor dem Ablauf des Septennats</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 1902 71</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Die Toten von i^SZY
vorgesetzten Bildnis der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen ein, er war mit
dem Ritter Josias von Bunsen verwandt und starb in Heidelberg, achtund¬
achtzig Jahre alt; seine berühmtesten Entdeckungen betreffen die chemischen
Wirkungen der Lichtstrahlen und die Spektralanalyse, diese hatte er 1860
veröffentlicht, gemeinsam mit Kirchhofs.
Der nächst berühmte wird Graf Caprivi sein, der zweite Kanzler des
Deutschen Reichs, er ist neunundsechzig Jahre alt geworden. Ihn behandelt
Alexander Meyer in einem so ausgezeichneten Artikel, daß wir es uns nicht
versagen mögen, im Anschluß daran einiges zum Gedächtnis des verdienten
und vielverkannten Mannes mitzuteilen. Sein erstes Verdienst erwarb er sich
am 16. August 1870, dem Tag von Vionville, als Generalstabschef des
zehnten Armeekorps (Voigts-Nhetz), indem er trotz gegebnen Befehls das Korps
nicht nach Verdun abmarschieren ließ, souderu es so zusammenhielt, daß es
dem von der feindlichen Übermacht bedrängten drittel, (Alvensleben) Hilfe
leisten konnte. Die Stellung des Chefs der Admiralität und Nachfolgers
von Stosch 1883 bis 1888 übernahm er gegen seinen Wunsch und füllte sie
zur vollen Zufriedenheit des Kaisers aus. Danach wurde er kommandierender
General des zehnten Armeekorps und 1890 Bismcircks Nachfolger, was nie
das Ziel seines Ehrgeizes gewesen war; er folgte als Soldat dem Befehl
seines neuen Kriegsherrn und wußte, welche Schwierigkeiten seiner warteten:
„uuter mir wird die Politik langweilig werden." Alsbald trat er mit einem
Bündel neuer Gesetze vor den Landtag. Die in die Hände des Ministers des
Innern Herrfurth gelegte neue Landgemeindevrdnung und die Finanz- und
Steuerreform des ueueruanuten Finanzministers Miguel kamen 1891 und 1893
zustande, das Gesetz über die öffentliche Volksschule, wie allbekannt ist, nicht;
Goßler war vom Amt zurückgetreten, sein Nachfolger Zedlitz-Trützschler würde
es mit einer Mehrheit aus Zentrum und Konservativen durchgebracht haben,
da trat das Unerwartete ein. Der Kaiser gab dem Ansturm der übrigen
Parteien nach und befahl die Zurückziehung, und der Kultusminister nahm
seine Entlassung. Caprivi mußte bleiben, aber nur als Reichskanzler, denn
Ministerpräsident wurde Botho Eulenburg (1892 bis 1894). Als Reichs¬
kanzler hatte Caprivi zunächst die Absichten des Kaisers, die diesen zum Bruche
wie Bismarck geführt hatten, durchzuführen; das Sozialistengesetz ließ man
füllen, ein Arbeiterschutzgesetz trat ins Leben. Dann kamen die neuen Handels¬
verträge (da die alten längstens bis Ende 1893 liefen), zuerst der mit Öster¬
reich-Ungarn vom 6. Dezember 1891 und die mit Italien, der Schweiz und
Belgien, denen der größte Teil der Konservativen wegen der Herabsetzung der
Zölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse opponiert hatte. Caprivi trugen sie
den Grafentitel ein. Endlich kamen die viel schwierigern Verhandlungen mit
Rußland, die nach einem kurzen Zollkriege zum Abschluß eines Vertrags (1894),
ebenfalls mit einer Erniedrigung der deutschen Getreidezölle, führten. Der
russische Handelsvertrag kam nur durch das Zentrum und die liberalen Par¬
teien zustande, die Konservativen wurden um des Kanzlers entschiedne Gegner.
6^ur die Industrie folgte bald ein großer wirtschaftlicher Aufschwung, und daß
die Politik der Handelsverträge schweren Verwirrungen vorgebeugt hat, ist.
zweifellos; hier liegen also bedeutende Verdienste Caprivis. In der Kolonial¬
politik dagegen, wo er besonders schwierige Verhältnisse fand, hatte er jeden¬
falls auch keine glückliche Hand („Je weniger Afrika, desto besser"), aber über
den vielberufnen Sansibarvcrtrag mit England vom 1. Juli 1890, der uns
Helgoland einbrachte und Wien nahm, können wir kein abschließendes Urteil
haben, solange seine Vorgeschichte im Dunkel der Akten liegt. Nach dem Fall
des Schulgesetzes 1892 hätte der Reichskanzler keinen festen Boden mehr unter
den Füßen. „Ein Mann, der andre Ziele verfolgte, hatte eine ebenso große
Macht in Händen wie er." Als er demnächst, vor dem Ablauf des Septennats
Grenzboten 1 1902 71
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