Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Nationalitätskäinpfe angesiedelten Vorläufer anlehnen und deren nationale Widerstandskraft immer Nnchstdem entscheidet die Lage und die Art der Niederlassung darüber, Nationalitätskäinpfe angesiedelten Vorläufer anlehnen und deren nationale Widerstandskraft immer Nnchstdem entscheidet die Lage und die Art der Niederlassung darüber, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237019"/> <fw type="header" place="top"> Nationalitätskäinpfe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1951" prev="#ID_1950"> angesiedelten Vorläufer anlehnen und deren nationale Widerstandskraft immer<lb/> wieder um beleben können, wird gegründete Aussicht haben, eine dauernde<lb/> Verschiebung des nationalen Besitzstandes herbeizuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1952"> Nnchstdem entscheidet die Lage und die Art der Niederlassung darüber,<lb/> ob diese sich im fremden Sprachgebiete zu behaupten und im weitern Verlaufe<lb/> der Entwicklung eine Verschiebung der Sprachgrenze zu erzwingen vermag.<lb/> Allgemein kann man sagen: je näher dem eignen Sprachgebiete und je ge¬<lb/> schlossener in sich die Neusiedlung ist, um so eher wird sie zu dem genannten<lb/> Ergebnis führen. Die Neusiedlungen der Franken und der Alemannen in roma¬<lb/> nischem Lande haben den Zusammenhang mit dem auf altdeutschem Boden be¬<lb/> festigten Stammesgebiet außer vereinzelten weit vorgeschobnen Posten gewahrt,<lb/> sie geschahen ferner der Regel nach in der geschlossenen Form nahe bei einander<lb/> liegender deutscher Vauerndörfer, der allein nachhaltig wirkenden, typischen<lb/> Form deutscher Ausbreitung; deshalb haben sie zu einer Ausdehnung des<lb/> deutschen Sprachgebiets über die weiten linksrheinischen Gebiete geführt, die<lb/> größtenteils noch jetzt unsrer Sprache angehören. Die Goten und die Bur¬<lb/> gunder dagegen entfernten sich so weit von dem geschlossenen deutschen Volks-<lb/> körper, daß nur noch eine lose Grenzberührung einzelner Teile bestehn blieb;<lb/> sie zerstreuten sich ferner über das weite Gebiet einer der Zahl wie der Kultur<lb/> nach weit überlegnen fremden Bevölkerung. Und wo sich in so zerstreuter<lb/> Lage kleine Häuflein von ihnen inmitten romanischen Volks niederließen,<lb/> geschah es nur ausnahmsweise — z. B. in den über Oberitalien und das süd¬<lb/> liche Frankreich hin ausgestreuten Orten auf -inZsn (-önZo, -MAö, -ans, -ins) —<lb/> ^ der nationalen Form geschlossener Dorfsiedlung; in der Regel durch Ein¬<lb/> quartierung in romanische Ortschaften. So konnten nicht einmal widerstands¬<lb/> fähige rein germanische Sprachinseln entstehn, sondern das eingewanderte<lb/> Germanentum war fast allerorten einer einheimischen Romanenbevölkerung<lb/> beigemischt und dabei noch in entschiedner Minderheit. Die Möglichkeit der<lb/> Erhaltung germanischer Sprache und Nationalität war somit von vornherein<lb/> auf die kurze Spanne weniger Generationen beschränkt, jede Erweiterung des<lb/> deutschen Sprachgebiets ausgeschlossen. Bei sehr starker Widerstandskraft ist<lb/> es allerdings möglich, daß verzettelte Sprachinseln oder sogar noch kleinere<lb/> Beimischungen ihre Sprache und Nationalität eine Reihe von Jahrhunderten<lb/> erhalten. Das klassische Beispiel dafür sind die Ballen der russische« Ostsee¬<lb/> provinzen. Aber bei aller nationalen Zähigkeit haben auch sie keine Erweite-<lb/> rung des deutschen Sprachgebiets, keine Verschiebung der Sprachgrenze nach<lb/> Osim zuwege gebracht. Dazu hätte zu ihrer eignen Dauerhaftigkeit n'och<lb/> die Entnationalisierung der eingebornen esthnischen und lettischen Bevölkerung<lb/> kommen müssen. Diese Entnationalisierung ist es, durch die das Ringen durch¬<lb/> einander gemischter Bestandteile verschiedener Nationen um alleinige Geltung<lb/> entschieden wird. Wird dabei die eingedrnngne Nation überwältigt, entnatio-<lb/> ualisiert. so erleidet die alte Sprachgrenze keine Verschiebung. Gelingt es da¬<lb/> gegen der vorgedruugnen Nation, nicht nur sich zu behaupten, sondern sich<lb/> auch die von ihr durchsetzten Teile der einheimischen Nation zu assimilieren,<lb/> so muß das Ergebnis eine Verschiebung der Sprachgrenze sein.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0495]
Nationalitätskäinpfe
angesiedelten Vorläufer anlehnen und deren nationale Widerstandskraft immer
wieder um beleben können, wird gegründete Aussicht haben, eine dauernde
Verschiebung des nationalen Besitzstandes herbeizuführen.
Nnchstdem entscheidet die Lage und die Art der Niederlassung darüber,
ob diese sich im fremden Sprachgebiete zu behaupten und im weitern Verlaufe
der Entwicklung eine Verschiebung der Sprachgrenze zu erzwingen vermag.
Allgemein kann man sagen: je näher dem eignen Sprachgebiete und je ge¬
schlossener in sich die Neusiedlung ist, um so eher wird sie zu dem genannten
Ergebnis führen. Die Neusiedlungen der Franken und der Alemannen in roma¬
nischem Lande haben den Zusammenhang mit dem auf altdeutschem Boden be¬
festigten Stammesgebiet außer vereinzelten weit vorgeschobnen Posten gewahrt,
sie geschahen ferner der Regel nach in der geschlossenen Form nahe bei einander
liegender deutscher Vauerndörfer, der allein nachhaltig wirkenden, typischen
Form deutscher Ausbreitung; deshalb haben sie zu einer Ausdehnung des
deutschen Sprachgebiets über die weiten linksrheinischen Gebiete geführt, die
größtenteils noch jetzt unsrer Sprache angehören. Die Goten und die Bur¬
gunder dagegen entfernten sich so weit von dem geschlossenen deutschen Volks-
körper, daß nur noch eine lose Grenzberührung einzelner Teile bestehn blieb;
sie zerstreuten sich ferner über das weite Gebiet einer der Zahl wie der Kultur
nach weit überlegnen fremden Bevölkerung. Und wo sich in so zerstreuter
Lage kleine Häuflein von ihnen inmitten romanischen Volks niederließen,
geschah es nur ausnahmsweise — z. B. in den über Oberitalien und das süd¬
liche Frankreich hin ausgestreuten Orten auf -inZsn (-önZo, -MAö, -ans, -ins) —
^ der nationalen Form geschlossener Dorfsiedlung; in der Regel durch Ein¬
quartierung in romanische Ortschaften. So konnten nicht einmal widerstands¬
fähige rein germanische Sprachinseln entstehn, sondern das eingewanderte
Germanentum war fast allerorten einer einheimischen Romanenbevölkerung
beigemischt und dabei noch in entschiedner Minderheit. Die Möglichkeit der
Erhaltung germanischer Sprache und Nationalität war somit von vornherein
auf die kurze Spanne weniger Generationen beschränkt, jede Erweiterung des
deutschen Sprachgebiets ausgeschlossen. Bei sehr starker Widerstandskraft ist
es allerdings möglich, daß verzettelte Sprachinseln oder sogar noch kleinere
Beimischungen ihre Sprache und Nationalität eine Reihe von Jahrhunderten
erhalten. Das klassische Beispiel dafür sind die Ballen der russische« Ostsee¬
provinzen. Aber bei aller nationalen Zähigkeit haben auch sie keine Erweite-
rung des deutschen Sprachgebiets, keine Verschiebung der Sprachgrenze nach
Osim zuwege gebracht. Dazu hätte zu ihrer eignen Dauerhaftigkeit n'och
die Entnationalisierung der eingebornen esthnischen und lettischen Bevölkerung
kommen müssen. Diese Entnationalisierung ist es, durch die das Ringen durch¬
einander gemischter Bestandteile verschiedener Nationen um alleinige Geltung
entschieden wird. Wird dabei die eingedrnngne Nation überwältigt, entnatio-
ualisiert. so erleidet die alte Sprachgrenze keine Verschiebung. Gelingt es da¬
gegen der vorgedruugnen Nation, nicht nur sich zu behaupten, sondern sich
auch die von ihr durchsetzten Teile der einheimischen Nation zu assimilieren,
so muß das Ergebnis eine Verschiebung der Sprachgrenze sein.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |