Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Doktor Dnttmüller und sein Freund

Gesellschaft in freier Gruppierung, Doktor Sembritzky hatte seine Zurückhaltung
abgelegt, er ergriff ein Glas Spatenbräu und schwang es empor, wozu er in
klingendem Tone sprach:

Sehr nett! -- Allerliebst! -- Wirklich sehr -- sehr -- sehr nett--
Kköstlich!

Vielleicht ist der Leser nicht der gleichen Meinung, aber er bedenke, daß er
in dem Augenblick, wo er dies liest, keine Flasche Rüdesheimer im Leibe hat, und
daß diesesmnl der Dichter wirklich improvisiert hatte.

Aber jetzt tragen Sie uns etwas von Ihrer Dichtung vor, bat Lydia, und der
Dichter ließ sich erbitten. Er nahm ein ansehnliches Manuskript aus der Tasche
und legte es vor sich auf den Tisch. Die Zuhörerschaft beruhigte sich allmählich,
nur Professor Wehrendes, der mit Pastor Attila im Gespräch war, konnte noch kein
Ende finden und rief: Ich bitte Sie, Herr Pastor, "bedingt"! Eine Sache bedingt
eine andre, das ist omne -- omne -- eine höchst lüderliche logische Verbindung.

söffe!

Der Dichter schob seinen Lehnsessel zurück, schaute mit einem nach innen ge¬
richteten Blick ins Weite, etwa so wie Wöllner, wenn er während des Vorspiels
auf die Inspiration wartet. Dann begann er mit gedeckter, von verborgner Er¬
regung bebender Stimme stimmungsvoll:


Ich steh allein
Auf kahler Klippe,
Die die Sonne verbrannt
-- Der Jahre tausende --
Mit werdender Glut,
Die der Mond heimlich
Gekose mit keuscher Wange. --
Kein Kreuz steht droben,
Einsam nur der
Trigonometrische Punkt.

Der Dichter machte eine Kunstpause. Frau Bauditz und Frau Schlieche steckten
die Köpfe zusammen: Das ist ganz gewiß der Saustein hinter der Försterei, meinte
Frau Bauditz. -- Ist das Prosa oder Poesie? -- Frau Bauditz warf einen Blick
auf das Manuskript, sah die abgesetzten Reihen und erwiderte: Poesie, natürlich
Poesie. Der Dichter fuhr fort:


Dunkel ragen aus Blöcken
Grauen Granits Fichten und Tannen --
Gleich gigantischem Moose
Der Urweltszeit.
Rot blickt mit giftgen Haupte
Der Fingerhut.
Drunten dunkle Teiche
Zusammengeronnen aus Thränen
Verborgnen Gesteins,
Ein totes Meer,
Regungslos, fischlos.
Und das Dach der Försterei
Ziegelrot, brutales Viereck.

Draußen in der Fabrik erklang der heulende Ton der Pfeife. Der Dichter setzte
ab, und Professor Behrendes setzte ein, indem er sich halblaut an Pastor Attila
wandte: Rot blickt mit giftigem Haupte der Fingerhut. Dies ist omne -- ein
Sprachföhler. Man kann doch nicht das Verbum blicken durch das Adverbium rot
näher bestimmen.


Doktor Dnttmüller und sein Freund

Gesellschaft in freier Gruppierung, Doktor Sembritzky hatte seine Zurückhaltung
abgelegt, er ergriff ein Glas Spatenbräu und schwang es empor, wozu er in
klingendem Tone sprach:

Sehr nett! — Allerliebst! — Wirklich sehr — sehr — sehr nett--
Kköstlich!

Vielleicht ist der Leser nicht der gleichen Meinung, aber er bedenke, daß er
in dem Augenblick, wo er dies liest, keine Flasche Rüdesheimer im Leibe hat, und
daß diesesmnl der Dichter wirklich improvisiert hatte.

Aber jetzt tragen Sie uns etwas von Ihrer Dichtung vor, bat Lydia, und der
Dichter ließ sich erbitten. Er nahm ein ansehnliches Manuskript aus der Tasche
und legte es vor sich auf den Tisch. Die Zuhörerschaft beruhigte sich allmählich,
nur Professor Wehrendes, der mit Pastor Attila im Gespräch war, konnte noch kein
Ende finden und rief: Ich bitte Sie, Herr Pastor, „bedingt"! Eine Sache bedingt
eine andre, das ist omne — omne — eine höchst lüderliche logische Verbindung.

söffe!

Der Dichter schob seinen Lehnsessel zurück, schaute mit einem nach innen ge¬
richteten Blick ins Weite, etwa so wie Wöllner, wenn er während des Vorspiels
auf die Inspiration wartet. Dann begann er mit gedeckter, von verborgner Er¬
regung bebender Stimme stimmungsvoll:


Ich steh allein
Auf kahler Klippe,
Die die Sonne verbrannt
— Der Jahre tausende —
Mit werdender Glut,
Die der Mond heimlich
Gekose mit keuscher Wange. —
Kein Kreuz steht droben,
Einsam nur der
Trigonometrische Punkt.

Der Dichter machte eine Kunstpause. Frau Bauditz und Frau Schlieche steckten
die Köpfe zusammen: Das ist ganz gewiß der Saustein hinter der Försterei, meinte
Frau Bauditz. — Ist das Prosa oder Poesie? — Frau Bauditz warf einen Blick
auf das Manuskript, sah die abgesetzten Reihen und erwiderte: Poesie, natürlich
Poesie. Der Dichter fuhr fort:


Dunkel ragen aus Blöcken
Grauen Granits Fichten und Tannen —
Gleich gigantischem Moose
Der Urweltszeit.
Rot blickt mit giftgen Haupte
Der Fingerhut.
Drunten dunkle Teiche
Zusammengeronnen aus Thränen
Verborgnen Gesteins,
Ein totes Meer,
Regungslos, fischlos.
Und das Dach der Försterei
Ziegelrot, brutales Viereck.

Draußen in der Fabrik erklang der heulende Ton der Pfeife. Der Dichter setzte
ab, und Professor Behrendes setzte ein, indem er sich halblaut an Pastor Attila
wandte: Rot blickt mit giftigem Haupte der Fingerhut. Dies ist omne — ein
Sprachföhler. Man kann doch nicht das Verbum blicken durch das Adverbium rot
näher bestimmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236972"/>
          <fw type="header" place="top"> Doktor Dnttmüller und sein Freund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1722" prev="#ID_1721"> Gesellschaft in freier Gruppierung, Doktor Sembritzky hatte seine Zurückhaltung<lb/>
abgelegt, er ergriff ein Glas Spatenbräu und schwang es empor, wozu er in<lb/>
klingendem Tone sprach:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_9" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1723"> Sehr nett! &#x2014; Allerliebst! &#x2014; Wirklich sehr &#x2014; sehr &#x2014; sehr nett--<lb/>
Kköstlich!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1724"> Vielleicht ist der Leser nicht der gleichen Meinung, aber er bedenke, daß er<lb/>
in dem Augenblick, wo er dies liest, keine Flasche Rüdesheimer im Leibe hat, und<lb/>
daß diesesmnl der Dichter wirklich improvisiert hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1725"> Aber jetzt tragen Sie uns etwas von Ihrer Dichtung vor, bat Lydia, und der<lb/>
Dichter ließ sich erbitten. Er nahm ein ansehnliches Manuskript aus der Tasche<lb/>
und legte es vor sich auf den Tisch. Die Zuhörerschaft beruhigte sich allmählich,<lb/>
nur Professor Wehrendes, der mit Pastor Attila im Gespräch war, konnte noch kein<lb/>
Ende finden und rief: Ich bitte Sie, Herr Pastor, &#x201E;bedingt"! Eine Sache bedingt<lb/>
eine andre, das ist omne &#x2014; omne &#x2014; eine höchst lüderliche logische Verbindung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1726"> söffe!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1727"> Der Dichter schob seinen Lehnsessel zurück, schaute mit einem nach innen ge¬<lb/>
richteten Blick ins Weite, etwa so wie Wöllner, wenn er während des Vorspiels<lb/>
auf die Inspiration wartet. Dann begann er mit gedeckter, von verborgner Er¬<lb/>
regung bebender Stimme stimmungsvoll:</p><lb/>
          <quote> Ich steh allein<lb/>
Auf kahler Klippe,<lb/>
Die die Sonne verbrannt<lb/>
&#x2014; Der Jahre tausende &#x2014;<lb/>
Mit werdender Glut,<lb/>
Die der Mond heimlich<lb/>
Gekose mit keuscher Wange. &#x2014;<lb/>
Kein Kreuz steht droben,<lb/>
Einsam nur der<lb/>
Trigonometrische Punkt.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1728"> Der Dichter machte eine Kunstpause. Frau Bauditz und Frau Schlieche steckten<lb/>
die Köpfe zusammen: Das ist ganz gewiß der Saustein hinter der Försterei, meinte<lb/>
Frau Bauditz. &#x2014; Ist das Prosa oder Poesie? &#x2014; Frau Bauditz warf einen Blick<lb/>
auf das Manuskript, sah die abgesetzten Reihen und erwiderte: Poesie, natürlich<lb/>
Poesie.  Der Dichter fuhr fort:</p><lb/>
          <quote> Dunkel ragen aus Blöcken<lb/>
Grauen Granits Fichten und Tannen &#x2014;<lb/>
Gleich gigantischem Moose<lb/>
Der Urweltszeit.<lb/>
Rot blickt mit giftgen Haupte<lb/>
Der Fingerhut.<lb/>
Drunten dunkle Teiche<lb/>
Zusammengeronnen aus Thränen<lb/>
Verborgnen Gesteins,<lb/>
Ein totes Meer,<lb/>
Regungslos, fischlos.<lb/>
Und das Dach der Försterei<lb/>
Ziegelrot, brutales Viereck.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1729"> Draußen in der Fabrik erklang der heulende Ton der Pfeife. Der Dichter setzte<lb/>
ab, und Professor Behrendes setzte ein, indem er sich halblaut an Pastor Attila<lb/>
wandte: Rot blickt mit giftigem Haupte der Fingerhut. Dies ist omne &#x2014; ein<lb/>
Sprachföhler. Man kann doch nicht das Verbum blicken durch das Adverbium rot<lb/>
näher bestimmen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] Doktor Dnttmüller und sein Freund Gesellschaft in freier Gruppierung, Doktor Sembritzky hatte seine Zurückhaltung abgelegt, er ergriff ein Glas Spatenbräu und schwang es empor, wozu er in klingendem Tone sprach: Sehr nett! — Allerliebst! — Wirklich sehr — sehr — sehr nett-- Kköstlich! Vielleicht ist der Leser nicht der gleichen Meinung, aber er bedenke, daß er in dem Augenblick, wo er dies liest, keine Flasche Rüdesheimer im Leibe hat, und daß diesesmnl der Dichter wirklich improvisiert hatte. Aber jetzt tragen Sie uns etwas von Ihrer Dichtung vor, bat Lydia, und der Dichter ließ sich erbitten. Er nahm ein ansehnliches Manuskript aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch. Die Zuhörerschaft beruhigte sich allmählich, nur Professor Wehrendes, der mit Pastor Attila im Gespräch war, konnte noch kein Ende finden und rief: Ich bitte Sie, Herr Pastor, „bedingt"! Eine Sache bedingt eine andre, das ist omne — omne — eine höchst lüderliche logische Verbindung. söffe! Der Dichter schob seinen Lehnsessel zurück, schaute mit einem nach innen ge¬ richteten Blick ins Weite, etwa so wie Wöllner, wenn er während des Vorspiels auf die Inspiration wartet. Dann begann er mit gedeckter, von verborgner Er¬ regung bebender Stimme stimmungsvoll: Ich steh allein Auf kahler Klippe, Die die Sonne verbrannt — Der Jahre tausende — Mit werdender Glut, Die der Mond heimlich Gekose mit keuscher Wange. — Kein Kreuz steht droben, Einsam nur der Trigonometrische Punkt. Der Dichter machte eine Kunstpause. Frau Bauditz und Frau Schlieche steckten die Köpfe zusammen: Das ist ganz gewiß der Saustein hinter der Försterei, meinte Frau Bauditz. — Ist das Prosa oder Poesie? — Frau Bauditz warf einen Blick auf das Manuskript, sah die abgesetzten Reihen und erwiderte: Poesie, natürlich Poesie. Der Dichter fuhr fort: Dunkel ragen aus Blöcken Grauen Granits Fichten und Tannen — Gleich gigantischem Moose Der Urweltszeit. Rot blickt mit giftgen Haupte Der Fingerhut. Drunten dunkle Teiche Zusammengeronnen aus Thränen Verborgnen Gesteins, Ein totes Meer, Regungslos, fischlos. Und das Dach der Försterei Ziegelrot, brutales Viereck. Draußen in der Fabrik erklang der heulende Ton der Pfeife. Der Dichter setzte ab, und Professor Behrendes setzte ein, indem er sich halblaut an Pastor Attila wandte: Rot blickt mit giftigem Haupte der Fingerhut. Dies ist omne — ein Sprachföhler. Man kann doch nicht das Verbum blicken durch das Adverbium rot näher bestimmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/448>, abgerufen am 27.09.2024.