Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Doktor Duttmüller und sei" Freund Beifall. nett! -- Wirklich sehr, sehr nett. -- Kköstlich. -- Nein. Mendelssohn -- Während dessen kam die Dichterin auf ihre vorige Rede zurück. Ich weiß Die Anwesenden murmelten pflichtschuldigen Beifall; man nahm Platz, und Thränen [Beginn Spaltensatz] Der Himmel hat geweinet Viel Thränen ohne Zahl; Die liebe Sonne scheinet Hinein in bleicher Qual. [Spaltenumbruch] Es reichen sich die Thränen Die Hände und das Herz In wonnevollem Sehnen, Umtost vom Sonnenschmerz. [Ende Spaltensatz] Hast du, mein Herz, geweinet Viel Thränen ohne Zahl, Die goldne Sonne scheinet Und -- macht zum Lied die Qual. Diese letzten Worte wurden mit schmerzlichem Lächeln und so süßsäuerlich wie nett, sehr nett! -- Allerliebst. -- Sehr niedlich. -- Kköstlich I Die Dichterin Und der Dichter war nicht zum Worte gekommen! Die drei jungen Mädchen Vom Abendessen ist nicht viel zu berichten. Es gab, was es geben sollte, Nach dem Essen kehrte man wiederum in feierlichem Zuge in das Sitzungs¬ Doktor Duttmüller und sei» Freund Beifall. nett! — Wirklich sehr, sehr nett. — Kköstlich. — Nein. Mendelssohn — Während dessen kam die Dichterin auf ihre vorige Rede zurück. Ich weiß Die Anwesenden murmelten pflichtschuldigen Beifall; man nahm Platz, und Thränen [Beginn Spaltensatz] Der Himmel hat geweinet Viel Thränen ohne Zahl; Die liebe Sonne scheinet Hinein in bleicher Qual. [Spaltenumbruch] Es reichen sich die Thränen Die Hände und das Herz In wonnevollem Sehnen, Umtost vom Sonnenschmerz. [Ende Spaltensatz] Hast du, mein Herz, geweinet Viel Thränen ohne Zahl, Die goldne Sonne scheinet Und — macht zum Lied die Qual. Diese letzten Worte wurden mit schmerzlichem Lächeln und so süßsäuerlich wie nett, sehr nett! — Allerliebst. — Sehr niedlich. — Kköstlich I Die Dichterin Und der Dichter war nicht zum Worte gekommen! Die drei jungen Mädchen Vom Abendessen ist nicht viel zu berichten. Es gab, was es geben sollte, Nach dem Essen kehrte man wiederum in feierlichem Zuge in das Sitzungs¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236971"/> <fw type="header" place="top"> Doktor Duttmüller und sei» Freund</fw><lb/> <p xml:id="ID_1714" prev="#ID_1713"> Beifall. nett! — Wirklich sehr, sehr nett. — Kköstlich. — Nein. Mendelssohn —<lb/> Mendelssohn ist einzig.</p><lb/> <p xml:id="ID_1715"> Während dessen kam die Dichterin auf ihre vorige Rede zurück. Ich weiß<lb/> nicht sagte sie zu ihrem Nachbar, ob Sie schon dem Namen Laka Rock begegnet<lb/> sind. Ich kann es kaum glauben, da ich nie für die weite Öffentlichkeit gewesen<lb/> bin. Es ist mein Pseudonym — Deckwort, sollen wir ja wohl sagen, fügte sie<lb/> süß lächelnd hinzu —, obwohl mir Pseudonym besser gefällt. Das Wort hat einen<lb/> mystischen Klang, und das soll es ja haben. Ich habe unter diesem Namen einen<lb/> Band Gedichte herausgegeben. — Sie warf einen Blick auf ihren lieben Mann.<lb/> Dieser, der Herr Pastor Attila, war ein guter Mensch, der an den Dichterivert<lb/> seiner lieben Frau glaubte und auf ihren Kunstreisen, das heißt wenn sie. ihr Ge¬<lb/> dichtbuch in der Tasche, in eine Gesellschaft fuhr, die Thätigkeit eines Impresario,<lb/> zu deutsch Ausrufers übernahm. Er sagte also mit einer Stimme, die eine ganze<lb/> Kirche ausgefüllt haben würde: Liebe Rosalie, du würdest die Anwesenden gewiß<lb/> erfreuen, wenn du ihnen den Genuß bereiten wolltest, eins deiner Lieder zu hören.</p><lb/> <p xml:id="ID_1716"> Die Anwesenden murmelten pflichtschuldigen Beifall; man nahm Platz, und<lb/> ein jeder teilte seinem Nachbar noch eine besondre Bemerkung mit. Die Dichterin<lb/> zog ihr Gedichtbuch — es war sichtlich stark gebraucht — aus der Tasche, blätterte<lb/> und las mit süßer Stimme:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <head> Thränen</head> <l><lb/><cb type="start"/> Der Himmel hat geweinet<lb/> Viel Thränen ohne Zahl;<lb/> Die liebe Sonne scheinet<lb/> Hinein in bleicher Qual.<lb/><lb/> <cb/> Es reichen sich die Thränen<lb/> Die Hände und das Herz<lb/> In wonnevollem Sehnen,<lb/> Umtost vom Sonnenschmerz.<lb/><lb/> <cb type="end"/><lb/> Hast du, mein Herz, geweinet<lb/> Viel Thränen ohne Zahl,<lb/> Die goldne Sonne scheinet<lb/> Und — macht zum Lied die Qual. </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1717"> Diese letzten Worte wurden mit schmerzlichem Lächeln und so süßsäuerlich wie<lb/> Citrouenlimonade gesprochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1718"> nett, sehr nett! — Allerliebst. — Sehr niedlich. — Kköstlich I Die Dichterin<lb/> blätterte weiter und wollte eben ein zweites Gedicht von dem halben Dutzend, das<lb/> sie sich vorgenommen hatte, vortragen, da wurde im Nebenzimmer die Zampa-<lb/> ouvertnre losgelassen. Und als die Ouvertüre zu Ende war, wurden die Thüren<lb/> zum Speisesaal aufgethan. Alle erhoben sich und ordneten sich in feierlichem Zuge,<lb/> als begäbe man sich zu einer heiligen Handlung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1719"> Und der Dichter war nicht zum Worte gekommen! Die drei jungen Mädchen<lb/> teilten sich diese Thatsache mit dem Ausdrucke der Entrüstung mit. Aber die. die<lb/> zum Worte gekommen waren, hatten sich vortrefflich unterhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1720"> Vom Abendessen ist nicht viel zu berichten. Es gab, was es geben sollte,<lb/> Karpfen. Rehbraten und eine süße Speise, und jeder saß, neben dem er sitzen sollte.<lb/> Nur das möge noch erwähnt werden, daß der Direktor, sonst ein ausgezeichneter<lb/> Tischredner, zerstreut war, in seiner Begrüßungsrede eine richtige Entgleisung erlebte<lb/> und fast das Hoch auf die Gäste vergessen hätte. Darauf antwortete Doktor<lb/> Sembritzky mit einem wohl vorbereiteten Gedicht, in dem er, zugleich einen feurigen<lb/> Blick ans Alice werfend, der jungen Wirtin seine Huldigung zu Füßen legte. Lydia<lb/> errötete. Man stieß an und sagte: nett, sehr nett, wirklich allerliebst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1721" next="#ID_1722"> Nach dem Essen kehrte man wiederum in feierlichem Zuge in das Sitzungs¬<lb/> zimmer zurück und nahm, jeder von seiner Nachbarin, Abschied, als gelte es fürs<lb/> Leben. Darauf hatten die Damen den Damen und die Herren den Herren wichtige<lb/> Mitteilungen zu machen, worauf man immer noch stehn blieb, obgleich man sich<lb/> lieber gesetzt hätte. Auf drtngeudes Zureden wurde endlich die Gesellschaft seßhaft<lb/> gemacht, und Johann ging herum und präsentierte Spatenbräu. Doktor Sembritzky<lb/> und die Dichterin bildeten wiederum den Mittelpunkt, und um sie Scharte sich die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Doktor Duttmüller und sei» Freund
Beifall. nett! — Wirklich sehr, sehr nett. — Kköstlich. — Nein. Mendelssohn —
Mendelssohn ist einzig.
Während dessen kam die Dichterin auf ihre vorige Rede zurück. Ich weiß
nicht sagte sie zu ihrem Nachbar, ob Sie schon dem Namen Laka Rock begegnet
sind. Ich kann es kaum glauben, da ich nie für die weite Öffentlichkeit gewesen
bin. Es ist mein Pseudonym — Deckwort, sollen wir ja wohl sagen, fügte sie
süß lächelnd hinzu —, obwohl mir Pseudonym besser gefällt. Das Wort hat einen
mystischen Klang, und das soll es ja haben. Ich habe unter diesem Namen einen
Band Gedichte herausgegeben. — Sie warf einen Blick auf ihren lieben Mann.
Dieser, der Herr Pastor Attila, war ein guter Mensch, der an den Dichterivert
seiner lieben Frau glaubte und auf ihren Kunstreisen, das heißt wenn sie. ihr Ge¬
dichtbuch in der Tasche, in eine Gesellschaft fuhr, die Thätigkeit eines Impresario,
zu deutsch Ausrufers übernahm. Er sagte also mit einer Stimme, die eine ganze
Kirche ausgefüllt haben würde: Liebe Rosalie, du würdest die Anwesenden gewiß
erfreuen, wenn du ihnen den Genuß bereiten wolltest, eins deiner Lieder zu hören.
Die Anwesenden murmelten pflichtschuldigen Beifall; man nahm Platz, und
ein jeder teilte seinem Nachbar noch eine besondre Bemerkung mit. Die Dichterin
zog ihr Gedichtbuch — es war sichtlich stark gebraucht — aus der Tasche, blätterte
und las mit süßer Stimme:
Thränen
Der Himmel hat geweinet
Viel Thränen ohne Zahl;
Die liebe Sonne scheinet
Hinein in bleicher Qual.
Es reichen sich die Thränen
Die Hände und das Herz
In wonnevollem Sehnen,
Umtost vom Sonnenschmerz.
Hast du, mein Herz, geweinet
Viel Thränen ohne Zahl,
Die goldne Sonne scheinet
Und — macht zum Lied die Qual.
Diese letzten Worte wurden mit schmerzlichem Lächeln und so süßsäuerlich wie
Citrouenlimonade gesprochen.
nett, sehr nett! — Allerliebst. — Sehr niedlich. — Kköstlich I Die Dichterin
blätterte weiter und wollte eben ein zweites Gedicht von dem halben Dutzend, das
sie sich vorgenommen hatte, vortragen, da wurde im Nebenzimmer die Zampa-
ouvertnre losgelassen. Und als die Ouvertüre zu Ende war, wurden die Thüren
zum Speisesaal aufgethan. Alle erhoben sich und ordneten sich in feierlichem Zuge,
als begäbe man sich zu einer heiligen Handlung.
Und der Dichter war nicht zum Worte gekommen! Die drei jungen Mädchen
teilten sich diese Thatsache mit dem Ausdrucke der Entrüstung mit. Aber die. die
zum Worte gekommen waren, hatten sich vortrefflich unterhalten.
Vom Abendessen ist nicht viel zu berichten. Es gab, was es geben sollte,
Karpfen. Rehbraten und eine süße Speise, und jeder saß, neben dem er sitzen sollte.
Nur das möge noch erwähnt werden, daß der Direktor, sonst ein ausgezeichneter
Tischredner, zerstreut war, in seiner Begrüßungsrede eine richtige Entgleisung erlebte
und fast das Hoch auf die Gäste vergessen hätte. Darauf antwortete Doktor
Sembritzky mit einem wohl vorbereiteten Gedicht, in dem er, zugleich einen feurigen
Blick ans Alice werfend, der jungen Wirtin seine Huldigung zu Füßen legte. Lydia
errötete. Man stieß an und sagte: nett, sehr nett, wirklich allerliebst.
Nach dem Essen kehrte man wiederum in feierlichem Zuge in das Sitzungs¬
zimmer zurück und nahm, jeder von seiner Nachbarin, Abschied, als gelte es fürs
Leben. Darauf hatten die Damen den Damen und die Herren den Herren wichtige
Mitteilungen zu machen, worauf man immer noch stehn blieb, obgleich man sich
lieber gesetzt hätte. Auf drtngeudes Zureden wurde endlich die Gesellschaft seßhaft
gemacht, und Johann ging herum und präsentierte Spatenbräu. Doktor Sembritzky
und die Dichterin bildeten wiederum den Mittelpunkt, und um sie Scharte sich die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |