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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Uursächsische Streifzüge

Die Regierung Augusts und seiner Gemahlin ist die Glanzzeit des Anna-
burger Schlosses gewesen, beide gehören aber auch zu den leuchtendsten Ge¬
stalten der sächsischen Geschichte. Ich weiß sehr wohl, daß bei vielem Licht
auch der Schatten nicht fehlte; August war gar kein Politiker, und in seinem
Charakter finden sich einige Härten. Und doch ist er der bedeutendste aller
damaligen deutschen Fürsten: durch sein fürstliches Pflichtgefühl, sein makel¬
loses Privatleben und seine unermüdliche wirtschaftliche und organisatorische
Thätigkeit hat er für Sachsen etwa dasselbe geleistet, was nachmals der
Große Kurfürst für Brandenburg auf diesen Gebieten gethan hat. Die Ehren¬
namen Bater Angust und Mutter Anna sind uicht höfischer Schmeichelei,
sondern einer richtigen Empfindung des Volkes entsprungen.

Mit dem Tode der Kurfürstin Anna (1585) und Augusts (1586) schien
der gute Geist aus dem Annaburger Schlosse gewichen zu sein. Seine Herr¬
lichkeit verschwand fast so schnell, wie sie entstanden war. Die ersten Ver¬
wüstungen brachte der Dreißigjährige Krieg: Bauers rohe Söldner zertrüm¬
merten sämtliche Fensterscheiben des Schlosses, um das Blei zu gewinnen, in
das sie gefaßt waren; ebenso zerstörten sie die kostbaren Öfen des Probier¬
hauses, um die kupfernen Destillierblasen mit fortzuschleppen. Nach dem Kriege
wurde das Schloß nur notdürftig wiederhergestellt. Dann wies es Johann
Georg II. dein bekannten Alchimisten Johann Kuratel, dein Erfinder des Phos¬
phors, an, der nun in dem ehemaligen Laboratorium der Kurfürstin Anna seine
Goldmacherkunst betrieb. Er sah in der Kurfürstin auch eine Schwarzkünstlerin
und hat über ihre Annaburger Thätigkeit romanhafte Berichte unter die dortige
Bevölkerung getragen, die zu sonderbarem Aberglauben und zu mancher Spuk¬
geschichte Anlaß gaben. Mutter Anna erscheint dabei mehr und mehr als
geheimnisvolle Zauberin. Sie sollte anch einen großen Schatz in einem der an
das Probierhaus stoßenden Keller vergraben haben. Ein späterer Amtmann
kam in den Geruch, den Schatz mit Hilfe des Gärtners gehoben und beiseite
geschafft zu haben; es gab alte Weiber, die gesehen haben wollten, wie diese
beiden vier Tage und vier Nächte lang Goldstücke "so groß wie die Teller"
zählten. Im Jahre 1727 verdichtete sich dieses Gerede zu solcher Bestimmtheit,
daß eine Untersuchungskommission von Dresden nach Annaburg geschickt wurde,
die natürlich nichts herausbrachte.

In dieser Zeit diente das Schloß uur noch als Jagdschloß. Als solches
beherbergte es im Jahre 1728 einen interessanten Gast: den sechzehnjähriger
preußischen Kronprinzen, den nachmaligen Friedrich den Großen, mit seinem.
Vater Friedrich Wilhelm I. Der Vater erlegte damals an einem Tage hundert¬
fünfzig Fasanen, während sein Sohn sogar beim Scheibenschießen am schlech¬
testen abschnitt. Trotzdem erhielt er von dein galanten Wirt, August dem
Starken, einen scherzhaften Preis: einen mit einem schwarzen Ziegenbock be¬
spannten Schlitten; auf der Pritsche saß ein als Kutscher verkleideter Hund,
und im Schlitten eine als Frauenzimmer angethane Katze. Dazu perorierte
der Hofpoet in zierlichen Versen:


Uursächsische Streifzüge

Die Regierung Augusts und seiner Gemahlin ist die Glanzzeit des Anna-
burger Schlosses gewesen, beide gehören aber auch zu den leuchtendsten Ge¬
stalten der sächsischen Geschichte. Ich weiß sehr wohl, daß bei vielem Licht
auch der Schatten nicht fehlte; August war gar kein Politiker, und in seinem
Charakter finden sich einige Härten. Und doch ist er der bedeutendste aller
damaligen deutschen Fürsten: durch sein fürstliches Pflichtgefühl, sein makel¬
loses Privatleben und seine unermüdliche wirtschaftliche und organisatorische
Thätigkeit hat er für Sachsen etwa dasselbe geleistet, was nachmals der
Große Kurfürst für Brandenburg auf diesen Gebieten gethan hat. Die Ehren¬
namen Bater Angust und Mutter Anna sind uicht höfischer Schmeichelei,
sondern einer richtigen Empfindung des Volkes entsprungen.

Mit dem Tode der Kurfürstin Anna (1585) und Augusts (1586) schien
der gute Geist aus dem Annaburger Schlosse gewichen zu sein. Seine Herr¬
lichkeit verschwand fast so schnell, wie sie entstanden war. Die ersten Ver¬
wüstungen brachte der Dreißigjährige Krieg: Bauers rohe Söldner zertrüm¬
merten sämtliche Fensterscheiben des Schlosses, um das Blei zu gewinnen, in
das sie gefaßt waren; ebenso zerstörten sie die kostbaren Öfen des Probier¬
hauses, um die kupfernen Destillierblasen mit fortzuschleppen. Nach dem Kriege
wurde das Schloß nur notdürftig wiederhergestellt. Dann wies es Johann
Georg II. dein bekannten Alchimisten Johann Kuratel, dein Erfinder des Phos¬
phors, an, der nun in dem ehemaligen Laboratorium der Kurfürstin Anna seine
Goldmacherkunst betrieb. Er sah in der Kurfürstin auch eine Schwarzkünstlerin
und hat über ihre Annaburger Thätigkeit romanhafte Berichte unter die dortige
Bevölkerung getragen, die zu sonderbarem Aberglauben und zu mancher Spuk¬
geschichte Anlaß gaben. Mutter Anna erscheint dabei mehr und mehr als
geheimnisvolle Zauberin. Sie sollte anch einen großen Schatz in einem der an
das Probierhaus stoßenden Keller vergraben haben. Ein späterer Amtmann
kam in den Geruch, den Schatz mit Hilfe des Gärtners gehoben und beiseite
geschafft zu haben; es gab alte Weiber, die gesehen haben wollten, wie diese
beiden vier Tage und vier Nächte lang Goldstücke „so groß wie die Teller"
zählten. Im Jahre 1727 verdichtete sich dieses Gerede zu solcher Bestimmtheit,
daß eine Untersuchungskommission von Dresden nach Annaburg geschickt wurde,
die natürlich nichts herausbrachte.

In dieser Zeit diente das Schloß uur noch als Jagdschloß. Als solches
beherbergte es im Jahre 1728 einen interessanten Gast: den sechzehnjähriger
preußischen Kronprinzen, den nachmaligen Friedrich den Großen, mit seinem.
Vater Friedrich Wilhelm I. Der Vater erlegte damals an einem Tage hundert¬
fünfzig Fasanen, während sein Sohn sogar beim Scheibenschießen am schlech¬
testen abschnitt. Trotzdem erhielt er von dein galanten Wirt, August dem
Starken, einen scherzhaften Preis: einen mit einem schwarzen Ziegenbock be¬
spannten Schlitten; auf der Pritsche saß ein als Kutscher verkleideter Hund,
und im Schlitten eine als Frauenzimmer angethane Katze. Dazu perorierte
der Hofpoet in zierlichen Versen:


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[0436] Uursächsische Streifzüge Die Regierung Augusts und seiner Gemahlin ist die Glanzzeit des Anna- burger Schlosses gewesen, beide gehören aber auch zu den leuchtendsten Ge¬ stalten der sächsischen Geschichte. Ich weiß sehr wohl, daß bei vielem Licht auch der Schatten nicht fehlte; August war gar kein Politiker, und in seinem Charakter finden sich einige Härten. Und doch ist er der bedeutendste aller damaligen deutschen Fürsten: durch sein fürstliches Pflichtgefühl, sein makel¬ loses Privatleben und seine unermüdliche wirtschaftliche und organisatorische Thätigkeit hat er für Sachsen etwa dasselbe geleistet, was nachmals der Große Kurfürst für Brandenburg auf diesen Gebieten gethan hat. Die Ehren¬ namen Bater Angust und Mutter Anna sind uicht höfischer Schmeichelei, sondern einer richtigen Empfindung des Volkes entsprungen. Mit dem Tode der Kurfürstin Anna (1585) und Augusts (1586) schien der gute Geist aus dem Annaburger Schlosse gewichen zu sein. Seine Herr¬ lichkeit verschwand fast so schnell, wie sie entstanden war. Die ersten Ver¬ wüstungen brachte der Dreißigjährige Krieg: Bauers rohe Söldner zertrüm¬ merten sämtliche Fensterscheiben des Schlosses, um das Blei zu gewinnen, in das sie gefaßt waren; ebenso zerstörten sie die kostbaren Öfen des Probier¬ hauses, um die kupfernen Destillierblasen mit fortzuschleppen. Nach dem Kriege wurde das Schloß nur notdürftig wiederhergestellt. Dann wies es Johann Georg II. dein bekannten Alchimisten Johann Kuratel, dein Erfinder des Phos¬ phors, an, der nun in dem ehemaligen Laboratorium der Kurfürstin Anna seine Goldmacherkunst betrieb. Er sah in der Kurfürstin auch eine Schwarzkünstlerin und hat über ihre Annaburger Thätigkeit romanhafte Berichte unter die dortige Bevölkerung getragen, die zu sonderbarem Aberglauben und zu mancher Spuk¬ geschichte Anlaß gaben. Mutter Anna erscheint dabei mehr und mehr als geheimnisvolle Zauberin. Sie sollte anch einen großen Schatz in einem der an das Probierhaus stoßenden Keller vergraben haben. Ein späterer Amtmann kam in den Geruch, den Schatz mit Hilfe des Gärtners gehoben und beiseite geschafft zu haben; es gab alte Weiber, die gesehen haben wollten, wie diese beiden vier Tage und vier Nächte lang Goldstücke „so groß wie die Teller" zählten. Im Jahre 1727 verdichtete sich dieses Gerede zu solcher Bestimmtheit, daß eine Untersuchungskommission von Dresden nach Annaburg geschickt wurde, die natürlich nichts herausbrachte. In dieser Zeit diente das Schloß uur noch als Jagdschloß. Als solches beherbergte es im Jahre 1728 einen interessanten Gast: den sechzehnjähriger preußischen Kronprinzen, den nachmaligen Friedrich den Großen, mit seinem. Vater Friedrich Wilhelm I. Der Vater erlegte damals an einem Tage hundert¬ fünfzig Fasanen, während sein Sohn sogar beim Scheibenschießen am schlech¬ testen abschnitt. Trotzdem erhielt er von dein galanten Wirt, August dem Starken, einen scherzhaften Preis: einen mit einem schwarzen Ziegenbock be¬ spannten Schlitten; auf der Pritsche saß ein als Kutscher verkleideter Hund, und im Schlitten eine als Frauenzimmer angethane Katze. Dazu perorierte der Hofpoet in zierlichen Versen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/436>, abgerufen am 20.10.2024.