Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Ivolfenbüttel und Lessings Emilia Galotti Ich bin mir sehr wohl bewußt, in den vorstehenden Ausführungen nur Über die verschiednen Wohnungen, die Lessing während seiner Wolfen- Ivolfenbüttel und Lessings Emilia Galotti Ich bin mir sehr wohl bewußt, in den vorstehenden Ausführungen nur Über die verschiednen Wohnungen, die Lessing während seiner Wolfen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236846"/> <fw type="header" place="top"> Ivolfenbüttel und Lessings Emilia Galotti</fw><lb/> <p xml:id="ID_1208"> Ich bin mir sehr wohl bewußt, in den vorstehenden Ausführungen nur<lb/> einen Wahrscheinlichkeitsbelveis für meine Ansicht geführt zu haben, aber<lb/> immerhin einen solchen, dessen Gründe die, die für das Gegenteil angeführt<lb/> werden, zum mindesten aufwiegen. Andern Ausführungen des hier in Rede<lb/> stehenden Artikels gegenüber stehe ich auf festeren Boden, Dahin gehören die<lb/> ganz irrigen Angaben über das Haus, wo sich die behauptete gänzliche<lb/> Neubearbeitung der Emilia Galotti vollzogen haben soll. Für diese eigent¬<lb/> liche Geburtsstätte des Stücks hält der Verfasser unsers Aufsatzes das so¬<lb/> genannte „Lessinghaus," das neben der alten, jetzt verschwuudnen Bibliothek<lb/> lag, und das er sonderbarerweise immer als „Gartenhaus" bezeichnet, eine<lb/> Benennung, die nichts weniger als zutreffend ist und in dem Leser ganz<lb/> falsche Vorstellungen erwecken muß. Denn dieses Haus ist zwar einstöckig,<lb/> aber keineswegs ein Gartenhaus mit nur spärlichen und beschränkten Räumen,<lb/> wie etwa das bekannte Gartenhaus Goethes in Weimar. Es ist vielmehr ein<lb/> sehr ausgiebiges, einen geräumigen Hof einschließendes Gebäude mit einer<lb/> ganzen Anzahl stattlicher, zum Teil großer Räume, eine Wohnung, die für<lb/> einen unverheirateten Manu, wie es Lessing in dem Hause — mit Ausnahme<lb/> weniger Wochen — gewesen ist, nur das eine unbequeme hatte, daß sie nämlich<lb/> zu weitläufig war. In diesem Hause soll nun Emilia Galotti nach des Ver¬<lb/> fassers Annahme das Licht der Welt erblickt haben, er schreibt dein Hanse mit<lb/> seiner Umgebung, namentlich mit dem daranstoßenden „weltentrückten" Garten,<lb/> sogar eine gewisse Einwirkung auf die Gestaltung der Lessingschen Tragödie zu.<lb/> Das sind aber nur haltlose, phantastische Nebelbilder, und es ist völlig un¬<lb/> begreiflich, wie der Verfasser, der doch — nach seiner Darstellung zu schließen —<lb/> selbst in Wolfenbüttel gewesen ist und dem „Lessinghause" einen Besuch ab¬<lb/> gestattet hat, in diesen Irrtum hat verfallen können, da die Erinnerungstafel<lb/> an dem Hause, die er sich doch angesehen und auch wohl gelesen haben wird,<lb/> sagt, daß Lessing darin während der Jahre 1777 bis 1781 gewohnt habe. Es<lb/> liegt aber auf der Hand, daß, wenn die „Emilia Galotti," wie der Verfasser<lb/> kurz vorher gleichfalls selbst bemerkt, schon am 13. März 1772 in Braunschweig<lb/> aufgeführt worden ist, sie unmöglich in diesem „Lessinghause" entstanden<lb/> sein kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1209" next="#ID_1210"> Über die verschiednen Wohnungen, die Lessing während seiner Wolfen-<lb/> bnttler Zeit nacheinander gehabt hat — unser Verfasser kennt davon nur<lb/> eine einzige, eben das „Lessinghaus" —, habe ich früher an verschiednen<lb/> Stellen berichtet: einmal am ausführlichsten in der kleinen Schrift „Das<lb/> Herzogliche Schloß zu Wolfenbüttel," sodann kürzer im zweiten Jahrgange<lb/> der Zeitschrift „Euphorion" und endlich, hier die Sache nur flüchtig streifend,<lb/> in meiner Geschichte der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Ich habe<lb/> hier zuerst der von den frühern Biographen und Kommentatoren Lessings in<lb/> Bezug auf diese Frage angerichteten Verwirrung ein Ende gemacht, und zwar<lb/> auf Grund eiues lauge unbekannt gebliebner Aktenmaterinls, nämlich der<lb/> „Acta Fürstl. Kammer, die an der Bibliothekarien-Wohnung in Wolfenbüttel<lb/> vorgenommenen Reparaturen betreffend, 1771—1781," die früher in der<lb/> Registratur der Herzoglichen Baudirektiou aufbewahrt worden waren. Diese</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
Ivolfenbüttel und Lessings Emilia Galotti
Ich bin mir sehr wohl bewußt, in den vorstehenden Ausführungen nur
einen Wahrscheinlichkeitsbelveis für meine Ansicht geführt zu haben, aber
immerhin einen solchen, dessen Gründe die, die für das Gegenteil angeführt
werden, zum mindesten aufwiegen. Andern Ausführungen des hier in Rede
stehenden Artikels gegenüber stehe ich auf festeren Boden, Dahin gehören die
ganz irrigen Angaben über das Haus, wo sich die behauptete gänzliche
Neubearbeitung der Emilia Galotti vollzogen haben soll. Für diese eigent¬
liche Geburtsstätte des Stücks hält der Verfasser unsers Aufsatzes das so¬
genannte „Lessinghaus," das neben der alten, jetzt verschwuudnen Bibliothek
lag, und das er sonderbarerweise immer als „Gartenhaus" bezeichnet, eine
Benennung, die nichts weniger als zutreffend ist und in dem Leser ganz
falsche Vorstellungen erwecken muß. Denn dieses Haus ist zwar einstöckig,
aber keineswegs ein Gartenhaus mit nur spärlichen und beschränkten Räumen,
wie etwa das bekannte Gartenhaus Goethes in Weimar. Es ist vielmehr ein
sehr ausgiebiges, einen geräumigen Hof einschließendes Gebäude mit einer
ganzen Anzahl stattlicher, zum Teil großer Räume, eine Wohnung, die für
einen unverheirateten Manu, wie es Lessing in dem Hause — mit Ausnahme
weniger Wochen — gewesen ist, nur das eine unbequeme hatte, daß sie nämlich
zu weitläufig war. In diesem Hause soll nun Emilia Galotti nach des Ver¬
fassers Annahme das Licht der Welt erblickt haben, er schreibt dein Hanse mit
seiner Umgebung, namentlich mit dem daranstoßenden „weltentrückten" Garten,
sogar eine gewisse Einwirkung auf die Gestaltung der Lessingschen Tragödie zu.
Das sind aber nur haltlose, phantastische Nebelbilder, und es ist völlig un¬
begreiflich, wie der Verfasser, der doch — nach seiner Darstellung zu schließen —
selbst in Wolfenbüttel gewesen ist und dem „Lessinghause" einen Besuch ab¬
gestattet hat, in diesen Irrtum hat verfallen können, da die Erinnerungstafel
an dem Hause, die er sich doch angesehen und auch wohl gelesen haben wird,
sagt, daß Lessing darin während der Jahre 1777 bis 1781 gewohnt habe. Es
liegt aber auf der Hand, daß, wenn die „Emilia Galotti," wie der Verfasser
kurz vorher gleichfalls selbst bemerkt, schon am 13. März 1772 in Braunschweig
aufgeführt worden ist, sie unmöglich in diesem „Lessinghause" entstanden
sein kann.
Über die verschiednen Wohnungen, die Lessing während seiner Wolfen-
bnttler Zeit nacheinander gehabt hat — unser Verfasser kennt davon nur
eine einzige, eben das „Lessinghaus" —, habe ich früher an verschiednen
Stellen berichtet: einmal am ausführlichsten in der kleinen Schrift „Das
Herzogliche Schloß zu Wolfenbüttel," sodann kürzer im zweiten Jahrgange
der Zeitschrift „Euphorion" und endlich, hier die Sache nur flüchtig streifend,
in meiner Geschichte der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Ich habe
hier zuerst der von den frühern Biographen und Kommentatoren Lessings in
Bezug auf diese Frage angerichteten Verwirrung ein Ende gemacht, und zwar
auf Grund eiues lauge unbekannt gebliebner Aktenmaterinls, nämlich der
„Acta Fürstl. Kammer, die an der Bibliothekarien-Wohnung in Wolfenbüttel
vorgenommenen Reparaturen betreffend, 1771—1781," die früher in der
Registratur der Herzoglichen Baudirektiou aufbewahrt worden waren. Diese
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