Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Ale österreichische Htaatskrise Wirkungskreise" die Besorgung von Geschäften der Staatsverwaltung zu über¬ Noch schlimmer aber waren die Wirkungen dieser Einrichtung in poli¬ Ale österreichische Htaatskrise Wirkungskreise" die Besorgung von Geschäften der Staatsverwaltung zu über¬ Noch schlimmer aber waren die Wirkungen dieser Einrichtung in poli¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236830"/> <fw type="header" place="top"> Ale österreichische Htaatskrise</fw><lb/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> Wirkungskreise" die Besorgung von Geschäften der Staatsverwaltung zu über¬<lb/> weisen, sofern es sich um laufende, nicht besonders wichtige Angelegenheiten<lb/> handelte. Österreich hat auf diese Weise eine sehr kostspielige aber ebenso<lb/> schlechte Verwaltung erhalten, die sich mit den Jahren zu einer Verwaltungs¬<lb/> anarchie im traurigsten Sinne des Wortes ausgewachsen hat. Selbstverständlich<lb/> durften aber auch die untersten Behörden der Staatsverwaltung (Bezirks¬<lb/> hauptmannschaften) beileibe nicht in lebendiger Berührung mit der von ihnen<lb/> administrierten Bevölkerung stehn, denn dann hätten sie am Ende gar die<lb/> Interessen der Bevölkerung und nicht die der Wiener Zentralregierung oder<lb/> richtiger Verwaltung vertreten. Infolge dieser geradezu verrückten Einrichtung<lb/> sind in Österreich die Bezirkshauptleute (Landrüte) Staatsbeamte, die auf<lb/> Avancement dienen und bei ihrem Antritt an ihrem neuen Amtsorte selbst¬<lb/> verständlich sofort daran denken, wie sie am schnellsten auf einen bessern Posten<lb/> gelangen können. Was dabei herauskommt, zumal da in den Wirkungskreis<lb/> der Bezirkshauptmannschaften ein großer Teil der Obliegenheiten gehört, die<lb/> ihrer Natur nach der Selbstverwaltung der Gemeinden und Bezirke zukommen<lb/> sollten, kaun man sich leicht denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Noch schlimmer aber waren die Wirkungen dieser Einrichtung in poli¬<lb/> tischer Beziehung. Der Grundsatz, daß im allgemeinen nur der für andre zu<lb/> sorgen imstande ist, der selbst sein Haus zu bestellen weiß, dürfte wohl nirgends<lb/> angefochten werden. Zur Teilnahme an der Gesetzgebung kann deshalb auch<lb/> das Volk nur dann mit Erfolg herangezogen werden, wenn es sich in Ge¬<lb/> meinde und Bezirk selbst zu verwalten versteht. Die Selbstverwciltnng ist und<lb/> bleibt mithin die Grundlage jedes Konstitutionalismus, denu uur dann, wenn<lb/> durch sie das Volk politisch geschult wird und es die Grenzen erkennen lernt,<lb/> die die vorhandnen Verhältnisse und Bedürfnisse den politischen und nationalen<lb/> Doktrinen ziehn, wird man aus ihm eine brauchbare, gesetzgebende Körperschaft<lb/> gewinnen können. In Österreich fehlt dank der Zentralisation diese Voraus¬<lb/> setzung vollständig, und die natürliche Folge davon sind Parlamente, wo die<lb/> Zahl der unfähigen Abgeordneten weitaus überragt, und wo die Parteien<lb/> nicht durch Kenntnisse und Arbeitsleistung, sondern durch gegenseitige Steigerung<lb/> ihrer Forderungen konkurrieren; wo der politische Doktrinarismus, mithin der<lb/> Radikalismus überragt, der schließlich, wie mau das ja seit vier Jahren in<lb/> Österreich bemerken kann, den Konstitutionalismus selbst vernichten wird. Diese<lb/> Entwicklung zu einer Katastrophe ist aber wieder durch die Zentralisation<lb/> wesentlich beschleunigt worden. Dadurch, daß man in der Dezcmberverfassung<lb/> die Zuständigkeit des Reichsrath, also der Zentralgesetzgebung und der Ver¬<lb/> waltung, sehr weit zog und vor allem alle nationalen Fragen in sie einschloß,<lb/> bereitete man den Nährboden für die seit dreißig Jahren den Staat erschüt¬<lb/> ternden Krisen vor. Die Väter der Dezemberverfassnng, wie die Verfassungs¬<lb/> partei überhaupt, setzten als selbstverständlich voraus, daß, weil die Bureau¬<lb/> kratie damals deutsch war, und die deutschlibernlen Zentralisten im Reichsrate<lb/> das Heft in der Hand hatten, es dem Zusammenwirken der Bureaukratie und<lb/> der Parlamentsmehrheit gelingen werde, auf administrativen Wege der im<lb/> Artikel XIX der Staatsgruudgesetze ausgesprochnen theoretischen Gleichberech-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
Ale österreichische Htaatskrise
Wirkungskreise" die Besorgung von Geschäften der Staatsverwaltung zu über¬
weisen, sofern es sich um laufende, nicht besonders wichtige Angelegenheiten
handelte. Österreich hat auf diese Weise eine sehr kostspielige aber ebenso
schlechte Verwaltung erhalten, die sich mit den Jahren zu einer Verwaltungs¬
anarchie im traurigsten Sinne des Wortes ausgewachsen hat. Selbstverständlich
durften aber auch die untersten Behörden der Staatsverwaltung (Bezirks¬
hauptmannschaften) beileibe nicht in lebendiger Berührung mit der von ihnen
administrierten Bevölkerung stehn, denn dann hätten sie am Ende gar die
Interessen der Bevölkerung und nicht die der Wiener Zentralregierung oder
richtiger Verwaltung vertreten. Infolge dieser geradezu verrückten Einrichtung
sind in Österreich die Bezirkshauptleute (Landrüte) Staatsbeamte, die auf
Avancement dienen und bei ihrem Antritt an ihrem neuen Amtsorte selbst¬
verständlich sofort daran denken, wie sie am schnellsten auf einen bessern Posten
gelangen können. Was dabei herauskommt, zumal da in den Wirkungskreis
der Bezirkshauptmannschaften ein großer Teil der Obliegenheiten gehört, die
ihrer Natur nach der Selbstverwaltung der Gemeinden und Bezirke zukommen
sollten, kaun man sich leicht denken.
Noch schlimmer aber waren die Wirkungen dieser Einrichtung in poli¬
tischer Beziehung. Der Grundsatz, daß im allgemeinen nur der für andre zu
sorgen imstande ist, der selbst sein Haus zu bestellen weiß, dürfte wohl nirgends
angefochten werden. Zur Teilnahme an der Gesetzgebung kann deshalb auch
das Volk nur dann mit Erfolg herangezogen werden, wenn es sich in Ge¬
meinde und Bezirk selbst zu verwalten versteht. Die Selbstverwciltnng ist und
bleibt mithin die Grundlage jedes Konstitutionalismus, denu uur dann, wenn
durch sie das Volk politisch geschult wird und es die Grenzen erkennen lernt,
die die vorhandnen Verhältnisse und Bedürfnisse den politischen und nationalen
Doktrinen ziehn, wird man aus ihm eine brauchbare, gesetzgebende Körperschaft
gewinnen können. In Österreich fehlt dank der Zentralisation diese Voraus¬
setzung vollständig, und die natürliche Folge davon sind Parlamente, wo die
Zahl der unfähigen Abgeordneten weitaus überragt, und wo die Parteien
nicht durch Kenntnisse und Arbeitsleistung, sondern durch gegenseitige Steigerung
ihrer Forderungen konkurrieren; wo der politische Doktrinarismus, mithin der
Radikalismus überragt, der schließlich, wie mau das ja seit vier Jahren in
Österreich bemerken kann, den Konstitutionalismus selbst vernichten wird. Diese
Entwicklung zu einer Katastrophe ist aber wieder durch die Zentralisation
wesentlich beschleunigt worden. Dadurch, daß man in der Dezcmberverfassung
die Zuständigkeit des Reichsrath, also der Zentralgesetzgebung und der Ver¬
waltung, sehr weit zog und vor allem alle nationalen Fragen in sie einschloß,
bereitete man den Nährboden für die seit dreißig Jahren den Staat erschüt¬
ternden Krisen vor. Die Väter der Dezemberverfassnng, wie die Verfassungs¬
partei überhaupt, setzten als selbstverständlich voraus, daß, weil die Bureau¬
kratie damals deutsch war, und die deutschlibernlen Zentralisten im Reichsrate
das Heft in der Hand hatten, es dem Zusammenwirken der Bureaukratie und
der Parlamentsmehrheit gelingen werde, auf administrativen Wege der im
Artikel XIX der Staatsgruudgesetze ausgesprochnen theoretischen Gleichberech-
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