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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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im türkischen Orient, dem alten Herrschaftsgebiete der Venezianer; es ist nicht
mehr die I-Wssug. tranog., die allgemeine Verkehrs- und Handelssprache wie
früher. In Konstantinopel und Kleinasien wie in Ägypten steht als solche
an erster Stelle das Französische, dann folgt in Ägypten das Englische, das
aber wahrscheinlich in kurzem das Französische aus seiner jetzigen Geltung
verdrängen wird; auch das Deutsche macht Fortschritte. Dagegen geht das
Italienische zurück. In den einheimischen ägyptischen Schulen wird es über¬
haupt nicht gelehrt, und die italienischen Schulen werden fast nur von Kindern
der niedern Klassen besucht, nicht des Mittelstandes, der sie vielmehr lieber
in französische Schulen schickt. Sogar die gebildeten Italienerinnen sprechen
mit Vorliebe französisch, und auch italienische Banken führen ihre Korrespondenz
französisch. Schlimm sieht es für die Italiener auch in, französisch gewordnen
Tunis ans, wo nach französischen Angaben mindestens 40000 Italiener und
10000 italienisch sprechende Malteser angesiedelt sind. Nach neuern Bestim¬
mungen dürfen dort nämlich neue italienische Schulen nicht gegründet werden,
und für die Anerkennung als Advokat oder Notar wird jetzt das Zeugnis
einer französischen Universität gefordert. Wird diese Maßregel, wie die Ita¬
liener fürchten, auch auf die andern gelehrten Berufe ausgedehnt, dann wird
den höhern italienischen Schulen Tunesiens die Axt an die Wurzel gelegt, und
auch die Wirkung der schon bis jetzt getroffnen Verfügungen ist für die Inter¬
essen der dortigen Italiener höchst unbequem, umsomehr, als sie auch mit
mächtigen Konkurrenz der schon zahlreichen und von der Regierung energisch
unterstützten französischen Schulen zu ringen haben.

Im übrigen Orient thut die italienische Regierung verhältnismäßig viel
für die Unterhaltung italienischer Schulen der verschiedenen Stufen. Ihre Anzahl
betrug scho" 1891 uicht weniger als 92 mit 4230 Schülern, darunter eine
Handelsschule in Smyrna. und neuerdings ist die Errichtung neuer Schulen
"und in Jaffa und Jerusalem eingeleitet worden, wie solche schon länger in
Beirut, Aleppo und audern Städten Syriens bestehn. Dafür werden im ganzen
jährlich etwa 900000 Lire aufgewandt. Allerdings kommen sie keineswegs
ausschließlich oder auch uur hauptsächlich den italienischen Allsiedlern zu gute,
denn von jenen 4230 Zöglingen im Jahre 1891 warm nur 1884. also uoch
'"ehe die Hälfte, italienische Unterthanen, die übrigen Angehörige andrer euro¬
päischer Nationen oder Orientalen, und Villari tadelt deshalb diese Ausgaben
als eine Verschwendung, aber kann mit Recht. Denn wenn die itallcmsche
Sprache im Orient nicht weiter zurückgehn soll, so giebt es doch dagegen kein
besseres Mittel, als ihre Verbreitung dnrch italienische Schulen unter den
Landesangehörigen. Andre Nationen verfahren nicht anders.

Sehr charakteristisch ist der Beweggrund, der seinerzeit das Ministerium
Crispi zur Errichtung dieser italienischen Staatsschuld im Omme bestimmt hat.
nämlich die ablehnende Haltung der zahlreichen geistlichen Schulen ltaliemscher
Orden, die sich einfach weigerten, sich uuter den Schutz der ltakemschen Flagge
zu stellen und unter dem Protektorate Frankreichs verblieben sind. Wieder
tritt hier eine schlimme Folge des Gegensatzes zwischen dem Papsttum und dem
Königreich Italien zum Nachteil der italienischen Nationalinteressen zu Tage.


im türkischen Orient, dem alten Herrschaftsgebiete der Venezianer; es ist nicht
mehr die I-Wssug. tranog., die allgemeine Verkehrs- und Handelssprache wie
früher. In Konstantinopel und Kleinasien wie in Ägypten steht als solche
an erster Stelle das Französische, dann folgt in Ägypten das Englische, das
aber wahrscheinlich in kurzem das Französische aus seiner jetzigen Geltung
verdrängen wird; auch das Deutsche macht Fortschritte. Dagegen geht das
Italienische zurück. In den einheimischen ägyptischen Schulen wird es über¬
haupt nicht gelehrt, und die italienischen Schulen werden fast nur von Kindern
der niedern Klassen besucht, nicht des Mittelstandes, der sie vielmehr lieber
in französische Schulen schickt. Sogar die gebildeten Italienerinnen sprechen
mit Vorliebe französisch, und auch italienische Banken führen ihre Korrespondenz
französisch. Schlimm sieht es für die Italiener auch in, französisch gewordnen
Tunis ans, wo nach französischen Angaben mindestens 40000 Italiener und
10000 italienisch sprechende Malteser angesiedelt sind. Nach neuern Bestim¬
mungen dürfen dort nämlich neue italienische Schulen nicht gegründet werden,
und für die Anerkennung als Advokat oder Notar wird jetzt das Zeugnis
einer französischen Universität gefordert. Wird diese Maßregel, wie die Ita¬
liener fürchten, auch auf die andern gelehrten Berufe ausgedehnt, dann wird
den höhern italienischen Schulen Tunesiens die Axt an die Wurzel gelegt, und
auch die Wirkung der schon bis jetzt getroffnen Verfügungen ist für die Inter¬
essen der dortigen Italiener höchst unbequem, umsomehr, als sie auch mit
mächtigen Konkurrenz der schon zahlreichen und von der Regierung energisch
unterstützten französischen Schulen zu ringen haben.

Im übrigen Orient thut die italienische Regierung verhältnismäßig viel
für die Unterhaltung italienischer Schulen der verschiedenen Stufen. Ihre Anzahl
betrug scho» 1891 uicht weniger als 92 mit 4230 Schülern, darunter eine
Handelsschule in Smyrna. und neuerdings ist die Errichtung neuer Schulen
"und in Jaffa und Jerusalem eingeleitet worden, wie solche schon länger in
Beirut, Aleppo und audern Städten Syriens bestehn. Dafür werden im ganzen
jährlich etwa 900000 Lire aufgewandt. Allerdings kommen sie keineswegs
ausschließlich oder auch uur hauptsächlich den italienischen Allsiedlern zu gute,
denn von jenen 4230 Zöglingen im Jahre 1891 warm nur 1884. also uoch
'"ehe die Hälfte, italienische Unterthanen, die übrigen Angehörige andrer euro¬
päischer Nationen oder Orientalen, und Villari tadelt deshalb diese Ausgaben
als eine Verschwendung, aber kann mit Recht. Denn wenn die itallcmsche
Sprache im Orient nicht weiter zurückgehn soll, so giebt es doch dagegen kein
besseres Mittel, als ihre Verbreitung dnrch italienische Schulen unter den
Landesangehörigen. Andre Nationen verfahren nicht anders.

Sehr charakteristisch ist der Beweggrund, der seinerzeit das Ministerium
Crispi zur Errichtung dieser italienischen Staatsschuld im Omme bestimmt hat.
nämlich die ablehnende Haltung der zahlreichen geistlichen Schulen ltaliemscher
Orden, die sich einfach weigerten, sich uuter den Schutz der ltakemschen Flagge
zu stellen und unter dem Protektorate Frankreichs verblieben sind. Wieder
tritt hier eine schlimme Folge des Gegensatzes zwischen dem Papsttum und dem
Königreich Italien zum Nachteil der italienischen Nationalinteressen zu Tage.


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[0295] im türkischen Orient, dem alten Herrschaftsgebiete der Venezianer; es ist nicht mehr die I-Wssug. tranog., die allgemeine Verkehrs- und Handelssprache wie früher. In Konstantinopel und Kleinasien wie in Ägypten steht als solche an erster Stelle das Französische, dann folgt in Ägypten das Englische, das aber wahrscheinlich in kurzem das Französische aus seiner jetzigen Geltung verdrängen wird; auch das Deutsche macht Fortschritte. Dagegen geht das Italienische zurück. In den einheimischen ägyptischen Schulen wird es über¬ haupt nicht gelehrt, und die italienischen Schulen werden fast nur von Kindern der niedern Klassen besucht, nicht des Mittelstandes, der sie vielmehr lieber in französische Schulen schickt. Sogar die gebildeten Italienerinnen sprechen mit Vorliebe französisch, und auch italienische Banken führen ihre Korrespondenz französisch. Schlimm sieht es für die Italiener auch in, französisch gewordnen Tunis ans, wo nach französischen Angaben mindestens 40000 Italiener und 10000 italienisch sprechende Malteser angesiedelt sind. Nach neuern Bestim¬ mungen dürfen dort nämlich neue italienische Schulen nicht gegründet werden, und für die Anerkennung als Advokat oder Notar wird jetzt das Zeugnis einer französischen Universität gefordert. Wird diese Maßregel, wie die Ita¬ liener fürchten, auch auf die andern gelehrten Berufe ausgedehnt, dann wird den höhern italienischen Schulen Tunesiens die Axt an die Wurzel gelegt, und auch die Wirkung der schon bis jetzt getroffnen Verfügungen ist für die Inter¬ essen der dortigen Italiener höchst unbequem, umsomehr, als sie auch mit mächtigen Konkurrenz der schon zahlreichen und von der Regierung energisch unterstützten französischen Schulen zu ringen haben. Im übrigen Orient thut die italienische Regierung verhältnismäßig viel für die Unterhaltung italienischer Schulen der verschiedenen Stufen. Ihre Anzahl betrug scho» 1891 uicht weniger als 92 mit 4230 Schülern, darunter eine Handelsschule in Smyrna. und neuerdings ist die Errichtung neuer Schulen "und in Jaffa und Jerusalem eingeleitet worden, wie solche schon länger in Beirut, Aleppo und audern Städten Syriens bestehn. Dafür werden im ganzen jährlich etwa 900000 Lire aufgewandt. Allerdings kommen sie keineswegs ausschließlich oder auch uur hauptsächlich den italienischen Allsiedlern zu gute, denn von jenen 4230 Zöglingen im Jahre 1891 warm nur 1884. also uoch '"ehe die Hälfte, italienische Unterthanen, die übrigen Angehörige andrer euro¬ päischer Nationen oder Orientalen, und Villari tadelt deshalb diese Ausgaben als eine Verschwendung, aber kann mit Recht. Denn wenn die itallcmsche Sprache im Orient nicht weiter zurückgehn soll, so giebt es doch dagegen kein besseres Mittel, als ihre Verbreitung dnrch italienische Schulen unter den Landesangehörigen. Andre Nationen verfahren nicht anders. Sehr charakteristisch ist der Beweggrund, der seinerzeit das Ministerium Crispi zur Errichtung dieser italienischen Staatsschuld im Omme bestimmt hat. nämlich die ablehnende Haltung der zahlreichen geistlichen Schulen ltaliemscher Orden, die sich einfach weigerten, sich uuter den Schutz der ltakemschen Flagge zu stellen und unter dem Protektorate Frankreichs verblieben sind. Wieder tritt hier eine schlimme Folge des Gegensatzes zwischen dem Papsttum und dem Königreich Italien zum Nachteil der italienischen Nationalinteressen zu Tage.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/295>, abgerufen am 27.09.2024.