Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Schweizerische Fernsichten sympathisch ist. Daß daraus ein ganz schiefes Bild entsteh" muß, wird ihnen "Grafen und Barone kommen glücklicherweise nicht vor" -- mit diesen In diesem Falle aber ist der Schweizer, der in Deutschland republikanische Schweizerische Fernsichten sympathisch ist. Daß daraus ein ganz schiefes Bild entsteh» muß, wird ihnen „Grafen und Barone kommen glücklicherweise nicht vor" — mit diesen In diesem Falle aber ist der Schweizer, der in Deutschland republikanische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236774"/> <fw type="header" place="top"> Schweizerische Fernsichten</fw><lb/> <p xml:id="ID_946" prev="#ID_945"> sympathisch ist. Daß daraus ein ganz schiefes Bild entsteh» muß, wird ihnen<lb/> wohl klar werden, wenn sie sich vorstellten, daß man umgekehrt in Deutsch¬<lb/> land schweizerische Verhältnisse grundsätzlich und ausschließlich nnter der Be¬<lb/> leuchtung des „Vaterlands" oder eines Organs der Herren Favon oder Python<lb/> beurteilte — wie würde man das als eine Ungerechtigkeit oder Geschmacklosig¬<lb/> keit verurteilen! Deutsche illustrierte Zeitungen sind als „widerwärtig" be¬<lb/> zeichnet worden, warum? Nur weil sie, zu häufig für den demokratischen<lb/> Geschmack, Ereignisse darstellten, bei denen die Person des Kaisers oder eines<lb/> Fürsten selbstverständlich mit abgebildet ist. Für die in dem vagen Gedanken<lb/> der „Freiheit" von Kind auf großgezognen Durchschnittsschweizer ist jeder<lb/> Fürst ein Geßler, jeder Monarchist ein „Fürstenknecht."</p><lb/> <p xml:id="ID_947"> „Grafen und Barone kommen glücklicherweise nicht vor" — mit diesen<lb/> Worten wurde ein neuer Feuilletonroman einer Berner Zeitung angepriesen;<lb/> darf man von einem Redakteur, der Edelleute sogar als Nomcmgestälten nicht<lb/> vertragen kann, ein unbefangnes Urteil über Persönlichkeiten und Verhältnisse<lb/> des wirklichen Lebens erwarten? Eine Basler Zeitung nahm nicht Anstand,<lb/> einem ehrwürdigen, durch tiefreligiöse Schriften weit bekannten Manne die<lb/> Worte: „Fürsten und andres Gesindel" in den Mund zu legen; in den vater¬<lb/> ländischen Liedern spielt der „Tyrann," „Thrvnenflitter" und die „Zwing-<lb/> herrnbrut" eine unzeitgemäße Rolle. In einer einzelnen Nummer der Luzerner<lb/> Schützenfestzeitung kam das Wort „Freiheit" und „frei" nicht weniger als<lb/> einuuddreißigmal vor — ein Hinweis darauf, welch hoher Wert auf die poli¬<lb/> tische Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz gelegt wird. Aber<lb/> gerade indem die schweizerische Presse sich bestrebt, den „Reichsdeutschen" über<lb/> die Vorzüglichkeit der republikanischen schweizerischen Einrichtungen die Augen<lb/> zu „öffnen" und die Treue zu Kaiser und Landesfürst, Thron und Altar<lb/> herabzusetzen, arbeitet sie scheinbar für, thatsächlich aber gegen die Interessen<lb/> der „Freiheit" der Schweiz. Es ist ehrenwert und richtig, eine Überzeugung<lb/> zu vertreten und zu verfechten; es ist menschlich und nur zu erklärlich, wenn<lb/> man Andersdenkende zu ihr zu bekehren sucht; wer gern Knoblauch ißt, wird<lb/> gern auch seinem Nachbarn den Geschmack für diesen Genuß beibringen; wer<lb/> in der Silberwährung sein Heil findet, oder wer vermeint, mit einer ethischen<lb/> Erziehung eine religiöse ersetzen zu können, wird ebenso geneigt sein, für seine<lb/> Meinung Stimmung zu machen, wie der, der für Frauenrechte, Abschaffung<lb/> der Heere, Zulassung der Jesuiten oder „Freiheit und Gleichheit" schwärmt —<lb/> aber nie wird einer so weit gehn, Maßnahmen, Einrichtungen oder Zustände<lb/> zu verlangen, wenn er mit offnen Augen sieht, daß er mit ihnen die größten<lb/> Nachteile für sich selbst oder sein Geschäft, für seine Familie oder sein Vater¬<lb/> land heraufbeschwört.</p><lb/> <p xml:id="ID_948"> In diesem Falle aber ist der Schweizer, der in Deutschland republikanische<lb/> Strömungen fördern will oder gar schon von einer deutschen Republik träumt;<lb/> seine gut demokratische Gesinnung, deren Bethätigung dem eignen Lande nur<lb/> zum Vorteile gereichen kann, wirkt verderblich, wenn er sie, in der Begeiste¬<lb/> rung für seine Ideale, über die ihr gesteckten Laudesgrenzen hinaus verbreiten<lb/> würde!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Schweizerische Fernsichten
sympathisch ist. Daß daraus ein ganz schiefes Bild entsteh» muß, wird ihnen
wohl klar werden, wenn sie sich vorstellten, daß man umgekehrt in Deutsch¬
land schweizerische Verhältnisse grundsätzlich und ausschließlich nnter der Be¬
leuchtung des „Vaterlands" oder eines Organs der Herren Favon oder Python
beurteilte — wie würde man das als eine Ungerechtigkeit oder Geschmacklosig¬
keit verurteilen! Deutsche illustrierte Zeitungen sind als „widerwärtig" be¬
zeichnet worden, warum? Nur weil sie, zu häufig für den demokratischen
Geschmack, Ereignisse darstellten, bei denen die Person des Kaisers oder eines
Fürsten selbstverständlich mit abgebildet ist. Für die in dem vagen Gedanken
der „Freiheit" von Kind auf großgezognen Durchschnittsschweizer ist jeder
Fürst ein Geßler, jeder Monarchist ein „Fürstenknecht."
„Grafen und Barone kommen glücklicherweise nicht vor" — mit diesen
Worten wurde ein neuer Feuilletonroman einer Berner Zeitung angepriesen;
darf man von einem Redakteur, der Edelleute sogar als Nomcmgestälten nicht
vertragen kann, ein unbefangnes Urteil über Persönlichkeiten und Verhältnisse
des wirklichen Lebens erwarten? Eine Basler Zeitung nahm nicht Anstand,
einem ehrwürdigen, durch tiefreligiöse Schriften weit bekannten Manne die
Worte: „Fürsten und andres Gesindel" in den Mund zu legen; in den vater¬
ländischen Liedern spielt der „Tyrann," „Thrvnenflitter" und die „Zwing-
herrnbrut" eine unzeitgemäße Rolle. In einer einzelnen Nummer der Luzerner
Schützenfestzeitung kam das Wort „Freiheit" und „frei" nicht weniger als
einuuddreißigmal vor — ein Hinweis darauf, welch hoher Wert auf die poli¬
tische Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz gelegt wird. Aber
gerade indem die schweizerische Presse sich bestrebt, den „Reichsdeutschen" über
die Vorzüglichkeit der republikanischen schweizerischen Einrichtungen die Augen
zu „öffnen" und die Treue zu Kaiser und Landesfürst, Thron und Altar
herabzusetzen, arbeitet sie scheinbar für, thatsächlich aber gegen die Interessen
der „Freiheit" der Schweiz. Es ist ehrenwert und richtig, eine Überzeugung
zu vertreten und zu verfechten; es ist menschlich und nur zu erklärlich, wenn
man Andersdenkende zu ihr zu bekehren sucht; wer gern Knoblauch ißt, wird
gern auch seinem Nachbarn den Geschmack für diesen Genuß beibringen; wer
in der Silberwährung sein Heil findet, oder wer vermeint, mit einer ethischen
Erziehung eine religiöse ersetzen zu können, wird ebenso geneigt sein, für seine
Meinung Stimmung zu machen, wie der, der für Frauenrechte, Abschaffung
der Heere, Zulassung der Jesuiten oder „Freiheit und Gleichheit" schwärmt —
aber nie wird einer so weit gehn, Maßnahmen, Einrichtungen oder Zustände
zu verlangen, wenn er mit offnen Augen sieht, daß er mit ihnen die größten
Nachteile für sich selbst oder sein Geschäft, für seine Familie oder sein Vater¬
land heraufbeschwört.
In diesem Falle aber ist der Schweizer, der in Deutschland republikanische
Strömungen fördern will oder gar schon von einer deutschen Republik träumt;
seine gut demokratische Gesinnung, deren Bethätigung dem eignen Lande nur
zum Vorteile gereichen kann, wirkt verderblich, wenn er sie, in der Begeiste¬
rung für seine Ideale, über die ihr gesteckten Laudesgrenzen hinaus verbreiten
würde!
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