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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Wohl um so weniger anzunehmen, als gerade für die Weiterentwicklung Ru߬
lands die südlichen, an die Küste des Indischen Ozeans grenzenden Provinzen
vom größten Wert dafür sind, ihm hier eine feste maritime Stütze für seine
Operationen im Indischen Ozean zu geben. Am besten wird die Richtung
dieses Vorstoßes durch die in den Zeitungen neuerdings so oft erwähnte
Eisenbahnlinie Rescht, Teheran, Bender Abbns gezeigt, die von Rußland pro¬
jektiert und von Persien konzessioniert sein soll. Hierdurch wird Rußland
eine direkte Verbindung mit dem Persischen Golf haben, dessen Hafen Bender
Abbas anch in dem erwähnten Geheimvcrtrage dieselbe Rolle spielt, wie die
Provinz Chorasan. Daß Nußland Chorasan und Seistan besetzen möchte, um
seine militärische Stellung zu Indien zu verbessern, daß es die ganzen nörd¬
lichen Provinzen besetzen möchte, um diese reichen Gebiete auszunützen, daß
es weiter zum Persischen Golf vordringen möchte, um seiner maritimen
Stellung im Indischen Ozean eine Stütze zu geben, ist jn natürlich, und man
möchte beinahe sagen, ein notwendiger Schritt für die Weiterentwicklung des
russische Zentralnsiens. Und auch Persien ist sich der Gefahr, in der es ist,
vollkommen bewußt; aber es ist ihm ganz unmöglich, irgend etwas gegen
Nußland zu unternehmen, da es genau weiß, daß seine Streitkräfte den
russischen gegenüber wertlos sind.

Was hat nun England von diesen russischen Fortschritten zu erwarten?
Was kann es thun, diesen Vormarsch zu verhindern? Sein Handel, seine
Stellung im Indischen Ozean, sein Prestige in Asien würden schwer darunter
leiden; aber falls es nicht die Unantastbarkeit der persischen Gebiete der seiner
eignen Landesteile gleichstellt, wird es niemals das Fortschreiten Rußlands
aufhalten können.




Wenn man die geographische Lage Persiens betrachtet, muß man sich in
der That wundern, daß es vom Weltverkehr so vollkommen umgangen wird;
aber der langwierige, schwierige und unsichere Karawaneuverkchr des Landes
kaun in keiner Weise mit dem Dampfschiffsvcrkchr konkurrieren, und so spielen
die großen Verkehrsstraßen früherer Zeit, die einst Europa mit Indien ver¬
banden, eine untergeordnete Rolle im heutigen Verkehrslebcn der Welt. Es
ist klar, daß Persien erst dann wieder eine Bedeutung für den Weltverkehr
haben wird, wenn die großen Eisenbahnlinien nach Indien und dem Persischen
Golf es wieder in Kontakt mit der Welt bringen.

Seit Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat die
Persische Negierung große Eisenbahnkonzcssioneu unterzeichnet. Aber ein un¬
glückliches Geschick ruhte auf allen diesen Unternehmungen. Hauptsächlich hat
hier der Egoismus und die Rivalität Rußlands entgegen gearbeitet und den
freien Fortschritt der Kultur gehindert, was ihm sehr leicht war, da die per¬
sische reaktionäre Partei jeder Neuerung und hauptsächlich dem Eisenbahnbau
feindlich gegenüberstand, indem sie von dein richtigen Gefühl, daß mit dem
Bahnbau auch die Macht der Europäer im persischen Lande bedeutend wachse,
geleitet wurde. Weiter war und ist das Risiko der Kapitalanlage im Bahn-


Wohl um so weniger anzunehmen, als gerade für die Weiterentwicklung Ru߬
lands die südlichen, an die Küste des Indischen Ozeans grenzenden Provinzen
vom größten Wert dafür sind, ihm hier eine feste maritime Stütze für seine
Operationen im Indischen Ozean zu geben. Am besten wird die Richtung
dieses Vorstoßes durch die in den Zeitungen neuerdings so oft erwähnte
Eisenbahnlinie Rescht, Teheran, Bender Abbns gezeigt, die von Rußland pro¬
jektiert und von Persien konzessioniert sein soll. Hierdurch wird Rußland
eine direkte Verbindung mit dem Persischen Golf haben, dessen Hafen Bender
Abbas anch in dem erwähnten Geheimvcrtrage dieselbe Rolle spielt, wie die
Provinz Chorasan. Daß Nußland Chorasan und Seistan besetzen möchte, um
seine militärische Stellung zu Indien zu verbessern, daß es die ganzen nörd¬
lichen Provinzen besetzen möchte, um diese reichen Gebiete auszunützen, daß
es weiter zum Persischen Golf vordringen möchte, um seiner maritimen
Stellung im Indischen Ozean eine Stütze zu geben, ist jn natürlich, und man
möchte beinahe sagen, ein notwendiger Schritt für die Weiterentwicklung des
russische Zentralnsiens. Und auch Persien ist sich der Gefahr, in der es ist,
vollkommen bewußt; aber es ist ihm ganz unmöglich, irgend etwas gegen
Nußland zu unternehmen, da es genau weiß, daß seine Streitkräfte den
russischen gegenüber wertlos sind.

Was hat nun England von diesen russischen Fortschritten zu erwarten?
Was kann es thun, diesen Vormarsch zu verhindern? Sein Handel, seine
Stellung im Indischen Ozean, sein Prestige in Asien würden schwer darunter
leiden; aber falls es nicht die Unantastbarkeit der persischen Gebiete der seiner
eignen Landesteile gleichstellt, wird es niemals das Fortschreiten Rußlands
aufhalten können.




Wenn man die geographische Lage Persiens betrachtet, muß man sich in
der That wundern, daß es vom Weltverkehr so vollkommen umgangen wird;
aber der langwierige, schwierige und unsichere Karawaneuverkchr des Landes
kaun in keiner Weise mit dem Dampfschiffsvcrkchr konkurrieren, und so spielen
die großen Verkehrsstraßen früherer Zeit, die einst Europa mit Indien ver¬
banden, eine untergeordnete Rolle im heutigen Verkehrslebcn der Welt. Es
ist klar, daß Persien erst dann wieder eine Bedeutung für den Weltverkehr
haben wird, wenn die großen Eisenbahnlinien nach Indien und dem Persischen
Golf es wieder in Kontakt mit der Welt bringen.

Seit Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat die
Persische Negierung große Eisenbahnkonzcssioneu unterzeichnet. Aber ein un¬
glückliches Geschick ruhte auf allen diesen Unternehmungen. Hauptsächlich hat
hier der Egoismus und die Rivalität Rußlands entgegen gearbeitet und den
freien Fortschritt der Kultur gehindert, was ihm sehr leicht war, da die per¬
sische reaktionäre Partei jeder Neuerung und hauptsächlich dem Eisenbahnbau
feindlich gegenüberstand, indem sie von dein richtigen Gefühl, daß mit dem
Bahnbau auch die Macht der Europäer im persischen Lande bedeutend wachse,
geleitet wurde. Weiter war und ist das Risiko der Kapitalanlage im Bahn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/243>, abgerufen am 27.09.2024.