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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Das vorgichn Rußlands gegen Persien

alle Beziehungen Afghanistans zu fremden Mächten sollten unter englischer
Kontrolle stehn. Dagegen verpflichtete sich England zur Zahlung jährlicher
Subsidien und zum Beistand im Kampfe gegen jeden Feind, der ihm im Lande
erstehn würde, und versprach weiter, Ingenieure zu senden, die die Festungen
in den nördlichen Gebieten verstärken sollten. Der Erfolg, den die englische
Diplomatie hier errang, war außerordentlich, da Afghanistan durch den Ver¬
trag Vasallenstaat Englands wurde, aber er war uicht von lauger Dauer.
Das afghanische Volk war unzufrieden mit dem Vertrag und erschlug bei
einem Aufstand den eben erst in Kabul eingezognen Residenten Englands.
Die englische Armee war noch in den Stellungen, die sie vorher innegehabt hatte,
und kriegsbereit. General Roberts ging im Herbst 1879 sofort auf Kabul vor
und schlug die afghanische Armee vollkommen, ebenso siegte General Stewart
in der Schlacht bei Ghasni glänzend über die Afghanen. Jetzt wurde Persien
ein Bündnis angeboten zu dem Zweck, Herat gemeinsam zu nehmen, aber
Persien weigerte sich aus Furcht, daß es seine Beziehungen zu Nußland
trüben könnte. Nach langen Verhandlungen wurde im Juli 1880 Abdurrahman
als Emir von Afghanistan ausgerufen, Subsidien ihm zuerkannt, und ein eng¬
lischer Resident mohammedanischen Glaubens in Kabul eingesetzt. In Bezug
auf die im Frieden von Gandamnk festgesetzte Grenze und das von den Eng¬
ländern besetzte Kandahar ließ man sich auf keine Unterhandlungen ein. Es
fehlte also bei diesem Vertrage jede feste Grundlage.

Ejub Khan, der in Herat residierte, war unzufrieden mit ihm und ging
gegen Kandahar vor, schlug in einer regulären Feldschlacht den General
Burrows bei Kuscht-Nachud und belagerte Kandahar. Hier wurde er voll¬
kommen von dein zu Hilfe eilenden General Roberts geschlagen. Afghanistan
wurde wieder zum Erstaunen der ganzen Welt geräumt und Kandahar auf¬
gegeben. Warum dies geschah, ist um so unverständlicher, als man nicht nur
die Vorteile des Vertrags von Gandamnk größtenteils aufgab, sondern auch
Kandahar, das nach der übereinstimmenden Meinung der hervorragendsten
englischen Führer, insbesondre Roberts, für die Verteidigung Indiens von der
größten Wichtigkeit war.

Wieder wollte man die Kosten sparen, die eine Besetzung Kandahars ver¬
ursachte, ohne die großen Vorteile der Stellung in Rechnung zu ziehn. Aber
auch nördlich von Afghanistan hätte England damals festen Fuß fassen und
dadurch seine Oberhoheit über Afghanistan mit noch größerer Sicherheit durch¬
führen können. Denn als sich nach dem Fall von Geol Tepe Nußland den
Grenzen Mcrws uüherte, ließen die Ältesten der Merwer England um Schutz
ersuchen. Aber ihre Bitte blieb unbeachtet, und ebenso erfolglos blieb eine
zweite Gesandtschaft, die dieselbe Bitte dein englischen Gesandten in Teheran
vorlegen sollte. Da die Merwer einsahen, daß sie den leichter zu erlnugenden
Schutz Englands nicht erhielten, und da sie gegen Rußland nicht aufzutreten
wagten, stellten sie sich freiwillig unter russische Herrschaft, wodurch die russische
Grenze die nordafghanistanische erreichte.

Bei den nun folgenden Grenzstreitigkeiten an dieser Grenze sehen wir
das der englischen Politik gegen Rußland typisch gewordne Drohen und wieder


Das vorgichn Rußlands gegen Persien

alle Beziehungen Afghanistans zu fremden Mächten sollten unter englischer
Kontrolle stehn. Dagegen verpflichtete sich England zur Zahlung jährlicher
Subsidien und zum Beistand im Kampfe gegen jeden Feind, der ihm im Lande
erstehn würde, und versprach weiter, Ingenieure zu senden, die die Festungen
in den nördlichen Gebieten verstärken sollten. Der Erfolg, den die englische
Diplomatie hier errang, war außerordentlich, da Afghanistan durch den Ver¬
trag Vasallenstaat Englands wurde, aber er war uicht von lauger Dauer.
Das afghanische Volk war unzufrieden mit dem Vertrag und erschlug bei
einem Aufstand den eben erst in Kabul eingezognen Residenten Englands.
Die englische Armee war noch in den Stellungen, die sie vorher innegehabt hatte,
und kriegsbereit. General Roberts ging im Herbst 1879 sofort auf Kabul vor
und schlug die afghanische Armee vollkommen, ebenso siegte General Stewart
in der Schlacht bei Ghasni glänzend über die Afghanen. Jetzt wurde Persien
ein Bündnis angeboten zu dem Zweck, Herat gemeinsam zu nehmen, aber
Persien weigerte sich aus Furcht, daß es seine Beziehungen zu Nußland
trüben könnte. Nach langen Verhandlungen wurde im Juli 1880 Abdurrahman
als Emir von Afghanistan ausgerufen, Subsidien ihm zuerkannt, und ein eng¬
lischer Resident mohammedanischen Glaubens in Kabul eingesetzt. In Bezug
auf die im Frieden von Gandamnk festgesetzte Grenze und das von den Eng¬
ländern besetzte Kandahar ließ man sich auf keine Unterhandlungen ein. Es
fehlte also bei diesem Vertrage jede feste Grundlage.

Ejub Khan, der in Herat residierte, war unzufrieden mit ihm und ging
gegen Kandahar vor, schlug in einer regulären Feldschlacht den General
Burrows bei Kuscht-Nachud und belagerte Kandahar. Hier wurde er voll¬
kommen von dein zu Hilfe eilenden General Roberts geschlagen. Afghanistan
wurde wieder zum Erstaunen der ganzen Welt geräumt und Kandahar auf¬
gegeben. Warum dies geschah, ist um so unverständlicher, als man nicht nur
die Vorteile des Vertrags von Gandamnk größtenteils aufgab, sondern auch
Kandahar, das nach der übereinstimmenden Meinung der hervorragendsten
englischen Führer, insbesondre Roberts, für die Verteidigung Indiens von der
größten Wichtigkeit war.

Wieder wollte man die Kosten sparen, die eine Besetzung Kandahars ver¬
ursachte, ohne die großen Vorteile der Stellung in Rechnung zu ziehn. Aber
auch nördlich von Afghanistan hätte England damals festen Fuß fassen und
dadurch seine Oberhoheit über Afghanistan mit noch größerer Sicherheit durch¬
führen können. Denn als sich nach dem Fall von Geol Tepe Nußland den
Grenzen Mcrws uüherte, ließen die Ältesten der Merwer England um Schutz
ersuchen. Aber ihre Bitte blieb unbeachtet, und ebenso erfolglos blieb eine
zweite Gesandtschaft, die dieselbe Bitte dein englischen Gesandten in Teheran
vorlegen sollte. Da die Merwer einsahen, daß sie den leichter zu erlnugenden
Schutz Englands nicht erhielten, und da sie gegen Rußland nicht aufzutreten
wagten, stellten sie sich freiwillig unter russische Herrschaft, wodurch die russische
Grenze die nordafghanistanische erreichte.

Bei den nun folgenden Grenzstreitigkeiten an dieser Grenze sehen wir
das der englischen Politik gegen Rußland typisch gewordne Drohen und wieder


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[0240] Das vorgichn Rußlands gegen Persien alle Beziehungen Afghanistans zu fremden Mächten sollten unter englischer Kontrolle stehn. Dagegen verpflichtete sich England zur Zahlung jährlicher Subsidien und zum Beistand im Kampfe gegen jeden Feind, der ihm im Lande erstehn würde, und versprach weiter, Ingenieure zu senden, die die Festungen in den nördlichen Gebieten verstärken sollten. Der Erfolg, den die englische Diplomatie hier errang, war außerordentlich, da Afghanistan durch den Ver¬ trag Vasallenstaat Englands wurde, aber er war uicht von lauger Dauer. Das afghanische Volk war unzufrieden mit dem Vertrag und erschlug bei einem Aufstand den eben erst in Kabul eingezognen Residenten Englands. Die englische Armee war noch in den Stellungen, die sie vorher innegehabt hatte, und kriegsbereit. General Roberts ging im Herbst 1879 sofort auf Kabul vor und schlug die afghanische Armee vollkommen, ebenso siegte General Stewart in der Schlacht bei Ghasni glänzend über die Afghanen. Jetzt wurde Persien ein Bündnis angeboten zu dem Zweck, Herat gemeinsam zu nehmen, aber Persien weigerte sich aus Furcht, daß es seine Beziehungen zu Nußland trüben könnte. Nach langen Verhandlungen wurde im Juli 1880 Abdurrahman als Emir von Afghanistan ausgerufen, Subsidien ihm zuerkannt, und ein eng¬ lischer Resident mohammedanischen Glaubens in Kabul eingesetzt. In Bezug auf die im Frieden von Gandamnk festgesetzte Grenze und das von den Eng¬ ländern besetzte Kandahar ließ man sich auf keine Unterhandlungen ein. Es fehlte also bei diesem Vertrage jede feste Grundlage. Ejub Khan, der in Herat residierte, war unzufrieden mit ihm und ging gegen Kandahar vor, schlug in einer regulären Feldschlacht den General Burrows bei Kuscht-Nachud und belagerte Kandahar. Hier wurde er voll¬ kommen von dein zu Hilfe eilenden General Roberts geschlagen. Afghanistan wurde wieder zum Erstaunen der ganzen Welt geräumt und Kandahar auf¬ gegeben. Warum dies geschah, ist um so unverständlicher, als man nicht nur die Vorteile des Vertrags von Gandamnk größtenteils aufgab, sondern auch Kandahar, das nach der übereinstimmenden Meinung der hervorragendsten englischen Führer, insbesondre Roberts, für die Verteidigung Indiens von der größten Wichtigkeit war. Wieder wollte man die Kosten sparen, die eine Besetzung Kandahars ver¬ ursachte, ohne die großen Vorteile der Stellung in Rechnung zu ziehn. Aber auch nördlich von Afghanistan hätte England damals festen Fuß fassen und dadurch seine Oberhoheit über Afghanistan mit noch größerer Sicherheit durch¬ führen können. Denn als sich nach dem Fall von Geol Tepe Nußland den Grenzen Mcrws uüherte, ließen die Ältesten der Merwer England um Schutz ersuchen. Aber ihre Bitte blieb unbeachtet, und ebenso erfolglos blieb eine zweite Gesandtschaft, die dieselbe Bitte dein englischen Gesandten in Teheran vorlegen sollte. Da die Merwer einsahen, daß sie den leichter zu erlnugenden Schutz Englands nicht erhielten, und da sie gegen Rußland nicht aufzutreten wagten, stellten sie sich freiwillig unter russische Herrschaft, wodurch die russische Grenze die nordafghanistanische erreichte. Bei den nun folgenden Grenzstreitigkeiten an dieser Grenze sehen wir das der englischen Politik gegen Rußland typisch gewordne Drohen und wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/240>, abgerufen am 27.09.2024.