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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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worden, daß er um dieser Verschleppung mit Schuld sei; dieser Vorwurf ist
aber unbegründet, denn es steht fest, daß Moltke wiederholt im Sinne der
Förderung um Bericht über den Stand der Angelegenheit ersucht hat. Mau
muß festhalten, daß die Durchführung der Vorbereitungen Blumenthal oblag,
und wenn dieser seiner Aufgabe nicht gerecht werden konnte, so hätte er eben
weitere Mittel dafür beantragen müssen. Auf ihm also wird vor der Geschichte
die Schuld der Verzögerungen haften bleiben. Daneben bleibt bestehn, daß
weder Roon noch Moltke etwas Thatsächliches zur Behebung der Schwierig¬
keiten gethan haben.

Am 19. November 1870 trug sodann der Oberst von Nieff dein Kron¬
prinzen selbst mündlich in entschiedenster Weise die Unmöglichkeit vor, so vor¬
wärts zu kommen, und bat um Gestellnng von Pferden durch die Artillerie
und die Kolonnen der Einschließungstruppeu. Der Kronprinz griff nun auch
ein und trug die Sachlage uoch an demselben Tage dem Könige vor, der
den Antrag aber ablehnen mußte, weil er in der That nach der ganzen Kriegs¬
lage nicht ausführbar erschien.

Es war nämlich das inzwischen Thatsache geworden, was der König
schon bei sedem vorausgesehen hatte. Frankreich hatte mächtige Heere im
Norden und im Süden des Landes neu aufgestellt und zum Entsatz von Paris
in Marsch gesetzt, die mit dessen Besatzung zusammen die deutschen Einschließungs¬
truppen uni mehr als das Dreifache an Zahl übertrafen. Metz war zwar am
27. Oktober 1870 gefallen, aber die sofort von dort nach Westen beorderten
deutschen Korps waren noch nicht herangekommen. Die Schwierigkeit der
Lage trat klar zu Tage, als am 9. November 1870 die französische Loire¬
armee den mit der Deckung der Einschließung nach Süden beauftragten General
von der Tann durch das Gefecht bei Coulmiers zwang, Orleans zu räumen
und sich gegen Versailles hin zurückzuziehn. Wenn damals die Franzosen so
viel innere Kraft gehabt Hütten, alsbald nach Paris vorzurücken, so wäre die
Eiuschließnngsarmee in die allerschwierigste Lage geraten; es hätte die Aufhebung
der Belagerung notwendig werden, ja der ganze Artilleriebelagerungspark verloren
gehn können. Hierin liegt der Grund, weshalb Moltke von da ab die Ansicht
vertrat, die Heranziehung der Belagerungsgeschütze uach Paris sei ein großer
Fehler gewesen, weil sie der Bewegungsfähigkeit der Armee schwere Fesseln
angelegt habe.

Die kritischen Tage gingen glücklich vorbei: am 27. November 1870 wurde
die Nordarmee bei Amiens geschlagen; und am 28. November 1870 brach
sich die Kraft der Loircarmec bei Benune la Rolande an dein zähen Festhalten
des zehnten Armeekorps. Durfte der König in dieser gefährlichen Lage die
Marschfühigkeit der Truppen nicht durch Abkommandierung von Pferden
schwächen, so hat er doch die Förderung der Belagerung nicht aus den Augen
verloren; zunächst befahl er einen Vortrag deS Generals von Hindersin über
den Stand der Transpvrtfrnge, den dieser um 23. November erstattete. Als
dann die Lage der Einschlieszungsnrmee dies ermöglichte, zögerte er nicht, mit
voller Kraft einzugreifen.

Bemerkenswert ist, daß der Generalstab gerade in diesen Tagen von dem


worden, daß er um dieser Verschleppung mit Schuld sei; dieser Vorwurf ist
aber unbegründet, denn es steht fest, daß Moltke wiederholt im Sinne der
Förderung um Bericht über den Stand der Angelegenheit ersucht hat. Mau
muß festhalten, daß die Durchführung der Vorbereitungen Blumenthal oblag,
und wenn dieser seiner Aufgabe nicht gerecht werden konnte, so hätte er eben
weitere Mittel dafür beantragen müssen. Auf ihm also wird vor der Geschichte
die Schuld der Verzögerungen haften bleiben. Daneben bleibt bestehn, daß
weder Roon noch Moltke etwas Thatsächliches zur Behebung der Schwierig¬
keiten gethan haben.

Am 19. November 1870 trug sodann der Oberst von Nieff dein Kron¬
prinzen selbst mündlich in entschiedenster Weise die Unmöglichkeit vor, so vor¬
wärts zu kommen, und bat um Gestellnng von Pferden durch die Artillerie
und die Kolonnen der Einschließungstruppeu. Der Kronprinz griff nun auch
ein und trug die Sachlage uoch an demselben Tage dem Könige vor, der
den Antrag aber ablehnen mußte, weil er in der That nach der ganzen Kriegs¬
lage nicht ausführbar erschien.

Es war nämlich das inzwischen Thatsache geworden, was der König
schon bei sedem vorausgesehen hatte. Frankreich hatte mächtige Heere im
Norden und im Süden des Landes neu aufgestellt und zum Entsatz von Paris
in Marsch gesetzt, die mit dessen Besatzung zusammen die deutschen Einschließungs¬
truppen uni mehr als das Dreifache an Zahl übertrafen. Metz war zwar am
27. Oktober 1870 gefallen, aber die sofort von dort nach Westen beorderten
deutschen Korps waren noch nicht herangekommen. Die Schwierigkeit der
Lage trat klar zu Tage, als am 9. November 1870 die französische Loire¬
armee den mit der Deckung der Einschließung nach Süden beauftragten General
von der Tann durch das Gefecht bei Coulmiers zwang, Orleans zu räumen
und sich gegen Versailles hin zurückzuziehn. Wenn damals die Franzosen so
viel innere Kraft gehabt Hütten, alsbald nach Paris vorzurücken, so wäre die
Eiuschließnngsarmee in die allerschwierigste Lage geraten; es hätte die Aufhebung
der Belagerung notwendig werden, ja der ganze Artilleriebelagerungspark verloren
gehn können. Hierin liegt der Grund, weshalb Moltke von da ab die Ansicht
vertrat, die Heranziehung der Belagerungsgeschütze uach Paris sei ein großer
Fehler gewesen, weil sie der Bewegungsfähigkeit der Armee schwere Fesseln
angelegt habe.

Die kritischen Tage gingen glücklich vorbei: am 27. November 1870 wurde
die Nordarmee bei Amiens geschlagen; und am 28. November 1870 brach
sich die Kraft der Loircarmec bei Benune la Rolande an dein zähen Festhalten
des zehnten Armeekorps. Durfte der König in dieser gefährlichen Lage die
Marschfühigkeit der Truppen nicht durch Abkommandierung von Pferden
schwächen, so hat er doch die Förderung der Belagerung nicht aus den Augen
verloren; zunächst befahl er einen Vortrag deS Generals von Hindersin über
den Stand der Transpvrtfrnge, den dieser um 23. November erstattete. Als
dann die Lage der Einschlieszungsnrmee dies ermöglichte, zögerte er nicht, mit
voller Kraft einzugreifen.

Bemerkenswert ist, daß der Generalstab gerade in diesen Tagen von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/192>, abgerufen am 06.02.2025.