Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris und die Matrosenartillerie so verstärkt worden, daß der zunächst heraubeorderte Dazu kam, daß die dem Generalstab zugehenden Nachrichten aus Paris Die erste Bedingung für jeden Angriff blieb die Heranschaffung der König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris und die Matrosenartillerie so verstärkt worden, daß der zunächst heraubeorderte Dazu kam, daß die dem Generalstab zugehenden Nachrichten aus Paris Die erste Bedingung für jeden Angriff blieb die Heranschaffung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236712"/> <fw type="header" place="top"> König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris</fw><lb/> <p xml:id="ID_690" prev="#ID_689"> und die Matrosenartillerie so verstärkt worden, daß der zunächst heraubeorderte<lb/> Artillene-Bclngerungstrain uicht als genügend stark angesehen werden konnte.<lb/> Die Besatzung von Paris war an Zahl der Einschließungsarmce überlegen,<lb/> sodaß diese also nicht stark genug war, die für den Bau und die Be¬<lb/> wachung der Laufgräben erforderlichen Mannschaften zu stellen — es wären<lb/> hierzu noch weitere drei Divisionen notwendig gewesen, die aber nicht verfügbar<lb/> zu machen waren. Es mußte also auch in Betracht gezogen werden, von dem<lb/> Jngenieurangriff und dem Sturm der Infanterie Abstand zu nehmen und nur<lb/> den Artillerieangriff, d. h. eine Beschießung, durchzuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_691"> Dazu kam, daß die dem Generalstab zugehenden Nachrichten aus Paris<lb/> sagten, daß die Besatzung demoralisiert sei, und die Lebensmittel nur für zwei<lb/> bis drei Monate ausreichten. Diese Nachrichten des im übrigen guten Kund-<lb/> schafterdieustes erwiesen sich zwar später als unzutreffend, sie hatten aber doch<lb/> eine gewisse Grundlage: wir wissen jetzt, daß in der That die Disziplin zuerst<lb/> viel zu wünschen übrig ließ, und daß die maßgebenden Behörden in Paris<lb/> selbst die Dauer der Lebensmittel damals so bemessen haben. Wenn aber diese<lb/> Nachrichten richtig waren, und der Artillerieangriff nicht vor November be¬<lb/> ginnen konnte, so war die Erwägung nicht unberechtigt, ob man daun die großen<lb/> Opfer an Streitmitteln, die er kosten mußte, noch aufwenden sollte, da man<lb/> hoffen durfte, in derselben Zeit mit der Aushungerung zum Ziele zu kommen.<lb/> Alle diese Umstände brachten nun Moltke zu folgender Ansicht: Dem bestimmten<lb/> Befehl des Königs entsprechend sei an ber Heranziehung des Artillerie-Be¬<lb/> lagerungstrains festzuhalten, damit man für alle Fälle gerüstet sei. Wegen des<lb/> Mangels an Infanterie sei keine förmliche Belagerung, sondern nur ein artille¬<lb/> ristischer Augriff vorzusehen; da aber dieser allein nicht mit Sicherheit einen<lb/> Erfolg in Aussicht stelle, so sei damit erst zu beginnen, wenn die Lebensmittel<lb/> auf die Neige gingen. Das drohende Gespenst der Hungersnot und die Be¬<lb/> schießung sollten zusammenwirken, die Besatzung zur Kapitulation zu bewegen.<lb/> An dieser Ansicht hat Moltke auch festgehalten; die Beschießung blieb ihm der<lb/> letzte Trumpf. Sein eigentlicher Beweggrund aber war doch wohl, daß er<lb/> hoffte, so weitere Verluste, besonders an Infanterie, zu vermeiden. Gegen<lb/> die Berechtigung dieser Ansicht wird man nichts einwenden können; weshalb<lb/> sie doch unrichtig war, sollten erst die weitern Ereignisse lehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_692" next="#ID_693"> Die erste Bedingung für jeden Angriff blieb die Heranschaffung der<lb/> schweren Geschütze. Mit Einwilligung des Königs wurden die für den Nord-<lb/> nngriff verfügbaren Geschütze zunächst gegen einige kleinere Festungen, besonders<lb/> das die Bahn nach der Nordfront sperrende Soissons bestimmt; der Geschütz¬<lb/> transport für den Südangriff wurde dagegen nunmehr eingeleitet, und die<lb/> nähern Anordnungen dafür dem Oberkommando der dritten Armee übertragen,<lb/> bei dem die Ansicht des Generals von Blumenthal besonders ins Gewicht fiel.<lb/> Am 24. September siel Toul, am 29. war die Eisenbahn wieder betriebs¬<lb/> fähig; aber nur bei Tage, da die Feindseligkeit der Bevölkerung zu großer<lb/> Vorsicht nötigte, sodaß ein Zug von Deutschland bis zur Eudstatiou Nanteuil<lb/> — später Lagny — meist fünf Tage brauchte. Der erste Zug aus Deutsch¬<lb/> land mit dem mobil gemachten Artillerietrain ging am 1. Oktober ab und kam</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris
und die Matrosenartillerie so verstärkt worden, daß der zunächst heraubeorderte
Artillene-Bclngerungstrain uicht als genügend stark angesehen werden konnte.
Die Besatzung von Paris war an Zahl der Einschließungsarmce überlegen,
sodaß diese also nicht stark genug war, die für den Bau und die Be¬
wachung der Laufgräben erforderlichen Mannschaften zu stellen — es wären
hierzu noch weitere drei Divisionen notwendig gewesen, die aber nicht verfügbar
zu machen waren. Es mußte also auch in Betracht gezogen werden, von dem
Jngenieurangriff und dem Sturm der Infanterie Abstand zu nehmen und nur
den Artillerieangriff, d. h. eine Beschießung, durchzuführen.
Dazu kam, daß die dem Generalstab zugehenden Nachrichten aus Paris
sagten, daß die Besatzung demoralisiert sei, und die Lebensmittel nur für zwei
bis drei Monate ausreichten. Diese Nachrichten des im übrigen guten Kund-
schafterdieustes erwiesen sich zwar später als unzutreffend, sie hatten aber doch
eine gewisse Grundlage: wir wissen jetzt, daß in der That die Disziplin zuerst
viel zu wünschen übrig ließ, und daß die maßgebenden Behörden in Paris
selbst die Dauer der Lebensmittel damals so bemessen haben. Wenn aber diese
Nachrichten richtig waren, und der Artillerieangriff nicht vor November be¬
ginnen konnte, so war die Erwägung nicht unberechtigt, ob man daun die großen
Opfer an Streitmitteln, die er kosten mußte, noch aufwenden sollte, da man
hoffen durfte, in derselben Zeit mit der Aushungerung zum Ziele zu kommen.
Alle diese Umstände brachten nun Moltke zu folgender Ansicht: Dem bestimmten
Befehl des Königs entsprechend sei an ber Heranziehung des Artillerie-Be¬
lagerungstrains festzuhalten, damit man für alle Fälle gerüstet sei. Wegen des
Mangels an Infanterie sei keine förmliche Belagerung, sondern nur ein artille¬
ristischer Augriff vorzusehen; da aber dieser allein nicht mit Sicherheit einen
Erfolg in Aussicht stelle, so sei damit erst zu beginnen, wenn die Lebensmittel
auf die Neige gingen. Das drohende Gespenst der Hungersnot und die Be¬
schießung sollten zusammenwirken, die Besatzung zur Kapitulation zu bewegen.
An dieser Ansicht hat Moltke auch festgehalten; die Beschießung blieb ihm der
letzte Trumpf. Sein eigentlicher Beweggrund aber war doch wohl, daß er
hoffte, so weitere Verluste, besonders an Infanterie, zu vermeiden. Gegen
die Berechtigung dieser Ansicht wird man nichts einwenden können; weshalb
sie doch unrichtig war, sollten erst die weitern Ereignisse lehren.
Die erste Bedingung für jeden Angriff blieb die Heranschaffung der
schweren Geschütze. Mit Einwilligung des Königs wurden die für den Nord-
nngriff verfügbaren Geschütze zunächst gegen einige kleinere Festungen, besonders
das die Bahn nach der Nordfront sperrende Soissons bestimmt; der Geschütz¬
transport für den Südangriff wurde dagegen nunmehr eingeleitet, und die
nähern Anordnungen dafür dem Oberkommando der dritten Armee übertragen,
bei dem die Ansicht des Generals von Blumenthal besonders ins Gewicht fiel.
Am 24. September siel Toul, am 29. war die Eisenbahn wieder betriebs¬
fähig; aber nur bei Tage, da die Feindseligkeit der Bevölkerung zu großer
Vorsicht nötigte, sodaß ein Zug von Deutschland bis zur Eudstatiou Nanteuil
— später Lagny — meist fünf Tage brauchte. Der erste Zug aus Deutsch¬
land mit dem mobil gemachten Artillerietrain ging am 1. Oktober ab und kam
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