Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Die jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung und Kritiken in der "gemeinen, schmutzigen" Sprache des Volks, Und vor Das werden um freilich die Anhänger der Schriftsprache nicht zugeben. Warum uun dieser heftige Widerstand gegen eine Entwicklung, die so *) '^>. 'Hh-xr"^""^ °/av<>^" Uf^et,-'""-,?". 1. Athen, 1901.
Die jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung und Kritiken in der „gemeinen, schmutzigen" Sprache des Volks, Und vor Das werden um freilich die Anhänger der Schriftsprache nicht zugeben. Warum uun dieser heftige Widerstand gegen eine Entwicklung, die so *) '^>. 'Hh-xr«^««^ °/av<>^« Uf^et,-'«»-,?». 1. Athen, 1901.
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Die jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung
und Kritiken in der „gemeinen, schmutzigen" Sprache des Volks, Und vor
wenig Monaten ist sogar der Anfang einer „Geschichte des neugriechischen
Volkstums" erschienen/") die in gewandter, leicht dahinfließender Vulgärsprache
die frühbyzantinische Geschichte (bis zum Tode Iustinians) erzählt. Man
kann füglich überrascht sein, wie gut dies dem Verfasser gleich bei dem ersten Ent¬
wurf dieser Art gelungen ist; wenn anch noch nicht ein streng historischer Stil
erreicht worden ist — der Verfasser verrät gelegentlich den Novellisten —, so
ist doch der Beweis aufs beste erbracht worden, daß vie geschmähte Vulgär¬
sprache für geschichtliche Darstellung und Charakterisierung an Kraft wie an
Ausdrncksfähigteit der archaisierenden Schriftsprache überlegen ist.
Das werden um freilich die Anhänger der Schriftsprache nicht zugeben.
Das griechische Publikum überhaupt steht gleichgiltig oder feindselig und ver¬
ständnislos der Reformbewegung gegenüber. Was man gemeinhin für die
xc-L^co»^« und gegen die Volkssprache geltend macht, ist recht windig.
Die Volkssprache, so sagen die Gegner, sei nnr in der Form der Dialekte
vertreten, sie sei darum nicht einheitlich. Die so reden, übersehen ganz, daß
auch die heutige Schriftsprache von Einheitlichkeit der grammatischen Form
weit entfernt ist: man kann fast sagen, daß es ebenso viele Arten der Schrift¬
sprache wie Schriftsteller giebt; denn der Grad des Archaisierens und der Bei-
wengnng volkstümlicher Worte und Formen variiert nach Autor und sogar
nach Thema. Die Volkssprache ist hierin nicht ungünstiger gestellt: es giebt
eine Art Gemeinsprache, die allgemein verstanden wird. Aber auch wenn dem
nicht so wäre, so könnte sich doch der Dialekt eines Zentrums, etwa Athens,
ebensogut über das Mundartliche hinaus zu einer allgemeinen Litteratursprache
erheben, wie dies bei allen Kulturvölkern geschehn ist — sogar bei den alten
Griechen, deren falsche Nachahmer ihre Nachkommen sind. Aber das Beispiel,
das die Alten oder ein Dante, ein Luther gegeben haben, verfängt bei den
heutigen Griechen nicht: sie halten ihre Volkssprache für ungeeignet und un-
würdig höherer Verwendung. Und doch ist diese Sprache das Erzeugnis des
Volksgeistes, der ununterbrochen seit alter Zeit wirkt. Indem die Griechen
ihre eigne Sprache beschimpfen, beschimpfen sie sich selbst und beschimpfen ihre
eignen Borfahren.
Warum uun dieser heftige Widerstand gegen eine Entwicklung, die so
natürlich ist? In Europa giebt es keinen Gelehrten (Dilettanten haben nicht
mitzureden), der nicht schon einmal den Griechen das Verkehrte ihres Thuns
vorgeworfen Hütte. Aber das Motiv, das sie zum Schaden der eignen Litteratur
so verblendet, hängt mit dem zusammen, was wir schon über die Aussprache
bemerkt haben: indem die Griechen in ihrer Schriftsprache möglichst stark
archaisieren, suchen sie den engen Zusammenhang mit dem Altertum zu er¬
weisen und sich gegen den Verdacht zu wehren, daß sie am Ende nicht Nach¬
kommen der Alten seien, als ob aus einem solchen Kunstgriff boshafte Menschen
nicht eher das Gegenteil folgern könnten. Aber da die Griechen einmal dem
Bann solcher Vorstellungen verfallen sind, so wehren sie sich eben gegen jeden
*) '^>. 'Hh-xr«^««^ °/av<>^« Uf^et,-'«»-,?». 1. Athen, 1901.
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