Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.vom mittelalterlichen Iiidenrecht privaten Luxus. Von regelmäßiger, wohlgeordneter Besteuerung wußte man Konkurrenzneid und Habgier zeigen sich nicht gern unverhüllt, und der vom mittelalterlichen Iiidenrecht privaten Luxus. Von regelmäßiger, wohlgeordneter Besteuerung wußte man Konkurrenzneid und Habgier zeigen sich nicht gern unverhüllt, und der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236664"/> <fw type="header" place="top"> vom mittelalterlichen Iiidenrecht</fw><lb/> <p xml:id="ID_483" prev="#ID_482"> privaten Luxus. Von regelmäßiger, wohlgeordneter Besteuerung wußte man<lb/> nichts. Da wurden denn die Juden als Werkzeuge gebraucht, den Unterthanen<lb/> auszupressen, was diese an Geld hatten. Die Fürsten zogen den Mammon<lb/> durch mehrerlei Praktiken an sich: durch Besteuerung der Juden, als Bezahlung<lb/> für gewährte Vergünstigungen, durch Anleihen, die gewöhnlich nicht zurück¬<lb/> gezahlt wurden. Damit es den Juden nie an Geld fehle, wurden jene „hu¬<lb/> manen" Gesetze erlassen, die den gemeinen Mann zwangen, dem jüdischen<lb/> Gläubiger nicht allein das Kapital zurückzuzahlen, sondern auch noch hundert<lb/> und mehr Prozent Zinsen dazu. nötigte der Unwille des Volkes den Fürsten,<lb/> seine Juden zu vertreiben, so benutzte er auch das zu einem Geschüft: bei der<lb/> Vertreibung konfiszierte er ihr Vermögen (was in den nördlichen Ländern auch<lb/> bei der Vertreibung italienischer Geldleute manchmal geschah), und dann mußten<lb/> sie sich die Rückkehr wieder erkaufen. Denn sie kehrten regelmäßig und rasch<lb/> zurück; die Fürsten, die sich manchmal stellten, als wollten sie die Juden gänz¬<lb/> lich loswerden, zankten sich um ihre unentbehrlichen Blutegel, und jeder wachte<lb/> eifersüchtig darüber, daß ihm kein Nachbar seine Kamnierknechte entzöge. Wenn<lb/> Verletzung, Tötung oder Vertreibung von Juden an den Christen mit unge¬<lb/> wöhnlich hohen Strafen geahndet werden, so wird manchmal ganz offenherzig<lb/> die Schädigung der Kaminer des Fürsten als Grund angegeben. Das Drängen<lb/> der Bürgerschaften, denen sich später mich die Landstände anschlössen (weil die<lb/> von Juden ausgeplünderten Bauern ihren Verpflichtungen gegen die Grund¬<lb/> herren nicht mehr nachkommen konnten, S. 482), mußte schon in halbe Revo¬<lb/> lution übergehn, wenn sich die Fürsten zu einem Einschränken der Thätigkeit<lb/> ihrer Finanzhelfer entschließen sollten. Das alles, was man längst wußte,<lb/> wird durch Scherers Urkunden hundertfach bestätigt. Bedenken wir nun noch<lb/> dazu, daß, wie Scherer ebenfalls in Übereinstimmung mit allen Geschichts¬<lb/> forschern lehrt, der im Norden nen entstehende nationale Handelsstand den<lb/> Juden das Geschäft ans den Händen winden mußte, daß er also sozusagen<lb/> als Antisemit geboren wurde und das eroberte Gebiet vor etwaiger Konkurrenz<lb/> der auf den Gcldhandel zurückgedrängten Juden eifersüchtig behüten zu müssen<lb/> glaubte, so begreifen wir, daß sich der unter diesen Umständen selbstverständliche<lb/> Haß aller Volksschichten in jener gewaltthätigen Zeit gar nicht anders ünßcr»<lb/> konnte als in blutigen Verfolgungen. Daß die Juden vorkonunendenfalls anch<lb/> unter den gegen das Ende des Mittelalters überhandnehmenden Justizgreucln<lb/> zu leiden, die Folter und qualifizierte Todesstrafe zu bestehn hatten, versteht<lb/> sich von selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_484" next="#ID_485"> Konkurrenzneid und Habgier zeigen sich nicht gern unverhüllt, und der<lb/> Volkshaß sucht nach Vorwänden, sich austoben zu können. Deshalb wurde<lb/> die aus dem religiösen Gegensatz entspringende Feindschaft der ersten christ¬<lb/> lichen Jahrhunderte wieder belebt, und wurden Blutmärchen und — namentlich<lb/> in der schrecklichen Zeit des Schwarzen Todes — Brunncnvergiftuugsgeschichteu<lb/> verbreitet. Der Glaube an den Ritualmord mag wohl aus den heidnischen<lb/> Menschenopfern und aus der rituellen Verwendung von Blut oder von ge¬<lb/> schlachteten oder lebendig begrabnen Jungfrauen bei Städtegründungen ent¬<lb/> standen sein. Als sich die aufgeklärtern Griechen und Römer späterer Zeiten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
vom mittelalterlichen Iiidenrecht
privaten Luxus. Von regelmäßiger, wohlgeordneter Besteuerung wußte man
nichts. Da wurden denn die Juden als Werkzeuge gebraucht, den Unterthanen
auszupressen, was diese an Geld hatten. Die Fürsten zogen den Mammon
durch mehrerlei Praktiken an sich: durch Besteuerung der Juden, als Bezahlung
für gewährte Vergünstigungen, durch Anleihen, die gewöhnlich nicht zurück¬
gezahlt wurden. Damit es den Juden nie an Geld fehle, wurden jene „hu¬
manen" Gesetze erlassen, die den gemeinen Mann zwangen, dem jüdischen
Gläubiger nicht allein das Kapital zurückzuzahlen, sondern auch noch hundert
und mehr Prozent Zinsen dazu. nötigte der Unwille des Volkes den Fürsten,
seine Juden zu vertreiben, so benutzte er auch das zu einem Geschüft: bei der
Vertreibung konfiszierte er ihr Vermögen (was in den nördlichen Ländern auch
bei der Vertreibung italienischer Geldleute manchmal geschah), und dann mußten
sie sich die Rückkehr wieder erkaufen. Denn sie kehrten regelmäßig und rasch
zurück; die Fürsten, die sich manchmal stellten, als wollten sie die Juden gänz¬
lich loswerden, zankten sich um ihre unentbehrlichen Blutegel, und jeder wachte
eifersüchtig darüber, daß ihm kein Nachbar seine Kamnierknechte entzöge. Wenn
Verletzung, Tötung oder Vertreibung von Juden an den Christen mit unge¬
wöhnlich hohen Strafen geahndet werden, so wird manchmal ganz offenherzig
die Schädigung der Kaminer des Fürsten als Grund angegeben. Das Drängen
der Bürgerschaften, denen sich später mich die Landstände anschlössen (weil die
von Juden ausgeplünderten Bauern ihren Verpflichtungen gegen die Grund¬
herren nicht mehr nachkommen konnten, S. 482), mußte schon in halbe Revo¬
lution übergehn, wenn sich die Fürsten zu einem Einschränken der Thätigkeit
ihrer Finanzhelfer entschließen sollten. Das alles, was man längst wußte,
wird durch Scherers Urkunden hundertfach bestätigt. Bedenken wir nun noch
dazu, daß, wie Scherer ebenfalls in Übereinstimmung mit allen Geschichts¬
forschern lehrt, der im Norden nen entstehende nationale Handelsstand den
Juden das Geschäft ans den Händen winden mußte, daß er also sozusagen
als Antisemit geboren wurde und das eroberte Gebiet vor etwaiger Konkurrenz
der auf den Gcldhandel zurückgedrängten Juden eifersüchtig behüten zu müssen
glaubte, so begreifen wir, daß sich der unter diesen Umständen selbstverständliche
Haß aller Volksschichten in jener gewaltthätigen Zeit gar nicht anders ünßcr»
konnte als in blutigen Verfolgungen. Daß die Juden vorkonunendenfalls anch
unter den gegen das Ende des Mittelalters überhandnehmenden Justizgreucln
zu leiden, die Folter und qualifizierte Todesstrafe zu bestehn hatten, versteht
sich von selbst.
Konkurrenzneid und Habgier zeigen sich nicht gern unverhüllt, und der
Volkshaß sucht nach Vorwänden, sich austoben zu können. Deshalb wurde
die aus dem religiösen Gegensatz entspringende Feindschaft der ersten christ¬
lichen Jahrhunderte wieder belebt, und wurden Blutmärchen und — namentlich
in der schrecklichen Zeit des Schwarzen Todes — Brunncnvergiftuugsgeschichteu
verbreitet. Der Glaube an den Ritualmord mag wohl aus den heidnischen
Menschenopfern und aus der rituellen Verwendung von Blut oder von ge¬
schlachteten oder lebendig begrabnen Jungfrauen bei Städtegründungen ent¬
standen sein. Als sich die aufgeklärtern Griechen und Römer späterer Zeiten
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