Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Historische Versäumnisse der sächsischen Landeskirche ausging, und die hochherzigen Gedanken, die jüngst Gar nicht bestritten ist, daß die schweren Versäumnisse in der wirtschaft¬ Historische Versäumnisse der sächsischen Landeskirche ausging, und die hochherzigen Gedanken, die jüngst Gar nicht bestritten ist, daß die schweren Versäumnisse in der wirtschaft¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236654"/> <fw type="header" place="top"> Historische Versäumnisse</fw><lb/> <p xml:id="ID_459" prev="#ID_458"> der sächsischen Landeskirche ausging, und die hochherzigen Gedanken, die jüngst<lb/> bei der Feier des dreihundertjährigen Geburtstages Herzog Ernsts des Frommen<lb/> in Gotha am 26. Dezember vorigen Jahres der Kaiser und der Regent von<lb/> Sachsen-Koburg-Gotha in dieser Beziehung ausgesprochen haben, irgend welchen<lb/> bessern praktischen Erfolg haben werden als die ältern Versuche derart. Das<lb/> Kaisertum aber, dauernd an eine halbfremde Macht gekettet und von der großen<lb/> protestantischen Hälfte der Nation mit tiefem Mißtrauen betrachtet, horte nun<lb/> vollends ans, eine nationale Staatsgewalt zu sein. Seitdem konnte nur ein<lb/> völliger Neubau auf dem Grunde des souverän gewordnen Landesfürstentums<lb/> den Deutschen eine neue leistungsfähige Gesamtverfassung geben, und erst als<lb/> sich ein neues deutsches Kernland, Brandenburg-Preußen, gebildet hatte, kam<lb/> die moderne Einheitsbewegung zum Ziele.</p><lb/> <p xml:id="ID_460" next="#ID_461"> Gar nicht bestritten ist, daß die schweren Versäumnisse in der wirtschaft¬<lb/> lichen Entwicklung Deutschlands vor allem aus dem Mangel einer wirklichen<lb/> Reichsgewalt hervorgegangen sind. Die Nation vermochte weder ihre alte<lb/> Weltstellung im Handel, die sie in den letzten Jahrhunderte!? des Mittelalters<lb/> errungen hatte, zu behaupten noch an den neuen Seewegen, die Spanier und<lb/> Portugiesen erschlossen, oder gar an der Besitzergreifung der überseeischen<lb/> Länder, also nu den neuen Aufgaben der europäischen Völker Anteil zu ge-<lb/> winnen. Gegenüber den aufstrebenden Mächten des Nordens und Ostens<lb/> verlor die Hansa im Verlaufe des sechzehnten Jahrhunderts ihre Handels¬<lb/> herrschaft; ja sie konnte nicht einmal das Eindringen ihrer Konkurrenten, der<lb/> Niederländer in die Ostsee, ihr eigenstes und ältestes Handelsgebiet, verhindern.<lb/> Denn in dieser Zeit beginnender Großstaatbildung vermochte ein loser Stüdte-<lb/> bund uicht mehr eine Macht zu sein, und es fehlte ihm nicht nur der starke<lb/> Rückhalt an einer nationalen Staatsgewalt, sondern Kaiser Karl V. begünstigte<lb/> sogar die Niederländer, weil er ihr Landesherr war. Noch 1628 überwogen<lb/> konfessionelles Mißtrauen und ängstliche Kurzsichtigkeit bei dem Neste des<lb/> Bundes derart, daß er die Hand zurückstieß, die ihm damals der Kaiser und<lb/> Wallenstein darboten, um der Hansa wenigstens den Verkehr mit Südeuropa<lb/> gegeuüber den Niederländern zu sicherm und eine Reichsflotte aufzustellen — eine<lb/> der allerschlimmsten Folgen der kirchlichen Zerklüftung. An ein selbständiges<lb/> Eindringe!? in die neuen Seewege und die Kolonisationsarbeit der Spanier<lb/> und Portugiesen vollends wäre bei der monopolistischen Richtung der Zeit<lb/> nur dann zu denken gewesen, wenn eine Reichsgewalt eine Stütze geboten<lb/> hätte, und auch da, wo Karl V. die Deutschen heranzog, also die Verbindung<lb/> mit Spanien ihnen einmal zum Vorteil gereichen konnte, indem er die Welser<lb/> mit Venezuela belehnte, verstanden diese süddeutschen Binnenkaufleute nicht<lb/> hinlänglich, diese Gunst des Geschicks zu einen? dauernden Erfolge zu benützen.<lb/> So blieb es den Engländern und den Niederländern überlassen, sich deu Anteil<lb/> an der Herrschaft der überseeischen Gebiete und am Welthandel zu sicher», den<lb/> sich die iberischen Nationen entreißen ließen. In der That ein klägliches und<lb/> tief beschämendes Schauspiel, zu sehen, wie diese große, reiche, begabte und<lb/> gebildete deutsche Nation unfähig ist, das zu thun, was viel kleinere und<lb/> schwächere Völker thaten, nicht etwa, weil sie von auswärtigen Gefahren be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Historische Versäumnisse
der sächsischen Landeskirche ausging, und die hochherzigen Gedanken, die jüngst
bei der Feier des dreihundertjährigen Geburtstages Herzog Ernsts des Frommen
in Gotha am 26. Dezember vorigen Jahres der Kaiser und der Regent von
Sachsen-Koburg-Gotha in dieser Beziehung ausgesprochen haben, irgend welchen
bessern praktischen Erfolg haben werden als die ältern Versuche derart. Das
Kaisertum aber, dauernd an eine halbfremde Macht gekettet und von der großen
protestantischen Hälfte der Nation mit tiefem Mißtrauen betrachtet, horte nun
vollends ans, eine nationale Staatsgewalt zu sein. Seitdem konnte nur ein
völliger Neubau auf dem Grunde des souverän gewordnen Landesfürstentums
den Deutschen eine neue leistungsfähige Gesamtverfassung geben, und erst als
sich ein neues deutsches Kernland, Brandenburg-Preußen, gebildet hatte, kam
die moderne Einheitsbewegung zum Ziele.
Gar nicht bestritten ist, daß die schweren Versäumnisse in der wirtschaft¬
lichen Entwicklung Deutschlands vor allem aus dem Mangel einer wirklichen
Reichsgewalt hervorgegangen sind. Die Nation vermochte weder ihre alte
Weltstellung im Handel, die sie in den letzten Jahrhunderte!? des Mittelalters
errungen hatte, zu behaupten noch an den neuen Seewegen, die Spanier und
Portugiesen erschlossen, oder gar an der Besitzergreifung der überseeischen
Länder, also nu den neuen Aufgaben der europäischen Völker Anteil zu ge-
winnen. Gegenüber den aufstrebenden Mächten des Nordens und Ostens
verlor die Hansa im Verlaufe des sechzehnten Jahrhunderts ihre Handels¬
herrschaft; ja sie konnte nicht einmal das Eindringen ihrer Konkurrenten, der
Niederländer in die Ostsee, ihr eigenstes und ältestes Handelsgebiet, verhindern.
Denn in dieser Zeit beginnender Großstaatbildung vermochte ein loser Stüdte-
bund uicht mehr eine Macht zu sein, und es fehlte ihm nicht nur der starke
Rückhalt an einer nationalen Staatsgewalt, sondern Kaiser Karl V. begünstigte
sogar die Niederländer, weil er ihr Landesherr war. Noch 1628 überwogen
konfessionelles Mißtrauen und ängstliche Kurzsichtigkeit bei dem Neste des
Bundes derart, daß er die Hand zurückstieß, die ihm damals der Kaiser und
Wallenstein darboten, um der Hansa wenigstens den Verkehr mit Südeuropa
gegeuüber den Niederländern zu sicherm und eine Reichsflotte aufzustellen — eine
der allerschlimmsten Folgen der kirchlichen Zerklüftung. An ein selbständiges
Eindringe!? in die neuen Seewege und die Kolonisationsarbeit der Spanier
und Portugiesen vollends wäre bei der monopolistischen Richtung der Zeit
nur dann zu denken gewesen, wenn eine Reichsgewalt eine Stütze geboten
hätte, und auch da, wo Karl V. die Deutschen heranzog, also die Verbindung
mit Spanien ihnen einmal zum Vorteil gereichen konnte, indem er die Welser
mit Venezuela belehnte, verstanden diese süddeutschen Binnenkaufleute nicht
hinlänglich, diese Gunst des Geschicks zu einen? dauernden Erfolge zu benützen.
So blieb es den Engländern und den Niederländern überlassen, sich deu Anteil
an der Herrschaft der überseeischen Gebiete und am Welthandel zu sicher», den
sich die iberischen Nationen entreißen ließen. In der That ein klägliches und
tief beschämendes Schauspiel, zu sehen, wie diese große, reiche, begabte und
gebildete deutsche Nation unfähig ist, das zu thun, was viel kleinere und
schwächere Völker thaten, nicht etwa, weil sie von auswärtigen Gefahren be-
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