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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Ihr müßt ein Ortsstatut machen. Wer Land verkauft, zahlt für den Morgen
tausend Mark Strafe.

Dies schien dem Schulzen. Und der Herr Kantor schrieb in sein Notizbuch:
"Tausend Mark Strafe." Auf dem Heimwege wurden beide dahin einig, daß der
Schachtbau verhindert werden müsse, und daß es jetzt darauf ankomme, bei den ein¬
flußreichen Leuten im Dorf herumzuhören und zu erfahren, wohin die Meinung gehe.

Der Schulze fand überall, wo er herumhörte, große Zurückhaltung. August
Hoppe meinte, man müsse sich das überlegen und erst einmal sehen, was die andern
thäten, Wilhelm Langbein meinte, achttausend Mark seien auch eine schöne Sache,
und Fritze Poplitz sagte gar nichts, aber man konnte wohl merken, daß er bereit
sei, jeden Vorteil zu nehme", der sich ihm darbiete, ohne sich weiter um die Ge¬
meinde zu kümmern. Nur der Herr Oberstleutnant hatte sich schon eine Ansicht
gebildet und hielt mit ihr nicht hinter dem Berge. Er hatte sich ein neues Buch
über Nationalökonomie kommen lassen und darin ein paar Seiten vorn, in der
Mitte und hinten gelesen und daraus soviel entnommen, daß die ganze Na--tional--
vkonomie fauler Zauber sei. Industrie, Agrariertum, Löhne, Streiks, Produktion
und Konsumtion, das sei ja eine fa---bel--hafte Verwirrung, der rei--ne Kuttel--
muddel, und dabei könne kein Mensch froh werden. Patriotismus und Kornpreise
kamen dabei auf den Hund, und wer sein Vaterland lieb habe, müßte unter allen
Umständen gegen die Industrie stimmen. Die Deutschen seien von jeher ein
ackerbautreibendes Volk gewesen, wie schon Tacitus beweise; den Fabrikdampf und
die ganze Jobberei solle man getrost den Engländern überlassen. Man dürfe es
dem Deutschen nicht verwehren, auf seiner Scholle zu sitzen. Die Dampfmaschine
sei an allem Schuld, und ehe nicht die letzte Dampfmaschine zum alten Eisen
geworfen sei, werde es in der Welt nicht besser werden.

Diese Gedanken setzte er dem Herrn Schulzen auseinander, wobei er im Schlaf¬
rocke in seinem Zimmer auf und ab ging und auf sein aufgeschlagnes Buch schlug,
als stehe alles, was er sagte, darin geschrieben. Der Herr Schulze saß auf seinem
Stuhle und folgte den Gängen des Herrn Oberstlentnants mit aufmerksam hin und
her gedrehten Kopfe. Es muß dahingestellt bleiben, ob er die weitreichenden Folge¬
rungen des Herrn Oberstleutnants begriffen hatte. Soviel hatte er ihnen jedoch ent¬
nommen, daß der Herr Oberstleutnant gegen das Kaliwerk sei. Er ließ sich also
von ihm in die Hand versprechen, daß er zur nächsten Gemeindeversammlung
kommen werde.

Diese Versammlung wurde nach altem Herkomme" in der "Ratsstube" des
frühern Dorfkrugs, jetzigen Happichschen Gasthauses abgehalten. An der niedrigen
Holzdecke hing eine Lampe von ehrwürdigen Alter und trüber Lebensanschauung.
Darunter stand ein alter spreizbeiniger Holztisch, an dem als Protokollführer der
Herr Kantor Platz nahm. Neben ihm, seitlich vom Tische, thronte der Herr Schutze,
in weiteren Kreise die Vollbauern auf Holzstühlen, auf denen zu sitzen schwierig war.
da die Stuhlbeine aus der Sitzplatte hervorsahen; dahinter saßen die Kossäten auf
einer etwas wackligen Bank, und hinter ihnen, was sonst noch im Dorfe zum Besuche
der Gemeindeversammlung berechtigt war in freier Gruppierung. Wenn einmal
der Herr Oberstleutnant zur Gemeindeversammlung kam, so wurde für ihn der alte
Pntronatsstuhl, der früher in der Kirche gestanden hatte, hingestellt, eine wahre
Arche Noah mit tief eingedrückter Sitzgelegenheit, die von Happichs Katze zu ihren
Zahlreichen Wochenbetten benutzt zu werden pflegte.

Zu besagter Gemeindeversammlung war also die Gemeinde in gewohnter
Ordnung erschienen. Der Herr Kantor las in seinem Notizbuch, und der Herr
Schulze saß an seinein Tisch und trommelte ans der Tischplatte mit seinen krummen
Arbeitsfingern einen schwierigen Rhythmus. Die andern Anwesenden, den Herrn
Oberstleutnant einbegriffen, führten untereinander leise Gespräche, und in der Thür
stand Andres Happich mit der halblangen Pfeife, bereit, mit gutem Gewissen zu
bestätigen, was sich irgendwie bestätigen ließ.


Grenzboten I 1902 14

Ihr müßt ein Ortsstatut machen. Wer Land verkauft, zahlt für den Morgen
tausend Mark Strafe.

Dies schien dem Schulzen. Und der Herr Kantor schrieb in sein Notizbuch:
„Tausend Mark Strafe." Auf dem Heimwege wurden beide dahin einig, daß der
Schachtbau verhindert werden müsse, und daß es jetzt darauf ankomme, bei den ein¬
flußreichen Leuten im Dorf herumzuhören und zu erfahren, wohin die Meinung gehe.

Der Schulze fand überall, wo er herumhörte, große Zurückhaltung. August
Hoppe meinte, man müsse sich das überlegen und erst einmal sehen, was die andern
thäten, Wilhelm Langbein meinte, achttausend Mark seien auch eine schöne Sache,
und Fritze Poplitz sagte gar nichts, aber man konnte wohl merken, daß er bereit
sei, jeden Vorteil zu nehme», der sich ihm darbiete, ohne sich weiter um die Ge¬
meinde zu kümmern. Nur der Herr Oberstleutnant hatte sich schon eine Ansicht
gebildet und hielt mit ihr nicht hinter dem Berge. Er hatte sich ein neues Buch
über Nationalökonomie kommen lassen und darin ein paar Seiten vorn, in der
Mitte und hinten gelesen und daraus soviel entnommen, daß die ganze Na—tional—
vkonomie fauler Zauber sei. Industrie, Agrariertum, Löhne, Streiks, Produktion
und Konsumtion, das sei ja eine fa—-bel—hafte Verwirrung, der rei—ne Kuttel—
muddel, und dabei könne kein Mensch froh werden. Patriotismus und Kornpreise
kamen dabei auf den Hund, und wer sein Vaterland lieb habe, müßte unter allen
Umständen gegen die Industrie stimmen. Die Deutschen seien von jeher ein
ackerbautreibendes Volk gewesen, wie schon Tacitus beweise; den Fabrikdampf und
die ganze Jobberei solle man getrost den Engländern überlassen. Man dürfe es
dem Deutschen nicht verwehren, auf seiner Scholle zu sitzen. Die Dampfmaschine
sei an allem Schuld, und ehe nicht die letzte Dampfmaschine zum alten Eisen
geworfen sei, werde es in der Welt nicht besser werden.

Diese Gedanken setzte er dem Herrn Schulzen auseinander, wobei er im Schlaf¬
rocke in seinem Zimmer auf und ab ging und auf sein aufgeschlagnes Buch schlug,
als stehe alles, was er sagte, darin geschrieben. Der Herr Schulze saß auf seinem
Stuhle und folgte den Gängen des Herrn Oberstlentnants mit aufmerksam hin und
her gedrehten Kopfe. Es muß dahingestellt bleiben, ob er die weitreichenden Folge¬
rungen des Herrn Oberstleutnants begriffen hatte. Soviel hatte er ihnen jedoch ent¬
nommen, daß der Herr Oberstleutnant gegen das Kaliwerk sei. Er ließ sich also
von ihm in die Hand versprechen, daß er zur nächsten Gemeindeversammlung
kommen werde.

Diese Versammlung wurde nach altem Herkomme» in der „Ratsstube" des
frühern Dorfkrugs, jetzigen Happichschen Gasthauses abgehalten. An der niedrigen
Holzdecke hing eine Lampe von ehrwürdigen Alter und trüber Lebensanschauung.
Darunter stand ein alter spreizbeiniger Holztisch, an dem als Protokollführer der
Herr Kantor Platz nahm. Neben ihm, seitlich vom Tische, thronte der Herr Schutze,
in weiteren Kreise die Vollbauern auf Holzstühlen, auf denen zu sitzen schwierig war.
da die Stuhlbeine aus der Sitzplatte hervorsahen; dahinter saßen die Kossäten auf
einer etwas wackligen Bank, und hinter ihnen, was sonst noch im Dorfe zum Besuche
der Gemeindeversammlung berechtigt war in freier Gruppierung. Wenn einmal
der Herr Oberstleutnant zur Gemeindeversammlung kam, so wurde für ihn der alte
Pntronatsstuhl, der früher in der Kirche gestanden hatte, hingestellt, eine wahre
Arche Noah mit tief eingedrückter Sitzgelegenheit, die von Happichs Katze zu ihren
Zahlreichen Wochenbetten benutzt zu werden pflegte.

Zu besagter Gemeindeversammlung war also die Gemeinde in gewohnter
Ordnung erschienen. Der Herr Kantor las in seinem Notizbuch, und der Herr
Schulze saß an seinein Tisch und trommelte ans der Tischplatte mit seinen krummen
Arbeitsfingern einen schwierigen Rhythmus. Die andern Anwesenden, den Herrn
Oberstleutnant einbegriffen, führten untereinander leise Gespräche, und in der Thür
stand Andres Happich mit der halblangen Pfeife, bereit, mit gutem Gewissen zu
bestätigen, was sich irgendwie bestätigen ließ.


Grenzboten I 1902 14
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[0113] Ihr müßt ein Ortsstatut machen. Wer Land verkauft, zahlt für den Morgen tausend Mark Strafe. Dies schien dem Schulzen. Und der Herr Kantor schrieb in sein Notizbuch: „Tausend Mark Strafe." Auf dem Heimwege wurden beide dahin einig, daß der Schachtbau verhindert werden müsse, und daß es jetzt darauf ankomme, bei den ein¬ flußreichen Leuten im Dorf herumzuhören und zu erfahren, wohin die Meinung gehe. Der Schulze fand überall, wo er herumhörte, große Zurückhaltung. August Hoppe meinte, man müsse sich das überlegen und erst einmal sehen, was die andern thäten, Wilhelm Langbein meinte, achttausend Mark seien auch eine schöne Sache, und Fritze Poplitz sagte gar nichts, aber man konnte wohl merken, daß er bereit sei, jeden Vorteil zu nehme», der sich ihm darbiete, ohne sich weiter um die Ge¬ meinde zu kümmern. Nur der Herr Oberstleutnant hatte sich schon eine Ansicht gebildet und hielt mit ihr nicht hinter dem Berge. Er hatte sich ein neues Buch über Nationalökonomie kommen lassen und darin ein paar Seiten vorn, in der Mitte und hinten gelesen und daraus soviel entnommen, daß die ganze Na—tional— vkonomie fauler Zauber sei. Industrie, Agrariertum, Löhne, Streiks, Produktion und Konsumtion, das sei ja eine fa—-bel—hafte Verwirrung, der rei—ne Kuttel— muddel, und dabei könne kein Mensch froh werden. Patriotismus und Kornpreise kamen dabei auf den Hund, und wer sein Vaterland lieb habe, müßte unter allen Umständen gegen die Industrie stimmen. Die Deutschen seien von jeher ein ackerbautreibendes Volk gewesen, wie schon Tacitus beweise; den Fabrikdampf und die ganze Jobberei solle man getrost den Engländern überlassen. Man dürfe es dem Deutschen nicht verwehren, auf seiner Scholle zu sitzen. Die Dampfmaschine sei an allem Schuld, und ehe nicht die letzte Dampfmaschine zum alten Eisen geworfen sei, werde es in der Welt nicht besser werden. Diese Gedanken setzte er dem Herrn Schulzen auseinander, wobei er im Schlaf¬ rocke in seinem Zimmer auf und ab ging und auf sein aufgeschlagnes Buch schlug, als stehe alles, was er sagte, darin geschrieben. Der Herr Schulze saß auf seinem Stuhle und folgte den Gängen des Herrn Oberstlentnants mit aufmerksam hin und her gedrehten Kopfe. Es muß dahingestellt bleiben, ob er die weitreichenden Folge¬ rungen des Herrn Oberstleutnants begriffen hatte. Soviel hatte er ihnen jedoch ent¬ nommen, daß der Herr Oberstleutnant gegen das Kaliwerk sei. Er ließ sich also von ihm in die Hand versprechen, daß er zur nächsten Gemeindeversammlung kommen werde. Diese Versammlung wurde nach altem Herkomme» in der „Ratsstube" des frühern Dorfkrugs, jetzigen Happichschen Gasthauses abgehalten. An der niedrigen Holzdecke hing eine Lampe von ehrwürdigen Alter und trüber Lebensanschauung. Darunter stand ein alter spreizbeiniger Holztisch, an dem als Protokollführer der Herr Kantor Platz nahm. Neben ihm, seitlich vom Tische, thronte der Herr Schutze, in weiteren Kreise die Vollbauern auf Holzstühlen, auf denen zu sitzen schwierig war. da die Stuhlbeine aus der Sitzplatte hervorsahen; dahinter saßen die Kossäten auf einer etwas wackligen Bank, und hinter ihnen, was sonst noch im Dorfe zum Besuche der Gemeindeversammlung berechtigt war in freier Gruppierung. Wenn einmal der Herr Oberstleutnant zur Gemeindeversammlung kam, so wurde für ihn der alte Pntronatsstuhl, der früher in der Kirche gestanden hatte, hingestellt, eine wahre Arche Noah mit tief eingedrückter Sitzgelegenheit, die von Happichs Katze zu ihren Zahlreichen Wochenbetten benutzt zu werden pflegte. Zu besagter Gemeindeversammlung war also die Gemeinde in gewohnter Ordnung erschienen. Der Herr Kantor las in seinem Notizbuch, und der Herr Schulze saß an seinein Tisch und trommelte ans der Tischplatte mit seinen krummen Arbeitsfingern einen schwierigen Rhythmus. Die andern Anwesenden, den Herrn Oberstleutnant einbegriffen, führten untereinander leise Gespräche, und in der Thür stand Andres Happich mit der halblangen Pfeife, bereit, mit gutem Gewissen zu bestätigen, was sich irgendwie bestätigen ließ. Grenzboten I 1902 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/113>, abgerufen am 27.09.2024.