Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Anrsächsische Streifzüge Ertrinkens verurteilen, ist im Kerne ans Kirchhofs "Wenduumuth" entnommen, Aber der Wittenberger Amtshauptmann und Hofrichter ist doch kein bloßer Anrsächsische Streifzüge Ertrinkens verurteilen, ist im Kerne ans Kirchhofs „Wenduumuth" entnommen, Aber der Wittenberger Amtshauptmann und Hofrichter ist doch kein bloßer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236626"/> <fw type="header" place="top"> Anrsächsische Streifzüge</fw><lb/> <p xml:id="ID_335" prev="#ID_334"> Ertrinkens verurteilen, ist im Kerne ans Kirchhofs „Wenduumuth" entnommen,<lb/> einzelne Züge dazu aus Hans Sachs und Fischart. Andre Geschichten des<lb/> „Schildbürgerbuchs," sowie des „Grilleuvertreibers" und der „Hummeln"<lb/> stammen aus Bebels „Facetiae" (Tübingen, 1561) und dem „Grobianus" von<lb/> Kaspar Scheit (Worms, 1551). Wieder andre Geschichten und Wendungen<lb/> hat der Verfasser aus mündlicher Erzählung und eigner Erfindung. Den mit¬<lb/> teilsamen Meißnern lag und liegt ja die Lust am Fabulieren tief im Blute,<lb/> und besonders Wittenberg, wo Professoren und Studenten von allen deutschen<lb/> Stammen zusammenströmten und mit den Hofleuten, Beamten und Bürgern<lb/> der Stadt in lustiger Plauderei zusammensaßen, war der rechte Ort für eine<lb/> solche Schwanksaimnlnng. So ist es fast selbstverständlich, daß im Schild¬<lb/> bürgerbuche eine aus höfischer Narretei, akademisch-humanistischeur Witz und<lb/> Kanzleihumor gemischte Geistesart ihr Wesen treibt; es ist für uns in dieser<lb/> Hinsicht ein sehr interessantes Dokument des gegen Ende des sechzehnten Jahr¬<lb/> hunderts in Kursachsen bei Bier und Wein beliebten Uuterhaltuugsstosfs.</p><lb/> <p xml:id="ID_336" next="#ID_337"> Aber der Wittenberger Amtshauptmann und Hofrichter ist doch kein bloßer<lb/> Anekdotensammler; eine solche Thätigkeit wäre zu gering für seine Stellung<lb/> und für die starke Persönlichkeit des Maunes. Er hat die einzelnen Ge¬<lb/> schichten nach einem gewissen Plane geordnet und verbunden, ihre Träger zu<lb/> einer bürgerlichen Gemeinschaft zusammengefaßt und so ein Gebilde geschaffen,<lb/> das, wenn auch nicht alle Glieder streng zum Ganzen streben, und wenn auch<lb/> die Komposition nur sehr lockrer Art ist, doch in vielen Stücken an einen<lb/> Roman erinnert. Aus diesem Roman tönt aber nicht nur das harmlose<lb/> Lachen des lustigen Erzählers, sondern mich der boshafte Spott eines Maunes,<lb/> der verletzen will. Namentlich in den die Schildbürgergeschichten einleitenden<lb/> Betrachtungen und in alledem, was der Verfasser zu deu anderwärts über¬<lb/> lieferten Geschichten hinzugethan hat, in der Verschärfung und Verpfefferung<lb/> einzelner Ausdrücke und Wendungen zeigt sich, wie Jeep treffend nachweist,<lb/> die Geißel des Satirikers. Diese Satire entspringt zunächst dem geistig-ästhe¬<lb/> tischen Gegensatze, der zwischen dem ganzen Lebensmilieu des Verfassers und<lb/> den clbländischen Kleinstädtern besteht. Schönberg lebt in Wittenberg, zeit¬<lb/> weise auch in Torgau, den verhältnismäßig großen und eleganten Residenzen<lb/> Knrsachsens, den Sammelpunkten wirtschaftlichen und geistigen Verkehrs; er<lb/> sonnt sich im Glänze höfischer Feste, er ist der gefeierte Mäcen der Universität,<lb/> er wohnt in einem mit allen Erzeugnissen des hochentwickelte!: Kunsthandwerks<lb/> ausstaffierten Hanse, er geht im Sammet- und seidestrvtzenden Herrengewande<lb/> einher — welcher Gegensatz zu den in der Kultur zurückgebliebnen, in den<lb/> Woll- oder Leinenkittel des Bauern gekleideten, oft auch in Unbildung ver¬<lb/> kommneu .Kleinstädtern! Wenn er oder einer seinesgleichen von Wittenberg<lb/> oder Torgau nach Dommitzsch oder nach Belgern oder nach Schilda tun, so<lb/> war es ihm wie dem Stadtrömcr, den der Zufall einmal nach der altväterischen<lb/> Volskerstadt Svra am Rande der Abbruzzcn oder wie Walther von der Vogel-<lb/> weide, wenn ihn ein böses Geschick als den fetten Abteien um der Donan oder<lb/> von dem üppigen Hofe zu Wien einmal in das armselige, von sandigem<lb/> Kiefernwalde umgebne Kloster Dobrilugk geführt hatte. Dieser geistig-ästhetische</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Anrsächsische Streifzüge
Ertrinkens verurteilen, ist im Kerne ans Kirchhofs „Wenduumuth" entnommen,
einzelne Züge dazu aus Hans Sachs und Fischart. Andre Geschichten des
„Schildbürgerbuchs," sowie des „Grilleuvertreibers" und der „Hummeln"
stammen aus Bebels „Facetiae" (Tübingen, 1561) und dem „Grobianus" von
Kaspar Scheit (Worms, 1551). Wieder andre Geschichten und Wendungen
hat der Verfasser aus mündlicher Erzählung und eigner Erfindung. Den mit¬
teilsamen Meißnern lag und liegt ja die Lust am Fabulieren tief im Blute,
und besonders Wittenberg, wo Professoren und Studenten von allen deutschen
Stammen zusammenströmten und mit den Hofleuten, Beamten und Bürgern
der Stadt in lustiger Plauderei zusammensaßen, war der rechte Ort für eine
solche Schwanksaimnlnng. So ist es fast selbstverständlich, daß im Schild¬
bürgerbuche eine aus höfischer Narretei, akademisch-humanistischeur Witz und
Kanzleihumor gemischte Geistesart ihr Wesen treibt; es ist für uns in dieser
Hinsicht ein sehr interessantes Dokument des gegen Ende des sechzehnten Jahr¬
hunderts in Kursachsen bei Bier und Wein beliebten Uuterhaltuugsstosfs.
Aber der Wittenberger Amtshauptmann und Hofrichter ist doch kein bloßer
Anekdotensammler; eine solche Thätigkeit wäre zu gering für seine Stellung
und für die starke Persönlichkeit des Maunes. Er hat die einzelnen Ge¬
schichten nach einem gewissen Plane geordnet und verbunden, ihre Träger zu
einer bürgerlichen Gemeinschaft zusammengefaßt und so ein Gebilde geschaffen,
das, wenn auch nicht alle Glieder streng zum Ganzen streben, und wenn auch
die Komposition nur sehr lockrer Art ist, doch in vielen Stücken an einen
Roman erinnert. Aus diesem Roman tönt aber nicht nur das harmlose
Lachen des lustigen Erzählers, sondern mich der boshafte Spott eines Maunes,
der verletzen will. Namentlich in den die Schildbürgergeschichten einleitenden
Betrachtungen und in alledem, was der Verfasser zu deu anderwärts über¬
lieferten Geschichten hinzugethan hat, in der Verschärfung und Verpfefferung
einzelner Ausdrücke und Wendungen zeigt sich, wie Jeep treffend nachweist,
die Geißel des Satirikers. Diese Satire entspringt zunächst dem geistig-ästhe¬
tischen Gegensatze, der zwischen dem ganzen Lebensmilieu des Verfassers und
den clbländischen Kleinstädtern besteht. Schönberg lebt in Wittenberg, zeit¬
weise auch in Torgau, den verhältnismäßig großen und eleganten Residenzen
Knrsachsens, den Sammelpunkten wirtschaftlichen und geistigen Verkehrs; er
sonnt sich im Glänze höfischer Feste, er ist der gefeierte Mäcen der Universität,
er wohnt in einem mit allen Erzeugnissen des hochentwickelte!: Kunsthandwerks
ausstaffierten Hanse, er geht im Sammet- und seidestrvtzenden Herrengewande
einher — welcher Gegensatz zu den in der Kultur zurückgebliebnen, in den
Woll- oder Leinenkittel des Bauern gekleideten, oft auch in Unbildung ver¬
kommneu .Kleinstädtern! Wenn er oder einer seinesgleichen von Wittenberg
oder Torgau nach Dommitzsch oder nach Belgern oder nach Schilda tun, so
war es ihm wie dem Stadtrömcr, den der Zufall einmal nach der altväterischen
Volskerstadt Svra am Rande der Abbruzzcn oder wie Walther von der Vogel-
weide, wenn ihn ein böses Geschick als den fetten Abteien um der Donan oder
von dem üppigen Hofe zu Wien einmal in das armselige, von sandigem
Kiefernwalde umgebne Kloster Dobrilugk geführt hatte. Dieser geistig-ästhetische
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